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INTERNATIONAL/034: Syrien - Lehrer organisieren Unterricht in palästinensischem Flüchtlingslager (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2013

Syrien: Lernen unter Bomben - Lehrer organisieren den Unterricht in größtem palästinensischem Flüchtlingslager

von Mutawalli Abou Nasser


Bild: © Mutawalli Abou Nasser/IPS

Bombenanschläge bedrohen Unterricht in Yarmouk-Flüchtlingslager
Bild: © Mutawalli Abou Nasser/IPS

Damaskus, 27. August (IPS) - Das palästinensische Flüchtlingslager Yarmouk in der syrischen Hauptstadt Damaskus steht unter der ständigen Gefahr von Luftangriffen. Dennoch sind einige Lehrer geblieben, um die Jungen und Mädchen des Camps zu unterrichten.

Mitglieder der bewaffneten syrischen Opposition hatten im Dezember letzten Jahres die Kontrolle über den Großteil der Flüchtlingssiedlung übernommen. Was folgte, waren schwere und wahllose Luftangriffe der syrischen Regierung, die bis heute andauern. Zudem lebt die Bevölkerung in einem Belagerungszustand.

Als die Kämpfe Ende letzten Jahres das Flüchtlingscamp erreichten, verschanzten sich hier mit Unterstützung palästinensischer Sympathisanten Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA). Die Regierung reagierte mit tödlichen Bombenanschlägen, die auch die Bildungsinfrastruktur dem Boden gleich machte. Tausende Menschen, darunter auch viele Lehrer, flohen daraufhin in den Libanon und andere Nachbarländer.

Die Situation im größten palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien hat sich seit dem Abzug des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) weiter verschlechtert. Das UNRWA ist für die Grund- und mittlere Schulausbildung für die Palästinenser in Nahost zuständig. Für den Sekundarunterricht der palästinensischen Gemeinschaften in Syrien ist wiederum das syrische Bildungsministerium zuständig. Doch die einzigen Sekundarschulen im Flüchtlingslager befinden sich in der Schusslinie und sind bereits im Vorfeld der Dezember-Bombenanschläge geschlossen worden.


Moschee wird Schule

Auf Vorschlag von Khalil Khalil, einem Arabischlehrer und Dozenten an der Universität von Damaskus, organisierten vier Pädagogen ein Schulprogramm für die Campkinder, das in der palästinensischen Moschee inmitten des Flüchtlingslagers durchgeführt wird. Zunächst kamen 20 Mädchen und Jungen, inzwischen sind es 200. Für die Eltern ist der Schulunterricht ein Segen, doch die Lehrer haben alle Hände voll zu tun, um Qualitätsunterricht gewährleisten zu können.

"Unsere Arbeit ist viel schwieriger als vorher", sagt Khalil im IPS-Gespräch. "Wir mussten einen passenden Ort finden, an dem wir die Kinder unterrichten können. Das war angesichts der derzeitigen Situation im Lager alles andere als einfach. Und dann gilt es die grundlegenden Bildungsutensilien wie Bücher, Hefte und Stifte zu besorgen." Zu Programmbeginn hatten die Lehrer über ihre eigenen Netzwerke Mittel und Spenden aufgetrieben. Angesichts des steigenden Bedarfs aufgrund der zunehmenden Schülerzahl wandten sie sich schließlich an das UNRWA.

"Es ging im Grunde darum, mehr Bücher, Stifte und Stromgeneratoren sowie mehr Lehrer zu organisieren, die zumindest ein kleines Entgeld erhalten", berichtet Yehya Ishmaawi, Mitbegründer des Bildungsprogramms. "Es geht nicht mehr nur darum, eine Basisbildung zu ermöglichen, sondern auch um die Anerkennung der Bildungsabschlüsse." Inzwischen wird das Programm vom UNRWA finanziell unterstützt.

"Wir folgen einem inoffiziellen Weg und sind sehr stolz darauf, dass wir die Einstellung des Unterrichts verhindert haben. Die Schüler können beizeiten und unter der Aufsicht des UNRWA ihre Examen machen", erläutert Jemaal Abd al-Ghani, der UNRWA-Verbindungsmann zu den Lehrern und Freiwilligen des Yarmouk-Bildungsprogramms.

Lehrern und ihren Mitstreitern ist es gelungen, Einzelpersonen und Hilfsorganisationen als Partner zu gewinnen, die das Camp mit den notwendigsten Nahrungsmitteln versorgen. Sie durchbrechen die Belagerung und versorgen das Bildungsprogramm mit den erforderlichen Lehrmaterialien. Und oft sind sie an den Kosten beteiligt. Auch die Eltern leisten einen erheblichen Beitrag. "Hätten sie nicht an unserer Vorhaben geglaubt und uns darin unterstützt, das Bildungssystem wiederzubeleben, wären wir sicher gescheitert", meint Khalil.


Gravierendes Sicherheitsproblem

Größtes Problem ist die Sicherheit von Lehrern und Schülern. Am 1. April schlug eine Mörserrakete neben der Palästinensermoschee ein. Etliche Kinder wurden verletzt. Doch der Anschlag war nur der Vorbote für weitere Gewalt. So kamen wenig später zwei Schüler, Farhat Mubarak und Hesham Mahmoud, bei einem Bombardement ums Leben. Drei weitere wurden schwer verletzt. "Warum dieser Wahnsinn?", fragt Farhats Vater. "Hier ist niemand bewaffnet. Das sind doch nur Kinder, die sich ein Leben in Frieden wünschen."

Der Krieg in Syrien hat bisher 149 palästinensischen Kindern das Leben gekostet. Allein im Yarmouk-Lager starben 56. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.unrwa.org/
http://www.ipsnews.net/2013/08/opening-books-beneath-bombs/

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IPS-Tagesdienst vom 27. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2013