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NAHOST/009: Bagdad letzter Stein - lösen, halten und ganz fest ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. September 2014

Irak: Auf der Suche nach einem 'unabhängigen' sunnitischen Verteidigungsminister

von Barbara Slavin



Washington, 29. September (IPS) - Die irakische Regierung ist nach Angaben des neuen Staatspräsidenten Fuad Masum auf der Suche nach einem "unabhängigen" sunnitischen Verteidigungsminister, um die Chancen auf eine Wiedervereinigung des Landes und einen Sieg über die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) zu erhöhen.

Wie Masum am 26. September vor Experten der US-amerikanischen Denkfabrik 'Council on Foreign Relations' (CFR) in New York erklärte, werden sich die irakischen Kurden, selbst wenn sie ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten sollten, in diesen gefährlichen Zeiten nicht vom Irak abspalten.

Derzeit seien die Voraussetzungen für einen kurdischen Staat nicht gegeben, betonte Masum, ein Kurde und ehemaliger Ministerpräsident der irakischen Kurdenregion, auf einer gut besuchten CFR-Veranstaltung. Die Gründung eines kurdischen Staates sei ein Projekt, das die Standpunkte der Nachbar- und anderen Länder und die außergewöhnlichen Umstände durch die terroristische Bedrohung des Iraks nicht ignorieren könne.

Die Gefahr, dass die irakischen Kurden ein solches Referendum abhalten, um sich vom Irak abspalten zu könnten, war von der US-Regierung, den irakischen Sunniten und dem Iran als Druckmittel eingesetzt worden, um den ehemaligen irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki zum Rücktritt zu bewegen und diesen durch ein weniger polarisierendes Mitglied der schiitischen Dawa-Partei - Haider al-Abadi - zu ersetzen.


Zähes Ringen um einen Verteidigungs- und einen Innenminister

Doch bisher ist es dem neuen Ministerpräsidenten nicht gelungen, seine Wahlkandidaten für die sensiblen Posten des Verteidigungs- und des Innenministers durchzusetzen. Dazu meinte Masum in New York, man sei sich wohl darin einig, dass der Verteidigungsminister ein "unabhängiger Sunnit" und der Innenminister ein "unabhängiger Schiit" sein müsste.

Bis auf weiteres werden die Regierungsgeschäfte nun von Abadi geführt, der jedoch keinen Zweifel daran ließ, dass er sich nicht wie sein Amtsvorgänger an die Macht klammern, sondern nur eine befristete Zeit im Amt bleiben werde. Masum zufolge wird die Entscheidung wahrscheinlich nach dem islamischen Opferfest 'Eid al-Adha' fallen, das in diesem Jahr auf den Zeitraum 4. bis 7. Oktober fällt.

Der irakische Präsident vermeldete auf der CFR-Veranstaltung Erfolge bei der Neuregelung der Erdöleinnahmen, die unter Maliki ebenfalls ein Streitpunkt gewesen waren. Man habe beschlossen, dass alle Regionen des Iraks in einem übergeordneten Rat für Erdöl und Erdgas vertreten sein würden. Darüber hinaus sprach Masum dem neuen Ölminister Adel Abdel-Mahdi sein Vertrauen aus.

Auf die Frage, ob der Irak in drei Länder zerfallen könnte, wie dies von US-Vizepräsident Joe Biden vorgeschlagen worden war, erklärte Masum, dass derzeit ein konföderaleres System denkbar sei. "Doch die Aufteilung des Iraks [...] in drei unabhängige Staaten halte ich insbesondere in der aktuellen Situation für weit hergeholt."

Masum äußerte sich auf der Veranstaltung in New York auch zur Entstehungsgeschichte des IS oder ISIS. Die Gruppe sei noch während der US-Besatzung "eine Ehe zwischen nationalistischen Militäroffizieren und religiösen Extremisten" eingegangen. Der Plan, Irak mit der Levante aus den Ländern Libanon, Syrien, Palästina und Jordanien zu einem großen Reich zu verschmelzen, sei ein altes arabisches nationalistisches Konzept.

Bezugnehmend auf die religiösen Aspekte der Bewegung erinnerte Masum an die sogenannten Haschischin - Haschischkonsumenten -, auch Assassinen genannt. Diese Ende des 11. Jahrhunderts entstandene schiitische Gruppierung stellte für die damaligen sunnitischen Herrscher mit angeblich unter Drogen begangenen Selbstmordattentaten eine ernste Herausforderung dar. Von den Assassinen hat sich das englische Wort 'assassin' (Attentäter) abgeleitet. "Es geschieht immer wieder, dass Terrorakte im Namen einer Religion oder Sekte begangen werden", sagte der irakische Präsident.

Masum begrüßte die Entscheidung der USA, den Irakern und Kurden gegen den IS zu Hilfe zu eilen. Ebenso äußerte er sich positiv über die Bombardierung von IS- und Al-Nusra-Stellungen in Syrien. Auf wiederholte Fragen seiner Zuhörer, ob solche Anschläge nicht das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stärken würden, ging der Staatschef nur insofern ein, als dass er die Schläge gegen den IS in Syrien weder als Unterstützung des Regimes noch als Anfang vom Ende der Herrschaft von Baschar al-Assad verstanden wissen wolle.


"Gemeinsame Interessen"

Auf die Beziehungen des Iraks zum Iran und Vorwürfen, die USA und der Iran schickten die Iraker und Kurden im Kampf gegen den IS vor, erklärte Masum, dass der Irak historische Beziehungen zum Nachbarland unterhalte und es gemeinsame US-irakische Interessen gebe. "Wir betrachten die USA nicht mit iranischen Augen, und wir betrachten den Iran nicht mit US-amerikanischen Augen", sagte er. Fragen über die militärische Rolle des Irans im Irak umging er mit dem Hinweis, dass er zwar die Berichte kenne, wonach der Chef der iranischen Kuds-Einheit, Kassim Soleimani, die Kurdenregion besucht habe. Anfragen nach einem Treffen seien nicht erfüllt worden.

Bezugnehmend auf Äußerungen iranischer Militärberater, die nach eigenen Angaben bei der Befreiung der Stadt Amerli und der Lockerung der Belagerung des Sindschar-Gebirges geflohen waren, meinte Masum dass es "viele Experten" gibt, die den kurdischen Peschmerga-Truppen zu Hilfe gekommen seien.

Masum führte den Zusammenbruch der irakischen Armee in Mossul auf Führungsschwächen, Korruption und Jahrzehnte lange Rückschläge zurück, die mit dem Angriff des ehemaligen irakischen Machthabers Saddam Hussein auf den Iran im Jahre 1980 ihren Anfang genommen hätten. Ein Jahrzehnt später sei dann der Einmarsch in Kuwait erfolgt und im Anschluss daran die irakische Weigerung, mit der internationalen Gemeinschaft zu kooperieren. "Alle diese Schläge haben sich negativ auf die Psychologie der Kommandanten und Soldaten ausgewirkt", meinte das irakische Staatsoberhaupt. Die irakischen Streitkräfte seien von einem Misserfolg in den nächsten geschlittert.

Masum zufolge wird nun jeder irakische Regierungsbezirk seine eigene nationale Garde aus Personen des näheren Umfelds aufstellen. Dieses Konzept, das teilweise von Saudi-Arabien und anderen reichen Golfstaaten finanziert werden soll, stellt den Versuch dar, die Erfolgsgeschichte der so genannten 'Söhne des Iraks' zu wiederholen. So sollen sunnitische Stammesangehörige, die bereits gegen die Al-Kaida gekämpft hatten, gegen die IS mobilisiert werden.


Gefahr von "Schläferzellen"

Der irakische Präsident wurde von den CFR-Experten nach seiner zuvor geäußerten Meinung gefragt, wonach mit IS-Anschlägen auf US-amerikanische und französische U-Bahn-Systeme zu rechnen sei. Irakische Regierungsvertreter, die ihn in die USA begleitet hatten, erklärten unter der Bedingung der Anonymität, dass Abadi falsch verstanden worden sei. Er habe sich mit seinen diesbezüglichen Äußerungen auf mögliche Angriffsformen bezogen, die der IS im Westen durchführen könnte. Masum warnte seinerseits vor "Schläferzellen", die sowohl im Westen als auch im Irak Terrorakte planen könnten.

Masum zeigte sich zuversichtlich, dass die Türkei nach der Geiselnahme von 49 inzwischen befreiten Türken in Mossul eher zur Zusammenarbeit mit dem Irak bereit sein dürfte. Der irakische Präsident hatte während seines USA-Besuchs zudem Gelegenheit, sich bei den Vereinten Nationen mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan zu treffen.

Nach Ansicht von Masum muss die Türkei junge Männer aus Europa und den USA stärker als bisher durchleuchten und verhindern, dass diese in die Grenzgebiete und von dort aus in die IS-kontrollierten Gebiete in Syrien vordringen können. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/iraq-looking-for-an-independent-sunni-defense-minister/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2014