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GAZA/080: Waffengang und Widerstand - ungleiche Folgen ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. September 2014

Nahost: Krieg zu Ende, Wohnungskrise bleibt

von Khaled Alashqar


Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Durch die israelischen Raketenangriffe obdachlos gewordene Familien in einer Schule des UN-Palästinenser-Hilfswerks UNRWA im Gazastreifen
Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Gaza-Stadt, 11. September (IPS) - "Als die Bombardierung begann, bin ich mit meiner Familie zunächst in eine vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) geführte Schule geflohen, in der Hoffnung, dort sicher zu sein", erzählt Islam Abu Sheira aus Beit Hanoun, einer Stadt im Nordosten des Gazastreifens. "Doch in Windeseile quollen die Unterrichtsräume über, und die Sanitärverhältnisse waren dem Ansturm so vieler Menschen nicht gewachsen."

Seit zwei Monaten hausen Abu Sheira und die Seinen in einem provisorischen Zelt auf dem Grundstück des Al-Shifa-Hospitals in Gaza-Stadt. Die Erinnerung an die Zerstörung seines Hauses und an die von Geschützfeuern begleitete Flucht treiben dem Mann in den Vierzigern die Tränen in die Augen. "Die erste Nacht auf dem Gelände schliefen wir mit unseren sieben Kindern unter Bäumen, um den israelischen Raketen zu entgehen. Während des Krieges war das einzige, worum es uns ging, einen Platz zu finden, an dem wir vor den Bomben geschützt waren."


Alles verloren

Die meisten palästinensischen Familien haben durch die israelischen Raketenangriffe mehr als ihr Obdach verloren. "Von unserem Hab und Gut ist absolut nichts mehr übrig geblieben", berichtet Abu Sheira. "Meine Kinder müssen auf dem Boden schlafen. Es gibt doch nicht mal eine Decke, mit der wir sie zudecken könnten."

Jamila Saad hat zwölf Angehörige zu versorgen. Auch sie hat mit ihrer Familie nach einem kurzen Intermezzo in einer UNRWA-Schule am Ende Unterschlupf auf dem Klinikgelände gefunden. "Wir hoffen so sehr, dass unser Haus bald wieder aufgebaut wird, damit wir in einem neuen Zuhause endlich ein neues Leben beginnen können", sagt sie.

Trotz der massiven Präsenz internationaler Hilfsorganisationen ist ein Ende des menschlichen Elends im Gazastreifen noch lange nicht in Sicht. Die Lebensbedingungen tausender Flüchtlinge sind verheerend, und die palästinensische Regierung steht seit der zwischen Israel und Hamas ausgehandelten Feuerpause vor der schwierigen Aufgabe, die vielen Obdachlosen zu versorgen, ihnen ein sicheres Umfeld zu schaffen und die von der EU und den Geberstaaten finanzierten Wiederaufbauprogramme umzusetzen.

Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Kinder von Abu Sheira vor dem selbstgebauten Familienzelt auf dem Gelände des Al-Shifa-Hospitals
Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Wie Mufid al-Hasayna, Minister für öffentliche Arbeiten und Wohneinheiten in der neuen palästinensischen Einheitsregierung, erklärt, ist das Ausmaß der Zerstörung unbeschreiblich. Die Menschen lebten unter extrem schwierigen Bedingungen und man arbeite hart daran, ihre Lebensbedingungen zu verbessern und den Wiederaufbau voranzutreiben. Al-Hasayna zufolge haben sich der 50-tägige Krieg und die damit verbundene Angst, von einer Rakete getroffen zu werden, zudem verheerend auf die Psyche der Menschen ausgewirkt.


Wohnungsnot schon vor dem Krieg

Amjad Shawa vom Palästinensischen NGO-Netzwerk gibt zu bedenken, dass der jüngste bewaffnete Konflikt die ohnehin dramatische Wohnsituation der Palästinenser weiter drastisch verschärft habe. Bereits vor Beginn der sogenannten 'Operation Schutzlinie' hätten 70.000 Wohneinheiten gefehlt, die in den Kriegen von 2009 und 2012 zerstört worden waren.

"Nach den beiden Kriegen wurden geplante Wiederaufbauprojekte nicht durchgeführt, und der Mangel an Wohneinheiten hat die Bevölkerung in eine desaströse Lage gebracht", erläutert Shawa gegenüber IPS. Er ist der Meinung, dass die Palästinensische Behörde (PA) ein unabhängiges Gremium aus palästinensischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zusammenstellen sollte, das einen Wiederaufbauplan für den Gazastreifen entwickeln soll.

Einem Bericht des palästinensischen Statistikamts (PCBS) ist zu entnehmen, dass im Juni 2014 im Gazastreifen 1,76 Millionen Menschen auf einem zwölf Kilometer langen Küstenstreifen am Mittelmeer auf einer Gesamtfläche von rund 365 Quadratkilometern lebten. Die Bevölkerungsdichte im Gazastreifen beträgt 2.744 Menschen pro Quadratkilometer.

Experten zufolge müssen Ernährung, Gesundheitsversorgung und Bildung auf der künftigen Entwicklungsagenda der politischen Entscheidungsträger an oberster Stelle stehen. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/09/war-over-but-not-gazas-housing-crisis/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2014