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REDE/057: Annette Schavan zum Berufsbildungsbericht 2010, 20.10.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, zum Berufsbildungsbericht 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 20. Mai 2010 in Berlin


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Arbeitslosigkeit in jungen Jahren befördert Langzeitarbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit in jungen Jahren führt zu deutlich geringeren Einkommenschancen. - Das ist das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Studie der OECD.

Dieselbe Studie hat belegt, dass im internationalen Vergleich junge Menschen in Deutschland die besten Berufschancen haben oder - präziser und in Zahlen gesagt -: Das Risiko - zumal während einer Wirtschaftskrise -, im Alter von 15 bis 24 Jahren arbeitslos zu werden, ist nirgendwo so gering wie in unserem Land.

Als Grund für diese positive Entwicklung hat die OECD eindeutig das duale Ausbildungssystem genannt. Während zwischen Ende 2007 und Ende 2009 die Jugendarbeitslosigkeit im OECD-Durchschnitt um sechs Prozent auf fast 19 Prozent angestiegen ist, ist sie in Deutschland deutlich gesunken. Deshalb sage ich: Wenn es um die Europäische Union und um den internationalen Bildungsdialog geht, haben wir allen Grund, selbstbewusst mit dem Flaggschiff unseres Bildungssystems aufzutreten, und das ist die berufliche Bildung.

Mehr als 60 Prozent eines Jahrgangs beginnen in Deutschland eine Ausbildung. Sie tun dies in einem von rund 350 Ausbildungsberufen. Gerade in den letzten Jahren haben wir einen großen Modernisierungsprozess bei den Ausbildungsberufen erlebt. Es werden neue Ausbildungsberufe geschaffen. Ich glaube, es gibt keinen anderen Bereich, in dem so beweglich, so dynamisch auf Entwicklungen in der Arbeitswelt, auf technologische Entwicklungen reagiert wird. Wir sind besonders flexibel bei der Ausbildung von Fachkräften. Deshalb ist die berufliche Bildung eine der tragenden Säulen der ökonomischen Stärke unseres Landes.

Welche Merkmale der Situation werden im Berufsbildungsbericht dargelegt? Wir stellen fest, dass es beim Abschluss der Ausbildungsverträge ein Minus von 8,2 Prozent und zugleich einen deutlichen Rückgang der Zahl der Bewerber gibt. Diese beiden Feststellungen werden uns auch in den nächsten Jahren begleiten. Das herausstechendste Merkmal der Situation ist, dass die Zahl ausbildungsinteressierter Jugendlicher demografiebedingt deutlich gesunken ist. Ich nenne eine einzige Zahl, die die Dramatik der nächsten Jahre deutlich macht: Im Jahr 2020 werden in Deutschland 3,1 Millionen unter 25-Jährige weniger leben als heute; das ist ein Rückgang um 15 Prozent. Das heißt, die Zahl der Anwärter auf Ausbildung geht zurück. Das heißt aber auch, unsere Unternehmen werden schon in wenigen Jahren händeringend Fachkräfte suchen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jedem Jugendlichen die Chance zu einer qualifizierten Ausbildung, zu einem Abschluss geben, um für den Arbeitsmarkt, für eine berufliche Existenz zur Verfügung zu stehen.

Was also jetzt zur Entlastung führt - es führt auch zu einer deutlich besseren Bewertung der Situation -, kann schon in wenigen Jahren zu einem ernsthaften Nachwuchsproblem werden. Deshalb ist ein Schwerpunkt der Berufsbildungspolitik dieser Bundesregierung die Neugestaltung des Übergangssystems zwischen Schule und Ausbildung. Immer noch haben wir viele junge Leute, die Probleme haben, von der Schule in eine Ausbildung zu kommen. Wir alle kennen die vielen Initiativen vor Ort. Das Bundesarbeitsministerium, das Bundesbildungsministerium, die Länder und die Kammern, sie alle führen Initiativen durch.

Zu den wichtigen Aufgaben gehört, dieses Übergangssystem jetzt besser und konzentrierter zu gestalten. Deshalb haben wir als eine der ersten Maßnahmen beschlossen, dass künftig Bildungslotsen junge Leute begleiten, die sich schwer tun, einen Schulabschluss zu machen. Wir dürfen nicht warten, bis sie keinen Schulabschluss machen und dann in Warteschleifen geraten. Wir müssen dafür sorgen, dass wir sie frühzeitig erreichen, dass wir ihnen deutlich machen, wo ihre Stärken sind, was notwendig ist und welche Möglichkeiten in der Schule an individueller Förderung bestehen, damit wir die weitere Absenkung der Zahl derer ohne Schulabschluss befördern. Wir müssen in vier, fünf Jahren erreichen, dass jeder Jugendliche in Deutschland einen Abschluss macht und in Ausbildung geht.

Am Ende des Ausbildungsjahres 2009 waren 9 603 Bewerberinnen und Bewerber unversorgt. Gleichzeitig gab es 17 225 unbesetzte Ausbildungsplätze. Auch diese Entwicklung wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen.

Die zweite wichtige Herausforderung neben der Neugestaltung des Übergangssystems sind die Altbewerber, Jugendliche, die in den letzten Jahren nicht in Ausbildung gekommen sind. Im September 2009 zählten etwa 243.000 der insgesamt etwa 533.000 gemeldeten Bewerber zu dieser Gruppe. Das heißt, nahezu die Hälfte derer, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, stammt aus früheren Jahrgängen. Der Anteil ist auf 45 Prozent gesunken; wir haben etwas erreicht. Klar ist: In dieser großen Gruppe derer, die noch nicht versorgt sind, sind eine Menge junger Leute, die wir in den nächsten Jahren - auch aufgrund ihrer Qualifikation - gut in Ausbildung bringen können.

Das dritte wichtige Thema sind die Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Wir wissen, dass der Anteil derer, die keinen Schulabschluss machen, in dieser Gruppe besonders groß ist. Deshalb wird das von uns neu gestaltete Übergangssystem - Bildungslotsen, bessere Orientierung und Praktika - auch für diese Gruppe eine wichtige Rolle spielen.

Wir haben den Ausbildungspakt weiterentwickelt. Der Schwerpunkt des Ausbildungspaktes, der die Verbesserung des Systems der beruflichen Bildung zum Ziel hat, wird in den nächsten Jahren auf einer weiteren Dynamisierung der dualen Ausbildung liegen. Dabei werden wir neue Berufsbilder und die Modernisierung im Blick haben. Ich bin davon überzeugt, dass das, was wir im Ausbildungspakt für die nächsten Jahre vereinbart haben, uns eine gute Chance gibt, die gesetzten Ziele zu erreichen. Ich sage aber auch: Der Erfolg wird ganz wesentlich davon abhängen, dass wir dem, was die Lernkultur in der beruflichen Bildung ausmacht, in allen Phasen des Bildungssystems einen höheren Stellenwert beimessen und wir aufhören, in Deutschland den Eindruck zu erwecken, als sei allein die akademische Bildung Ausweis der Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems. Das entspricht nicht dem Selbstbewusstsein derer, die die berufliche Bildung ermöglichen. Das entspricht nicht dem Selbstbewusstsein, mit dem Ausbildungsbetriebe in Deutschland agieren. Deshalb sage ich

erstens ein herzliches Dankeschön an unsere Ausbildungsbetriebe,

und ich sage zweitens: Lassen Sie uns selbstbewusst über berufliche Bildung sprechen. Sie ist nicht weniger wert als akademische Bildung. Sie ist das Rückgrat der ökonomischen Stärke unseres Landes.

Fazit des Berufsbildungsberichtes 2009:

Erstens. Wir sind ein gutes Stück weitergekommen, was den erfolgreichen Einstieg Jugendlicher in die berufliche Ausbildung angeht.

Zweitens. Es gibt keinen Grund, sich zurückzulehnen. Nun wird uns die Frage beschäftigen, wie unsere Unternehmen zu guten Fachkräften kommen.

Drittens. Wir setzen mit dem Ausbildungspakt und den Initiativen dieser Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit den Ländern auf eine weitere Dynamisierung und Modernisierung der Ausbildungsberufe, und wir setzen auf eine stärkere Internationalisierung. Jugendliche, die eine Ausbildung machen, sollen genauso wie Studierende die Möglichkeit haben, einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland zu absolvieren. Die Internationalisierung der dualen Ausbildung ist wichtig, um mit Selbstbewusstsein auf europäischer Ebene auftreten zu können.

All das zusammengenommen ergibt ein wichtiges Maßnahmenbündel, um zu verhindern, dass der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren zur größten Wachstumsbremse in Deutschland wird.


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Quelle:
Bulletin Nr. 56-1 vom 20.05.2010
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Dr. Annette Schavan, zum Berufsbildungsbericht 2010 vor dem
Deutschen Bundestag am 20. Mai 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2010