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INTERNATIONAL/047: El Salvador - Licht am Bildungshorizont, erste Erfolge durch Alphabetisierungsprogramm (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Januar 2015

El Salvador:
Licht am Bildungshorizont - Erste Erfolge durch Alphabetisierungsprogramm

Von Edgardo Ayala


Bild: © Edgardo Ayala /IPS

Maximina Velasco aus dem salvadorianischen Dorf Tapalhuaca nimmt an einem Alphabetisierungsprogramm teil
Bild: © Edgardo Ayala /IPS

Tapalhuaca, El Salvador, 9. Januar (IPS) - Carmen López ist 74 Jahre alt. Sie ist eine von 412 Einwohnern der Ortschaft Tapalhuaca in El Salvador, die erst kürzlich das Lesen und Schreiben gelernt haben. Seitdem gilt das Dorf in der Landesmitte als alphabetisiert.

"Mich hat immer gestört, dass ich nie einen Brief schreiben oder eine Quittung ausstellen konnte. Doch jetzt freue ich mich, dass ich dazu in der Lage bin", erklärte sie unlängst gegenüber IPS am Rande einer Feier, auf der das Bildungsministerium den 4.000-Seelen-Weiler zur Analphabetismus-freien Zone erklärte hatte.

Diese Auszeichnung erhalten nur Orte, die eine Alphabetisierungsrate von 96 Prozent vorweisen können. Im Fall von Tapalhuaca im Departement La Paz liegt der Anteil sogar bei 97,7 Prozent.

Auch Maximina Velasco ist froh, wieder die Schulbank zu drücken. "Als kleines Mädchen bin ich zwar eingeschult worden, aber nie über die erste Klasse hinausgekommen. Ich hatte Angst vor meinem Lehrer, der mich geschlagen hat", berichtet die heute 61-Jährige, während sie akkurat Vokale und Konsonanten in ein Heft einträgt. Wie viele andere Klassenkameradinnen verlässt Verlasco meist vor Unterrichtsende den Klassenraum. Sie muss nach Hause, um das Mittagessen für die Familie vorzubereiten.

Unterrichtet werden die Seniorinnen von der 16-jährigen Yanci Cubías. Sie ist eine von 130 ehrenamtlichen Lehrern in diesem kleinen Bauerndorf. Zehn Stunden die Woche hilft sie den Erwachsenen beim Buchstabieren und Schreiben. "Zu Anfang war es ganz schön schwer, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Doch inzwischen läuft alles rund und ich freue mich über diese unvergessliche Erfahrung."

In dem armen zentralamerikanischen Land hat die soziale Ungleichheit dafür gesorgt, dass ein Großteil der Bevölkerung, vor allem in den ländlichen Gebieten, bildungslos geblieben ist. Die meisten Salvadorianer in den Dörfern verdingen sich als Tagelöhner auf den Kaffee- und Baumwollplantagen der Reichen.


"Eine historische Schuld"

"Das war eine historische Schuld, die es zu begleichen gilt", meint Maydé Recinos von der Salvadorianischen Stiftung für soziale Förderung und wirtschaftliche Entwicklung (Funsalprodese). Ihre Organisation ist Mitglied des salvadorianischen Kapitels des Lateinamerikanischen und Karibischen Rates für Volksbildung (CEAAL).

Sowohl López als auch Velasco, die den größten Teil ihres Lebens damit verbracht haben, ihre Kinder großzuziehen und ihren Männern in der Landwirtschaft zu helfen, haben geschafft, was vielen anderen Frauen des Landes noch bevorsteht.

Über das Nationale Bildungsprogramm der Regierung wurde von 2009 bis 2014 200.000 Menschen das Lesen und Schreiben beigebracht. Die Analphabetenrate bei den über Zehnjährigen konnte seit 2009 von 17,9 auf 11,8 Prozent gedrückt werden, geht aus einer im Jahr 2013 durchgeführten Haushaltsumfrage hervor. Von den 11,8 Prozent waren 7,3 Prozent weiblich und 4,5 Prozent männlich.

Doch in den ländlichen Gebieten liegt die Analphabetenrate mit 18,9 deutlich über dem nationalen Schnitt. Davon sind elf Prozent weiblich und 7,9 Prozent männlich. "Diese Geschlechterdiskrepanz ist auf den verbreiteten Machismo in unserem Land zurückzuführen", sagt Angélica Paniagua, die zuständige Beamtin im Bildungsministerium. "Väter sind meist der Ansicht, dass ihre Söhne in die Schule und die Mädchen in die Küche gehören."

Da die Regierung der Bildung von Mädchen eine höhere Priorität beimesse, werde sich das Ungleichgewicht verringern, ist Mirna Lemus von der Sektorenübergreifenden Vereinigung für wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt (Cidep) überzeugt.

Dem dritten und vorerst letzten Bericht über die Fortschritte bei der Umsetzung der UN-Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zur Armutsbekämpfung ist zu entnehmen, dass der Anteil der Kinder, die die Grundschule besuchen im Zeitraum 2000 bis 2012 von 86 auf 93,1 Prozent gestiegen ist.


Viele Schulabbrecher

Die Schulabbrecherquote ist gerade in den ländlichen Gebieten noch recht hoch, wie die Haushaltsumfrage von 2013 belegt. Trotz aller Fortschritte im Kampf für mehr Bildung reichen die Erfolge nicht aus, um das Bildungs-MDG fristgerecht bis Ende 2015 zu erreichen. Dieses zweite von insgesamt acht übergeordneten Zielen sieht vor, dass alle Kinder die Grundschule bis zur sechsten Klasse besuchen und erfolgreich abschließen. Auch müssen alle 15- bis 24-jährigen Salvadorianer bis 2015 des Lesens und Schreibens mächtig sein.

"Wir haben noch einen weiten Weg vor uns", meint dazu Panigua. Sie geht davon aus, dass ihr Land bei gleichen Anstrengungen spätestens in fünf Jahren soweit sein wird. Die Bildungsbehörden schätzen, dass das 6,2 Millionen Einwohner zählende Land 2019 - dem letzten Jahr der Amtszeit von Staatspräsident Salvador Sánchez Cerén - zur analphabetismusfreien Zone erklärt werden kann. Sánchez Cerén ist ein ehemaliger linker Guerillakommandant und Lehrer, der das Land seit Juni 2014 regiert.

Organisationen wie Cidep und Funsalprodese würdigen zwar die bisherigen Erfolge an der Bildungsfront, fordern aber eine Erhöhung des Bildungsetats von derzeit 3,3 auf sieben Prozent.

Unterdessen versichert Maximina Velasco, dass sie alles tun wird, um die mühsam erworbenen Fähigkeiten nicht mehr zu verlieren. "Ich werde nicht in einen Zustand der Blindheit zurückfallen, an dem ich so lange gelitten habe", versichert sie. (Ende/IPS/kb/ 2015)


Links:
http://www.ipsnoticias.net/2014/12/el-analfabetismo-tiene-rostro-de-mujer-en-el-salvador/
http://www.ipsnews.net/2015/01/illiteracy-wears-a-womans-face-in-el-salvador/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2015


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