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GAZA/025: Übergang Rafah und Tunnel geschlossen - In Gaza schießen die Preise in die Höhe (IRIN)


Integrated Regional Information Networks IRIN - 7. Februar 2011 (aktualisiert am 8. Februar 2011)

Übergang Rafah und Tunnel geschlossen - In Gaza schießen die Preise in die Höhe


GAZA, 7. Februar 2011 (IRIN) - Die politischen Unruhen in Ägypten seit über einer Woche haben die Gefahr einer humanitären Krise im benachbarten Gaza verschärft. Ägyptische Soldaten flohen am 30. Januar von ihren Posten an der Nordgrenze, und der Übergang Rafah - ein lebenswichtiger Durchlaß für die 1,5 Millionen in Gaza lebenden Palästinenser - mußte gezwungenermaßen schließen.

Rund 60 Palästinenser, die versuchten über Kairo nach Hause zurückzukehren, als die Südgrenze nach Gaza dichtmachte, werden noch immer im "Abschieberaum" des Kairoer Flughafens festgehalten. Darunter befinden sich sechs Kinder und mehrere schwer erkrankte Patienten, denen die Medikamente ausgehen.

"Die Kinder wissen nicht, was vor sich geht. Manchmal weinen sie. Es ist sehr, sehr kalt hier; es ist übervoll, und es gibt für uns keine Waschgelegenheit", berichtete einer der Festgehaltenen IRIN, der namentlich nicht genannt werden wollte.

Israel zerstörte Gazas Flughafen während der zweiten Intifada 2002, und die Bewohner von Gaza haben kaum eine andere Möglichkeit, als über den Flughafen von Kairo und über Rafah einzureisen. Seit die militante Gruppe Hamas 2007 die Kontrolle in Gaza übernommen hat, müssen Gaza-Bewohner eine spezielle Sicherheitsprozedur bei der Einreise nach Ägypten durchlaufen. Wer über eine Auslandsreisegenehmigung verfügt, wird direkt mit dem Bus zum Kairoer Flughafen transportiert und dort bis zum Abflug festgesetzt. Bei der Rückkehr wiederum werden sie am Flughafen solange festgehalten, bis sie zum Übergang Rafah gebracht werden können.


Tunnel geschlossen

Die israelische Blockade des Gebiets bedeutet, daß Gaza massiv von den Gütern abhängt, die durch Tunnel aus Ägypten hereingeschmuggelt werden - insbesondere Treibstoff, Haushaltsgas und Baumaterialien - aber die fortgesetzte, instabile Lage in Ägypten führte zur Schließung dieser Tunnel und zum Abreißen eines lebenswichtigen Nachschubweges.

"Es ist ein Problem, in Ägypten Treibstoff an die Grenze zu schaffen. Es gibt keine Soldaten auf der ägyptischen Seite der Grenze, also werden die Schmuggler auf der Straße aus Kairo überfallen, und es wird ihnen alles gestohlen. Es ist sehr gefährlich für sie", erklärte Taxi-Fahrer Farid Abdul El Rahman, der seinen Wagen mit dem letzten Diesel aus Ägypten betreibt.

"Es kommt jetzt gar nichts durch die Tunnel - ich glaube, das Problem kann nur noch schlimmer werden," meinte er. Benzin gibt es überhaupt keins mehr, und der einzige verfügbare Treibstoff ist die begrenzte Menge, die zum dreifachen Preis aus Israel kommt.

Ein Treibstoffmangel in Gaza hieße nicht allein keine Autos, sondern auch keine Elektrizität. Die Blockade sowie die schweren Schäden an Kraftwerken durch den Konflikt 2009 zog einen chronischen Strommangel mit einer bis zu sechs Stunden dauernden, täglichen Stromsperre nach sich. Gazas Wohnhäuser und Geschäfte verlassen sich auf benzinbetriebene Generatoren.

"Ich muß wie jeder andere Vorräte anlegen, weil wir keine Ahnung haben, wann es wieder Kraftstoff geben wird", erzählte ein höherer Richter, der aufgrund seiner Position nicht namentlich genannt werden wollte und der mit hunderten Menschen an einer der wenigen Tankstellen in Gaza-Stadt Schlange stand, die noch über Benzin verfügte.

Er meinte, er würde den Treibstoff mehr für sein Haus als für das Auto kaufen. "Wir müssen es wie eine Kostbarkeit behandeln. Es ist gefährlich, eine so große Menge Benzin im Haus zu haben - wenn es einen Luftangriff gibt, verwandelt sich unser Haus in eine Bombe - aber wir haben keine andere Wahl."


Krankenhäuser in Mitleidenschaft gezogen

Die wichtigsten Krankenhäuser verfügen über Kraftstofflagerbestände für den Betrieb ihrer Generatoren, aber das größte, das Shifa-Hospital in Gaza, hat eine Reserve, die weniger als eine Woche reicht. Wenn die Tunnel noch für längere Zeit geschlossen bleiben, wird die Lage kritisch.

Mohamed Abu Rahman, leitender Pfleger auf der Intensivstation, erklärte, er sei sehr in Sorge wegen der Grenzschließung. "Diese Station ist ganz besonders auf elektrischen Strom angewiesen. Wenn der Strom abgeschaltet wird, müssen wir die Ventilatoren per Hand betreiben, bis der Generator anspringt", erzählte er IRIN.
"Jeden Tag gibt es hier eine vierstündige Stromsperre. Es wird unmöglich sein, Menschen ohne unsere Generatoren am Leben zu halten - die Monitore, die Ventilatoren, nichts wird mehr funktionieren.

Für einige ist die Situation lebensbedrohlich. Gaza leidet unter einem akuten Mangel an medizinischen Geräten und Medikamenten, was bedeutet, daß viele Menschen, häufig die mit so schweren Erkrankungen wie Krebs, zur Behandlung ins Ausland gebracht werden müssen.

Jeden Monat werden rund 500 Patienten aus Gaza nach Ägypten gebracht. Bassam Abu Hamad, leitender Facharzt in Gaza, meinte warnend, die Schließung des Grenzübergangs Rafah bringe Leben in Gefahr:
"Insbesondere Menschen, die eine Strahlenbehandlung oder eine kompliziertere Operation brauchen, können einfach nicht versorgt werden", erklärte er. "In der Zeit, die Rafah geschlossen ist, werden hier in Gaza mehr Menschen das Leben verlieren."


Rasant steigende Preise

Die Preise für viele Verbrauchswaren sind in die Höhe geschossen, seit die Tunnel geschlossen sind. Zigaretten sind 25% teurer geworden, aber die Kosten für wichtige Baumaterialien haben sich verdoppelt.

Gaza liegt seit Israels letzter Invasion 2009, bei der 60.000 Gebäude beschädigt und über 4.000 zerstört wurden, noch zum großen Teil in Schutt und Asche.
Israels Verbot, Zement, Stahl und Kies über seine Grenzstationen zu importieren, bedeutet, daß jede Bautätigkeit in Gaza auf Material angewiesen ist, das durch die Tunnel hineingeschmuggelt wird.

"Seit die Probleme in Ägypten anfingen, haben sich die Preise für Zement und Kies verdoppelt - eine Tonne Zement kostete letzte Woche 520 neue israelische Schekel [ILS - 140 USD]. Heute habe ich eine Tonne für 1.100 ILS [296 USD] gekauft" erzählte Ashraf Al Aloul, der als Fahrer für eine internationale NRO arbeitet und einer von mehreren Tausend Gaza-Bewohnern ist, die sich gerade ein Haus bauen.
"Hier kann es sich niemand leisten, Material zu diesem Preis zu kaufen. Ich nehme an, daß jede Bautätigkeit zum Erliegen kommt, während die Menschen abwarten und beobachten, was geschieht."

pg/he/oa/cb

* Dieser Artikel wurde am 8. Februar 2011 geändert; ein Verweis darauf, daß ein Transit medizinischer Fälle eventuell durch Israel stattfinden könnte, wurde gestrichen

[Dieser Bericht spiegelt nicht notwendigerweise die Ansichten der Vereinten Nationen wider]


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Ägyptischer Regimewechsel Hoffnung für Gaza

RAMALLAH - Ein durch die Massenproteste seit dem 25. Januar gegen Präsident Hosni Mubarak herbeigeführter, möglicher Wechsel des Regimes in Ägypten könnte eine neue Führung mit sich bringen, die sich der Aufrechterhaltung der Gaza-Blockade weniger verpflichtet fühlt, meinen Beobachter.
Die Öffnung Rafahs, des einzigen Grenzübergangs zwischen Gazastreifen und Ägypten, um die Einfuhr humanitärer Güter nach Gaza zu erlauben, könnte laut UN-Institutionen und Vertretern der von der Hamas geführten Regierung unmittelbare Auswirkungen auf das Auskommen der dort lebenden 1,5 Millionen Palästinenser haben.
Der vollständige Bericht ist zu finden unter: http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportID=91848


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

IRIN (Integrated Regional Information Networks) ist der Informationsdienst des UN-Koordinationsbüros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) mit humanitären Nachrichten und Analysen

1 US-Dollar entspricht derzeit etwa 3,68 neuen israelischen Schekel


Übersetzungsdisclaimer: Redaktion SCHATTENBLICK hat den englischsprachigen Originalartikel von IRIN unabhängig ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzung wurde weder von IRIN noch von den Vereinten Nationen geprüft. Redaktion SCHATTENBLICK übernimmt die volle Verantwortung für die Korrektheit und Originalgetreue der Übersetzung. Der Originalartikel kann unter http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportID=91844 eingesehen werden.


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Quelle:
Prices soar in Gaza as Rafah, tunnels close
© IRIN 2011, 7. Februar 2011
Kontakt: IRIN Director, E-Mail: feedback@IRINnews.org
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Internet: www.irinnews.org
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2011