Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → BILDUNG

INTERNATIONAL/038: Neue Zeichen an der Schulwand - Jüdische und arabische Kinder praktizieren Toleranz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Januar 2014

Nahost: Neue Zeichen an der Schulwand - Jüdische und arabische Kinder praktizieren Toleranz

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Kinder an einer israelisch-arabischen Schule im gemeinsamen Spiel
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Kfar Kara, Nordisrael, 28. Januar (IPS) - Willkommen in der Grundschule 'Brücke über den Wadi', einer von fünf arabisch-jüdischen Bildungseinrichtungen der Hand-in-Hand-Initiative des Zentrums für jüdisch-arabische Bildung in Israel. Hier werden Kinder beider Völker unterrichtet, wobei der Schulstoff in arabischer und hebräischer Sprache vermittelt wird. Die Mädchen und Jungen praktizieren, was vielen unmöglich erscheint: die Annäherung zwischen Juden und Arabern.

In Israel gibt es sieben solcher 'gemischten' Schulen. Die überwiegende Mehrheit der Einrichtungen, etwa 3.000 an der Zahl, ist entweder Arabern oder Juden vorbehalten. Die Schule 'Brücke über den Wadi' in Kfar Kara im Norden Israels ist jedoch in weiterer Hinsicht etwas Besonderes: Sie steht in einem arabischen Dorf. Die jüdischen Kinder sind somit quasi bei ihren arabischen Mitschülern zu Gast.

"Wir sind keine arabische Lehranstalt. Wir sind Fremde in unserem eigenen Umfeld", erläutert der Schuleiter Hassan Agbaria. "Was wir anbieten? Gegenseitige Akzeptanz, Gleichberechtigung und ein partnerschaftliches Miteinander. Frieden ist immer möglich, wenn man sich kennt und zusammenlebt - selbst wenn dies nur für den Schulalltag gilt."

Eine jüdisch-arabische Schule in einer arabischen Stadt - das ist keine Kleinigkeit in einem Land, in dem das Verhältnis zwischen der jüdischen Mehrheit und den Palästinensern, aus denen die arabische Minderheit besteht, von Konflikten getrübt ist. Jeder fünfte Israeli ist Araber palästinensischer Herkunft.

In der israelischen Unabhängigkeitserklärung ist die soziale und politische Gleichheit aller Bürger, unabhängig ihrer religiösen, ethnischen und geschlechtlichen Zugehörigkeit, festgeschrieben. Doch der fortwährende Konflikt, das ständige Misstrauen und die ewigen Anschuldigungen, sich illoyal einem Staat gegenüber zu verhalten, der sich selbst als jüdisch definiert, sowie die permanente Erfahrung, diskriminiert zu werden, haben die israelischen Araber zutiefst geprägt.


Den Wandel bewirken

"Die Kinder hier betrachten sich nicht als Araber oder Juden, sondern als Menschen", sagt Uri Levror aus dem jüdischen Dorf Katzir in Galiläa. Die Zeichen an der Wand - an der Schulwand, sind buchstäblich vorhanden: "Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen", ist in einem Klassenraum in der Schule 'Brücken über den Wadi' zu lesen, wobei der Ausspruch Mahatma Gandhis ins Hebräische und Jüdische übertragen wurde.

"Wir dürfen nicht darauf warten, dass jemand kommt, um den Wandel zu bringen", meint Ofri Sadeh aus Katzir, die ihre Kinder in die zweisprachige Schule schickt. In der Region Galiläa leben 150.000 arabischstämmige und 20.000 jüdische Israelis. In der bilingualen Schule stellen Araber 60 Prozent der 238 Schüler. Bei den Lehrern ist das Verhältnis ausgeglichen: in jeder Klasse unterrichten zwei Lehrer, einer in Hebräisch, der andere in Arabisch.

Eltern, die ihre Kinder hierhin schicken, sind daran interessiert, dass sich an der bisherigen politischen Ordnung im Lande etwas ändert. "Unseren Kindern bietet sich die Chance, sich mit Werten vertraut zu werden, die mir und meinem Mann wichtig sind. Ich möchte, dass sie bessere Menschen werden als wir", meint Noga Shitrit, eine dreifache Mutter aus Katzir. Auch die palästinensischen Eltern haben einen Traum. Sie wünschen sich für ihre Kinder Chancengleichheit. "Das ist die beste Schule", versichert Rania Jahija aus Kfar Kara.

Zweitklässler werden mit dem Gedankengut von Nelson Mandela vertraut gemacht. "Bildung ist die stärkste Waffe, die es gibt, um die Welt zu verändern", wird der südafrikanische Befreiungskämpfer von einer Lehrerin in Hebräisch zitiert. "Da gab es einen Mandela, der sagte: 'Wir unterscheiden uns zwar voneinander, und doch sind wir gleich.'", fügt die andere Lehrerin in Arabisch hinzu. "Möge der Frieden siegen", antwortet ein Schüler. "Lasst uns die Kriege beenden", ein anderer. "Juden und Araber sind (...)?" fragt die eine der Pädagoginnen. "Anders" antwortet die Klasse. "Anders und doch gleich", korrigiert die Lehrerin.


"Fäden des Friedens"

"Wir vermitteln den Kindern Werte, die die Fäden des Friedens für das Gewebe ihres Lebens sein sollen", meint die stellvertretende Schulleiterin Masha Krasnitsky. "Unsere Schüler sind sich sehr wohl bewusst, dass sie neue Ideen in die Welt hinaustragen. Sie nehmen die Herausforderung an."

Unter der Anleitung ihrer Lehrer feiern die arabischen und jüdischen Kinder die Festtage ihrer jeweiligen Gemeinschaft gemeinsam. So begehen sie zusammen den Tag des Holocausts und den Tag der gefallenen Soldaten. Und sie setzen sich mit den unterschiedlichen Erfahrungen der gemeinsamen Geschichte auseinander: mit der Gründung des Staates Israel, die von den Arabern als 'Große Palästinensische Katastrophe' wahrgenommen wird.

"Wir sind für die israelische Gesellschaft eine Art Labor", meint Schulleiter Agbaria. "Wir wollen Antworten auf Fragen finden, die Israelis seit mehr als 60 Jahren umtreiben. Und wir kommen der Vision eines angstfreien Miteinanders, obwohl wir unterschiedlichen Identitäten angehören, immer näher."

Arabisch und Hebräisch mögen im Schulunterricht den gleichen Stellenwert genießen - untereinander sprechen die Kinder Hebräisch - ein Automatismus, der der Realität einer Außenwelt geschuldet ist, in der Arabisch als Sprache des 'Feindes' gilt.

Es regnet, und die Kinder drängen sich unter einem Vordach zusammen: eines wie das andere. Seit zehn Jahren gibt es ihre Schule bereits. Auch das ist ein Grund zum Feiern. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.handinhandk12.org/
http://www.ipsnews.net/2014/01/new-writing-school-wall/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Januar 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2014