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BERUF/1723: Wie Auszubildende ihren Berufsalltag erleben (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 2/2015 - Nr. 110

Wie Auszubildende ihren Berufsalltag erleben

Von Mona Granato und Anja Hall


Jugendliche mit Migrationshintergrund machen seltener eine betriebliche Ausbildung in ihrem Wunschberuf und müssen mehr monotone Arbeiten übernehmen. Insgesamt sind sie dennoch zufrieden.


Der Übergang von der Schule in eine nichtakademische berufliche Ausbildung ist angesichts eines schwankenden Lehrstellenangebots in den vergangenen Jahrzehnten für die Mehrheit der Jugendlichen länger, schwieriger und unübersichtlicher geworden. Das gilt insbesondere für junge Menschen mit Migrationshintergrund (Beicht 2015; Granato/Ulrich 2013; Reißig 2014). Ihre Benachteiligung sowie ethnisch bedingte Schließungsprozesse beim Zugang in eine berufliche Ausbildung sind empirisch (gut) belegt (Beicht 2015; Scherr 2015; Mahl/Bruhns 2015). Weniger Erkenntnisse hingegen liegen zu Verlauf und Abschluss ihrer Ausbildung vor (Gei/Granato 2015).

Auszubildende werden bei einem Migrationshintergrund - auch bei Berücksichtigung der Schulabschlüsse - signifikant seltener in ihrem Wunschberuf ausgebildet (Bednarz-Braun 2011; Diehl/Friedrich/Hall 2009). Zudem haben sie während ihrer Ausbildung erheblich ungünstigere Rahmenbedingungen. Sie werden signifikant häufiger als Jugendliche ohne Migrationshintergrund in dualen Ausbildungsberufen ausgebildet, für die sie schulisch höher qualifiziert sind als der Durchschnitt der Auszubildenden. Zudem erhalten sie ihre Ausbildung häufiger in Ausbildungsberufen, in denen die durchschnittliche Vertragslösungsquote höher ist (Beicht/Walden 2015).

Nach den Ergebnissen einer Untersuchung in 15 stark besetzten Ausbildungsberufen lässt sich im betrieblichen Alltag allerdings keine generelle Benachteiligung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund feststellen: Bei einigen Aspekten der betrieblichen Ausbildung sind Auszubildende mit Migrationshintergrund stärker benachteiligt, bei anderen Auszubildende ohne Migrationshintergrund (Gei/Granato 2015). Offen ist jedoch, inwieweit sich die ethnisch bedingte Ungleichheit beim Ausbildungseinstieg auch während der Ausbildung reproduziert, wenn eine Vielzahl von Ausbildungsberufen berücksichtigt wird. Dieser Artikel möchte dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen.

Auf Basis der Jugenderwerbstätigenbefragung, die in den Jahren 2011/2012 vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführt wurde, lassen sich wichtige Ergebnisse zum betrieblichen Alltag aufzeigen. An der Untersuchung nahmen rund 1.100 Jugendliche mit (20 Prozent) und ohne Migrationshintergrund (80 Prozent) teil, die eine Berufsausbildung im dualen System absolvierten. Ein Migrationshintergrund liegt nach Definition der Studie dann vor, wenn eine befragte Person eine ausländische Staatsangehörigkeit hat oder im Kindesalter (auch) eine andere Muttersprache als Deutsch lernte (Granato/Hall 2015).


Gute Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen

Nach den Ergebnissen der Befragung fühlen sich 83 Prozent der Jugendlichen während ihrer Ausbildung häufig als Teil einer sozialen Gemeinschaft. Dies gilt unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht. 88 Prozent sind der Meinung, dass sie in hohem Maße Unterstützung durch ihre Kolleginnen und Kollegen sowie ihre Vorgesetzten erhalten (Granato/Hall 2015). Allerdings haben die Jugendlichen in ihrem Ausbildungsalltag sehr selten Handlungsspielräume: Nur rund ein Drittel von ihnen kann die Arbeit häufig selbst planen und einteilen (mit Migrationshintergrund 37, ohne 34 Prozent), nur etwa ein Fünftel hat häufig Einfluss auf die zugewiesene Arbeitsmenge (mit Migrationshintergrund 16 Prozent, ohne 21 Prozent).

Im Arbeitsalltag erfahren Auszubildende unabhängig von einem Migrationshintergrund ähnliche Anforderungen, die sie auch ähnlich häufig als belastend empfinden: Es wird von ihnen häufig erwartet, verschiedene Arbeiten oder Vorgänge gleichzeitig im Auge zu behalten (mit Migrationshintergrund 41, ohne 37 Prozent) und schnell zu arbeiten (mit Migrationshintergrund 40, ohne 35 Prozent). Etwa ein Drittel der Jugendlichen spricht von einem starken Termin- oder Leistungsdruck. Knapp einem Drittel der Auszubildenden wird im betrieblichen Alltag häufig eine bestimmte Stückzahl, eine Mindestleistung oder eine Zeit vorgeschrieben (mit Migrationshintergrund 35, ohne 31 Prozent). Mit Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit etwa durch Kolleginnen und Kollegen, schlechtes Material, Maschinenprobleme oder Telefonate ist ebenfalls nur knapp ein Drittel der Auszubildenden häufig konfrontiert. Bei allen genannten Anforderungen bestehen keine bedeutsamen Differenzen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund.


Auszubildende mit Migrationshintergrund erhalten seltener vielfältige Aufgaben

Die Studie offenbart jedoch auch signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen: Auszubildende mit Migrationshintergrund werden demnach deutlich häufiger in Berufen ausgebildet, bei denen sich der gleiche Arbeitsgang oft in allen Einzelheiten wiederholt. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund berichten dies (56 Prozent), aber nur 47 Prozent der Vergleichsgruppe. Von dieser Monotonie fühlen sich 22 Prozent der Auszubildenden mit Migrationshintergrund belastet, bei denjenigen ohne sind es nur 14 Prozent. Entsprechend seltener sehen sich Jugendliche mit Migrationshintergrund vor neue Aufgaben gestellt, in die sie sich erst einmal hineindenken und einarbeiten müssen (39 Prozent) - in der Vergleichsgruppe ist es fast die Hälfte (47 Prozent). Auszubildende mit Migrationshintergrund gehen zudem bei der Arbeit deutlich häufiger bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit (18 Prozent versus 12 Prozent; ebd.). Auch erhalten Jugendliche mit Migrationshintergrund weniger Lob von ihren Vorgesetzten und machen mehr Überstunden (Gei/Granato 2015).

Die große Mehrheit der Auszubildenden sieht sich den fachlichen Anforderungen der betrieblichen Ausbildung gewachsen (mit Migrationshintergrund 73, ohne 80 Prozent; Granato/Hall 2015). Wenngleich Auszubildende mit Migrationshintergrund seltener im Wunschberuf eine Ausbildung erhalten, sind sie mit ihrem betrieblichen Alltag genauso oft sehr zufrieden wie Auszubildende ohne Migrationshintergrund (38 Prozent).

Nach wie vor haben junge Menschen mit Migrationshintergrund jedoch geringere Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden (siehe auch S. 13 in diesem Heft). Im Jahr 2014 fand knapp die Hälfte der Bewerberinnen und Bewerber, die keinen Migrationshintergrund haben und über einen mittleren Schulabschluss verfügen, einen betrieblichen Ausbildungsplatz (48 Prozent). Bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Realschulabschluss waren hingegen nur 30 Prozent mit ihrer Bewerbung erfolgreich. Die Differenz zwischen Bewerbenden mit und ohne Migrationshintergrund liegt bei einem Realschulabschluss mit 18 Prozentpunkten doppelt so hoch wie die Differenz bei denjenigen, die nur über einen Hauptschulabschluss verfügten (Beicht/Gei 2015). Die Risiken für Jugendliche mit Migrationshintergrund, keinen Ausbildungsplatz zu bekommen, sind auch dann größer, wenn andere Faktoren berücksichtigt werden: beispielsweise soziale und kulturelle Ressourcen (etwa Unterstützung durch das soziale Umfeld und die Familie), die kognitive oder schulische Leistungsfähigkeit, das Bewerbungsverhalten oder soziale sowie institutionelle Faktoren wie das regionale Ausbildungsangebot (Beicht 2015; Gei/Granato 2015). Die Exklusionsrisiken zeigen sich - unter sonst gleichen Bedingungen - bei Jugendlichen türkischer oder arabischer Herkunft verstärkt. Doch wenn junge Menschen mit Migrationshintergrund eine Ausbildung beginnen, stehen die Chancen sehr gut, dass sie diese auch abschließen und im Anschluss daran eine Stelle finden. Allerdings gelingt ihnen dies seltener als der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund. Haben sie in der Ausbildung jedoch gleich gute Rahmenbedingungen wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund, sind sie am Ende der Ausbildung ebenso erfolgreich (Beicht/Walden 2015).

Obwohl sich die meisten Auszubildenden mit und ohne Migrationshintergrund in ihren Betrieben gleichermaßen gut integriert und unterstützt fühlen und mit ihrem beruflichen Alltag ähnlich oft sehr zufrieden sind, weist die Jugenderwerbstätigenbefragung auf Defizite hin. Jugendlichen mit Migrationshintergrund mangelt es demnach an einer Vielfalt von Arbeitsaufgaben. Hier gilt es anzusetzen, um den Ausbildungserfolg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu steigern und Chancengleichheit auch bei den Ausbildungsergebnissen zu ermöglichen. Zudem ist ein Abbau von ethnisch bedingten Hürden bei der Rekrutierung von Auszubildenden - gerade angesichts des demografischen Wandels - unabdingbar, um alle Potenziale zu nutzen und die Inklusion aller in der beruflichen Ausbildung zu ermöglichen.


DIE AUTORINNEN

Dr. Mona Granato ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektsprecherin des Forschungsprojekts "Berufsorientierung" am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Transitionsforschung und (Aus-)Bildungsforschung mit den Schwerpunkten Inklusionschancen und Exklusionsrisiken junger Menschen mit Migrationshintergrund und junger Frauen.
Kontakt: granato@bibb.de

Dr. Anja Hall ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektsprecherin am BIBB. Sie hat 1995 ihr Studium in Mannheim als Diplom-Soziologin beendet. Seit 2000 leitet sie am BIBB die Erwerbstätigenbefragungen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Erwerb und Verwertung beruflicher Qualifikationen sowie Qualifikationsentwicklungsforschung.
Kontakt: hall@bibb.de


LITERATUR

BEDNARZ-BRAUN, IRIS (2011):
Interethnische Beziehungen unter Auszubildenden im Betrieb - aus sozialkonstruktivistischer Perspektive. In: Krekel, Elisabeth M./Lex, Tilly (Hrsg.): Neue Jugend, neue Ausbildung? Beiträge aus der Jugend- und Bildungsforschung. Bielefeld, S. 63-77

BEICHT, URSULA (2015):
Berufsorientierung und Erfolgschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund am Übergang Schule - Ausbildung im Spiegel aktueller Studien. In: Scherr, Albert (Hrsg.; 2015): Diskriminierung migrantischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung. Stand der Forschung, Kontroversen, Forschungsbedarf. Weinheim, S. 82-114

BEICHT, URSULA/GEI, JULIA (2015):
Ergebnisse der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2014. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB; Hrsg.; 2015): Datenreport zum Berufsbildungsbericht. Bonn, S. 80-90

BEICHT, URSULA/WALDEN, GÜNTER (2015):
Übergang in duale Berufsausbildung und Ausbildungserfolg junger Menschen mit Migrationshintergrund. In: DJI Top Thema, Juni 2015

BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (BIBB; Hrsg.; 2015):
Datenreport zum Berufsbildungsbericht. Bonn

DIEHL, CLAUDIA/FRIEDRICH, MICHAEL/HALL, ANJA (2009):
Jugendliche ausländischer Herkunft beim Übergang in die Berufsausbildung: Vom Wollen, Können und Dürfen. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 38, Heft 1, S. 48-68

GEI, JULIA/GRANATO, MONA (2015):
Ausbildung zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Jugendliche mit Migrationshintergrund - Ausgrenzung auch in der beruflichen Ausbildung? In: Scherr, Albert (Hrsg.; 2015): Diskriminierung migrantischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung. Stand der Forschung, Kontroversen, Forschungsbedarf. Weinheim, S. 210-239

GRANATO, MONA/HALL, ANJA (2015):
Jugendliche mit Migrationshintergrund. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB; Hrsg.; 2015): Datenreport zum Berufsbildungsbericht. Bonn, S. 209-216

GRANATO, MONA/ULRICH, JOACHIM GERD (2013):
Die Reformierbarkeit des Zugangs in duale Berufsausbildung im Spannungsfeld institutioneller Widersprüche. In: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, Heft 2, S. 315-339

MAHL, FRANCISKA/BRUHNS, KIRSTEN (2015):
Ethnische Diskriminierung beim Zugang zur Berufsausbildung. Diskriminierungswahrnehmungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund: In: Scherr, Albert (Hrsg.; 2015): Diskriminierung migrantischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung. Stand der Forschung, Kontroversen, Forschungsbedarf. Weinheim, S. 240-258

REIßIG, BIRGIT (2014):
Ausdifferenzierung von Übergangswegen von der Schule in die Ausbildung. Ergebnisse aus Längsschnittstudien des DJI. In: Ahrens, Daniela (Hrsg.): Zwischen Reformeifer und Ernüchterung. Übergänge in beruflichen Lebensverläufen. Wiesbaden, S. 55-74

SCHERR, ALBERT (Hrsg.; 2015):
Diskriminierung migrantischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung. Stand der Forschung, Kontroversen, Forschungsbedarf. Weinheim


DJI Impulse 2/2015 - Das komplette Heft finden Sie im Internet als PDF-Datei unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 2/2015 - Nr. 110, S. 18-20
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-140, Fax: 089/623 06-265
Internet: www.dji.de/impulse
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos bestellt und auf Wunsch auch abonniert werden unter impulse@dji.de.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2015

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