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NAHOST/011: Bagdad letzter Stein - Bündnisperspektiven ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Dezember 2014

Irak: Kurden im Spannungsfeld zwischen Bagdad und Ankara

von Mohammed A. Salih


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Ein PKK-Soldat vor einer Menschenmenge in den Kandilbergen
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Erbil, 5. Dezember (IPS) - Iraks Kurdische Regionalregierung (KRG) ist offenbar bestrebt, das seit Monaten gestörte Verhältnis zur Türkei wieder zu verbessern. Doch allzu eng sollen die Beziehungen dann doch nicht werden. Denn die Gefahr, Bagdad zu verärgern, mit dem sie sich kürzlich über ihre Erdölexporte einigen konnte, ist groß.

Das am 2. Dezember erzielte Abkommen ermöglicht Bagdad eine größere Kontrolle über das Erdöl, das in Kurdistan und im kurdisch besetzten Kirkuk produziert wird - ab nächstem Jahr, wenn der Vertrag in Kraft tritt, sind es täglich mindestens 250.000 beziehungsweise 300.000 Barrel. Im Gegenzug dazu wird die irakische Zentralregierung ihre Budgetzahlungen für die autonome Region Kurdistan deutlich aufstocken. Abgemacht sind 17 Prozent des irakischen Haushalts.

Die Übereinkunft wird auch als Versuch der kurdischen Regionalregierung in Erbil interpretiert, die Abhängigkeit von der Türkei zu verringern, mit der sie eine schwierige und wechselhafte Geschichte verbindet. Nach langen Jahren schlechter Beziehungen standen die Zeichen urplötzlich auf Tauwetter und haben sich vor allem seit dem Einmarsch der USA im Irak kontinuierlich verbessert.

Die ungleichen Machtverhältnisse machen die Ausbildung der 'strategischen' Beziehung besonders bemerkenswert. So stellt die Türkei innerhalb der Regionen Nahost und Eurasien eine feste Größe dar, während das irakische Kurdistan noch nicht einmal ein eigenständiger Staat ist.


Vertrauensbildung als Herausforderung

Und angesichts der tief verwurzelten, historischen Ablehnung Ankaras gegenüber allem Kurdischen grenzte der Gesinnungswandel der politischen Entscheidungsträger fast schon an ein Wunder. Doch im August, als die Truppen der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) in die kurdischen Gebiete im Irak eindrangen, kam es zu einem herben Rückschlag in den Beziehungen.

Auf die existenzielle Bedrohung der Kurden durch den IS reagierte die Türkei weitgehend mit Untätigkeit, was bei den Kurden Fassungslosigkeit und Zorn auslöste. KRG-Präsident Masud Barsani, Ankaras engster Verbündeter, sah sich gar dazu veranlasst, dem Iran öffentlich dafür zu danken, dass er die Peschmerga, die Streitkräfte der autonomen Region Kurdistan, in der Stunde der Not mit Waffen und anderen Nachschubgütern versorgte.

In dem Bemühen, den Schaden zu begrenzen, sahen sich einige KRG-Vertreter bemüßigt, die türkische Regierung in Schutz zu nehmen. Ankara seien aufgrund der Geiselnahme des türkischen Konsuls und der mehr als 40 Mitarbeiter die Hände gebunden, erklärten sie. Andere KRG-Vertreter zeigten sich weniger verständnisvoll und warfen der Regierung von Recep Tayyip Erdogan Ayyap vor, die irakischen Kurden im Stich gelassen zu haben.

Der Widerwille Ankaras, der Volksgruppe gegen den ruchlosen Feind IS beizuspringen, wurde auch auf den Ehrgeiz des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten zurückgeführt, die letzten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, was ihm auch gelang. Ebenfalls wurde ins Feld geführt, dass Erdogan nichts unternehmen wollte, um die Position seines Erzfeindes, des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, zu stärken - selbst auf die Gefahr hin, den sunnitischen Dschihadisten zuzuarbeiten.

Doch mit einer Charmeoffensive des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu konnten die Wogen ein wenig geglättet werden. Davutoglu besuchte auch die Gebirgsregionen, in denen türkische Sondereinheiten Mitglieder der Peschmerga ausbilden, und ein von der Türkei gebautes Flüchtlingslager für irakische Kriegsvertriebene steht.

Doch nach wie vor stellt sich die Frage, wie lange es dauern wird, bis sich die Beziehungen zwischen den beiden Seiten wieder soweit normalisiert haben, wie dies vor sechs Monaten der Fall war. Fest steht, dass beide Seiten aufeinander angewiesen sind, zumal davon auszugehen ist, dass sich Kurdistan als landeingeschlossenes Gebiet nach Alternativen umsehen wird, um sich eine bessere Verhandlungsposition gegenüber der irakischen Zentralregierung zu verschaffen.

Um die Grundlagen für eine möglichst große wirtschaftliche und politische Autonomie wenn nicht gar Unabhängigkeit von Bagdad zu schaffen, sind die Kurden bestrebt, ihre Öl- und Gasreserven möglichst selbst zu verwalten und zu verkaufen. Und aufgrund der geographischen Gegebenheiten ist klar, dass der geeignetste Weg durch die Türkei führt - mit oder ohne Segen Bagdads.


Ankara auf Kurden angewiesen

Für Ankara ist das irakische Kurdistan der einzige Freund in einer ansonsten feindlichen Region. Es gab Zeiten, da brüsteten sich türkische Politiker damit, ein unproblematisches Miteinander mit weitreichenden positiven Folgen wie der Umwandlung von Langzeitfeinden wie Syrien erreicht zu haben. Doch diese Ära ist es lange vorbei.

Ankara betrachtet das irakische Kurdistan zudem als einen potenziell wichtigen Energieversorger und bezieht sofort Partei für die KRG, wenn diese mit Bagdad aneinander gerät. Bagdad wiederum ist die Türkei-Bezogenheit der kurdischen Regionalregierung ein Dorn im Auge.

Das bislang letzte Mal, dass die Kurden einem Nachbarn ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbrachten, war in den 1960er und 1970er Jahren. Damals unterstützte der Schah von Persien, Mohammad Resa Pahlavi, ihren Aufstand als Druckmittel gegen Bagdad. Als der Schah in Reaktion auf territoriale Zugeständnisse des irakischen Präsidenten Saddam Hussein im Jahr 1975 die finanzielle Unterstützung für die irakischen Kurden wieder einstellte, kam dies einer Katastrophe gleich.

Angesichts der türkischen Passivität im August, als der IS eine existenzielle Bedrohung des gesamten irakischen Kurdistans darstellte, fühlten sich viele Kurden an die Zeit erinnert, als ihr Vertrauen in einen Nachbarn schon einmal enttäuscht wurde. "Die einzigen Freunde der Kurden sind die Berge", hieß es.

Die IS-Belagerung der syrischen Stadt Kobani, die nur einen Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt, hat zu Protesten aller Kurden in der Region einschließlich der Türkei geführt. Durch die Weigerung Ankaras, den irakischen Kämpfern gegen den IS beizustehen, war es für die KRG besonders schwierig, den neuerlichen Versöhnungsprozess anzuschieben.

Auch wenn Ankara unter dem Einfluss der USA seine Haltung inzwischen geändert hat und den Peschmerga inzwischen in begrenztem Umfang erlaubt, die kurdischen Stellungen in Kobani mit Lebensmitteln zu versorgen und militärisch zu verstärken, geht die Aussöhnung nur langsam vonstatten. Außerdem ist unklar, wie weit beide Seiten gehen werden. Wird es erneut dazu kommen, dass sich Ankara und Erbil geeint gegen Bagdad positionieren, oder wird Erbil diesmal eine gesunde Distanz sowohl zu Ankara als auch zu Bagdad wahren?

Das am 2. Dezember mit der irakischen Zentralregierung geschlossene Erdölabkommen lässt vermuten, dass das Pendel in Richtung Bagdad ausschlagen könnte. Dafür spricht auch das gemeinsame Interesse, den IS zu bekämpfen und die Verluste infolge des internationalen Ölpreisverfalls abzufedern. Doch angesichts der langen Geschichte besiegelter und wieder gebrochener Abkommen ist alles möglich. (Ende/IPS/kb/2014)


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IPS-Tagesdienst vom 5. Dezember 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2014