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SYRIEN/025: Dominostein Damaskus - Geißel des Glaubens (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Oktober 2013

Syrien: 'Terrorgruppen vertreiben Kurden' - Interview mit YPG-Aktivist Khalil

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Der syrische Kurdenaktivist Redur Khalil
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Qamishli, Syrien, 29. Oktober (IPS) - Offenbar von der Türkei in das Bürgerkriegsland Syrien eingeschleuste islamistische Extremisten bedrohen die kurdische Bevölkerung, wie der Widerstandskämpfer Redur Khalil berichtet. "Diese Terroristengruppen töten und entführen Kurden, vertreiben die Menschen aus ihren Dörfern und plündern", sagt das ehemalige militante Mitglied der Kurdischen Arbeiterpartei PKK im Interview mit IPS.

Khalil ist seit Beginn des Bürgerkriegs ranghohes Mitglied der bewaffneten Gruppe 'Yekineyen Parastina Gel' (YPG - Volksschutzeinheiten). Beobachtern zufolge ist es den kurdischen Kämpfern dank dieser Gruppe gelungen, in dem Krieg ihre Gebietsansprüche im Norden des Landes zu verteidigen.

Mit etwa 40 Millionen Mitgliedern sind die Kurden das größte staatenlose Volk der Welt. Drei Millionen leben allein in Syrien, was sie zusammen mit den ebenso zahlreich vertretenen Alawiten, der ethnisch-religiösen Gruppe von Präsident Baschar al-Assad, zu den größten Minderheiten im Lande macht.

Wie Khalil im YPG-Hauptquartier in Qamishli im Nordosten Syriens erläutert, halten die Kurden ihre Gebiete im Norden des Landes weiterhin unter Kontrolle. Die Region befindet sich in einem prekären Gleichgewicht zwischen der aufständischen Freien Syrischen Armee (FSA) und Assads Truppen.

Als größte Bedrohung für die Stabilität erscheinen Gruppen, die mit dem Terrornetzwerk Al Qaeda zusammenarbeiten. Mehrere von ihnen sollen aktiv von der Türkei unterstützt werden. Es folgen Auszüge aus dem IPS-Interview mit Khalil.

IPS: Wie ist die derzeitige Sicherheitslage in den kurdisch kontrollierten Gebieten?

Redur Khalil: Seit dem 16. Juli liefern sich unsere Truppen auf unserem gesamten Territorium ständig Gefechte mit Gruppen, die mit der Al Qaeda verbunden sind, etwa mit 'Jabhat' in Nusra oder ISIS (Islamischer Staat Iraks und der Levante).

Diese Terroristengruppen töten und entführen Kurden, vertreiben die Menschen aus ihren Dörfern und plündern. Nach heftigen Zusammenstößen in Gebieten wie Afrin, 340 Kilometer nördlich von Damaskus, und Serekaniye, 506 Kilometer nördlich der Hauptstadt, haben wir sie bis nach Til Kocer, 840 Kilometer nordöstlich von Damaskus an der syrisch-irakischen Grenze, abgedrängt.

IPS: Viele behaupten, dass die Türkei Dschihadisten-Zellen über ihre Grenze geschleust hat. Was denken Sie darüber?

Khalil: Daran besteht kein Zweifel. Vor ein paar Tagen haben wir sie wieder gesehen, wie sie von der türkischen Grenze her kamen. Wir sind von ihrer Seite aus sogar von türkischer Artillerie angegriffen worden. Zwei unserer Kämpfer starben durch Gewehrfeuer türkischer Soldaten auf der anderen Seite. Wir verfügen inzwischen auch über eine riesige Sammlung von Personalausweisen, die Kämpfern aus Ägypten, Tunesien oder Bahrain gehörten. Viele kamen aus dem Irak und bis jetzt drei aus der Türkei.

IPS: Auch Assads Soldaten sind in den Kurdengebieten präsent. Wie erklärt sich die Präsenz so vieler fremder Kämpfer?

Khalil: Zwei Dinge kommen bedauerlicherweise zusammen: zum einen der türkische Chauvinismus, der jeden Schritt hin zu einer Anerkennung des kurdischen Volks in Syrien oder anderswo boykottieren will, und andererseits der Traum der arabischen Islamisten von einem islamistischen Staat.

Wir Kurden sind zwischen diesen beiden Plänen gefangen. Da wir und nicht das Regime für sie ein großes Hindernis sind, bekämpfen sie uns jetzt. In den vergangenen 20 Monaten wurden mehr als 20 Selbstmordanschläge auf uns verübt.

Assad hat Dschihadisten aus dem ganzen Land aus der Haft entlassen. Gäbe es sie nicht, wäre das Regime schon vor langer Zeit gestürzt worden.

IPS: Haben Sie Kontakte zu diesen Gruppen oder zu Assads Soldaten?

Khalil: Vor ein paar Tagen haben wir einige Gefangene im Austausch gegen die Leichen unserer Märtyrer freigelassen. Das ist alles. Mit dem Assad-Regime hat die YPG keinerlei Verbindungen.

IPS: Gerüchte kursieren, dass PKK-Kämpfer in die syrischen Kurdengebiete strömen, um sich Ihren Reihen anzuschließen.

Khalil: Das stimmt nicht. Wir warten auch nicht auf sie, weil wir deutlich erkannt haben, dass wir die Lage allein im Griff haben. Wir haben eine Armee mit 45.000 Kämpfern, die alle 45 Tage lang in verschiedenen Lagern in den Kurdengebieten ausgebildet worden sind.

IPS: Dennoch hat die PJAK - das Pendant der PKK im iranisch-kontrollierten Kurdistan - öffentlich erklärt, dass sie mit Ihnen kämpfen will.

Khalil: Sie sind darauf vorbereitet, ihre Kämpfer zu schicken. Aber wie ich schon sagte, kommen wir allein klar. PKK und PJAK sind willkommen, wenn sie kommen wollen, doch momentan brauchen wir sie nicht wirklich.

IPS: Sind auch Nicht-Kurden in Ihren Reihen vertreten?

Khalil: Araber, Assyrer und Turkmenen haben sich uns angeschlossen. Sie kommen aus allen Schichten. 35 Prozent von ihnen sind Frauen. Wir leben seit Jahrhunderten mit ihnen zusammen, sie sind genau wie wir integraler Bestandteil von Kurdistan. YPG geht es darum, das westliche Kurdistan mit all seinen ethnischen, nationalen und religiösen Abstufungen zu schützen.

IPS: Es wird aber auch erzählt, dass YPG Kinder rekrutiert.

Khalil: Das Rekrutieren von Kämpfern unterhalb des gesetzlichen Mindestalters lehnen wir vollständig ab. Nach den Regelungen, die in diesem Gebiet gelten, ist das verboten. Leider hat dies nicht verhindert, dass einige wenige von ihnen sich uns als Freiwillige unter dem Druck der derzeitigen Verhältnisse und aufgrund der Unachtsamkeit mancher angeschlossen haben. In diesen wenigen Fällen war es ihnen nicht gestattet, an Militäroperationen teilzunehmen.

IPS: Kurdische Oppositionsparteien haben die YPG beschuldigt, gegen Demonstranten in der Stadt Amude wahllos Gewalt auszuüben, die im Juni zum Tod von drei Aktivisten geführt hat.

Khalil: Wir besitzen Videos, Fotos und Dokumente, die zeigen, dass das, was in Amude passierte, Teil einer Verschwörung war. Bewaffnete Männer schlossen sich den Protesten an und zögerten nicht, einen YPG-Konvoi zu beschießen, der von einem Kampfeinsatz am Rand von Hasakah, 550 Kilometer nordöstlich von Damaskus, zurückkehrte. Ein Mitglied der YPG, Sabri Gulo, wurde bei dem Angriff getötet, zwei weitere Kämpfer wurden verwundet.

IPS: Woher bekommen Sie Geld und Nachschub?

Khalil: Wir werden von dem Obersten Kurdischen Komitee unterstützt und erheben außerdem Steuern an den Grenzen der von uns kontrollierten Gebiete.

IPS: 'Jabhat al-Akrad' ist eine bewaffnete kurdische Einheit, die aber nicht auf der Seite der YPG kämpft. Gibt es Beziehungen zu ihr, und wenn ja, welche?

Khalil: Jabhat al-Akrad wurde als kurdische Einheit gegründet und schloss sich der FSA in Aleppo an, geriet aber mit ihr aneinander, als die arabische Opposition die Kurdengebiete angriff. Die Gruppe setzt sich ebenfalls für den Schutz der Kurdengebiete ein.

IPS: Wie sehen Sie den Friedensprozess zwischen der Regierung in Ankara und den türkischen Kurden?

Khalil: Wie üblich hat sich die kurdische Seite nach vorn bewegt, während die Türken bisher keinen Finger krumm gemacht haben. Trotz aller Hindernisse bin ich fest davon überzeugt, dass es endlich Frieden geben wird und die Streitfragen beigelegt werden. Dies fordert nicht nur eine Seite, sondern die gesamte türkische Gesellschaft. Bis dahin mag es länger dauern als erwartet, aber ich bin sicher, dass es am Ende so sein wird. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/10/qa-terrorist-groups-are-killing-abducting-and-displacing-kurdish-people/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2013