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SYRIEN/047: Syrien - kriegsmüde Bürger (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Mai 2014

Syrien: Einwohner von Damaskus suchen Normalität in Zeiten des Bürgerkriegs

von Eva Bartlett


Bild: © Eva Bartlett/IPS

Kunst für den Frieden in Damaskus
Bild: © Eva Bartlett/IPS

Damaskus, 16. Mai (IPS) - Am Nachmittag eines Werktags wimmelt es in der Altstadt von Damaskus von Menschen, Autos, Motor- und Fahrrädern. Auf den Märkten preisen Händler duftende Gewürze, wohl riechende Parfums, Kleidung und andere Waren an. Auf dem Hamidiyah-Markt finden Besucher so ziemlich alles, was sie täglich brauchen.

Am Ende der römischen 'Via Recta' (gerade Straße) spielen einige Jungen zwischen antiken Säulen Fußball. Auch im vierten Jahr des verheerenden Unterfangens, mit Unterstützung des Auslands die Regierung von Präsident Baschar al-Assad zu stürzen, ist die Hoffnung auf bessere Zeiten noch nicht ganz verflogen. In den engen Gassen der Altstadt flanieren Paare Hand in Hand. Ältere Männer grüßen sich mit einem breiten Lächeln und Wangenküssen. Aus den geöffneten Türen der Wohnhäuser dringt Musik auf die Straße, die Innenhöfe strotzen vor Grün. Ein Milchmann ist auf dem Fahrrad unterwegs, an dem große Kanister befestigt sind.

In den geräumigen historischen Gebäuden, die zu Hotels oder Restaurants umgebaut wurden, sitzen jedoch keine Touristen. Auch Ladenbesitzer kennen das Problem nur zu gut: Ihre Waren finden keine Käufer. Bassam betreibt das Antiquitäten- und Schmuckgeschäft seiner Familie. Giovanni hat ein Geschäft in einem imposanten Haus mit hohen Gewölben und Holzverzierungen. "Früher kamen viele Leute hierhin", erinnert er sich und holt ein Foto hervor, auf dem er mit zusammen mit einer Frau zu sehen ist. "Das ist Catherine Deneuve, die französische Schauspielerin", sagt er stolz.

Im kühlen Innern der Umayyad-Moschee beten die Gläubigen, und ein Junge wirbelt wie ein tanzender Derwisch durch den Raum. Draußen sitzen Frauen mit ihren Kindern in schattigen Höfen und essen Sandwiches. Auf dem großen Platz gegenüber der Moschee tummeln sich Händler, die Essen und Kleidung anbieten. Kinder versuchen Rosen zu verkaufen, andere sind damit beschäftigt, Tauben zu füttern.

"Langsam wird alles besser", meint ein Popcorn-Verkäufer in den Zwanzigern. "Das Leben hier läuft gut, die Dinge normalisieren sich, und die Regierung unterstützt uns. In mein Haus in Babbila, am Rand von Damaskus, kann ich aber nicht zurück, weil dort die Rebellen das Sagen haben."


Rebellen greifen aus Vorstädten an

Fast täglich greifen bewaffnete Gruppen von Dörfern bei Damaskus aus Wohngebiete in der Hauptstadt mit Mörsergranaten an. Am 15. April wurde die Manar-Grundschule getroffen. Ein Kind starb, 62 Schüler wurden verletzt. An dem Morgen fielen auch Bomben auf einen Kindergarten in demselben dichtbesiedelten Viertel. Drei Kinder trugen Verletzungen davon.

Ende April wurde das Bader-Eddin-al-Hassni-Institut für Religionswissenschaften Ziel eines Angriffs, bei dem 14 Studenten getötet und weitere 86 verletzt wurden, wie die Nachrichtenagentur SANA berichtete.

Immer wieder fliegen nur etwa 100 Meter vom östlichen Stadttor des historischen Zentrums entfernt Kugeln durch die Luft. Sie werden von Jobar aus, einem von den Rebellen kontrollierten Vorort, abgefeuert.


Ausländische Besucher trauen sich nicht mehr her

In Al-Midan, einem Viertel von Damaskus, in dem traditionell Süßigkeiten produziert werden, haben die Händler zwar noch einheimische Kunden, vermissen jedoch die ausländischen Besucher. "Ich brachte ganze Gruppen vor allem wegen der Süßigkeiten hierhin", erzählt der Journalist Anas, der für das syrische Fernsehen arbeitet. "Inzwischen gibt es hier aber keine Touristen mehr."

Der Student Nagham erzählt, selbst Einheimische kämen nicht mehr nach Midan. "Die Leute haben Angst, weil Midan so nah bei Yarmouk liegt. Hier ist es zwar sicher, aber sie befürchten, dass die Terroristen in Yarmouk Mörsergranaten abschießen."

Aufgrund der zahlreichen Angriffe und Autobomben-Attentate auf Zivilisten sind über ganz Damaskus und Umgebung verteilt Kontrollpunkte errichtet worden. Während Soldaten Sprengsätze in Fahrzeugen suchen, staut sich der Verkehr. Ohne diese Checkpoints würden aber noch viel mehr Zivilisten ihr Leben verlieren.

Auch die Einwohner der umkämpften Stadt Homs wissen nur zu gut, welches Blutvergießen die Autobomben-Anschläge verursachen. Am 9. April detonierten zwei solcher Sprengsätze nacheinander in derselben Straße eines Wohnviertels. Wie staatliche syrische Medien berichteten, starben dabei 25 Zivilisten und mindestens 107 wurden verletzt. Am 29. April wurden weitere 42 Menschen in Homs durch zwei Autobomben und eine Rakete getötet.

Homs ist aber zugleich ein Ort, an dem die Aussöhnung zwischen den Konfliktparteien sichtbar vorankommt. Fast täglich legen Kämpfer ihre Waffen nieder und sprechen sich für eine politische Lösung des Bürgerkriegs aus. In der nahe der türkischen Grenze gelegenen Küstenstadt Latakia, etwa 350 Kilometer nordwestlich von Damaskus entfernt, haben vertriebene Syrer aus dem von Armeniern bewohnten Dorf Kasab Zuflucht in der Armenischen Orthodoxen Kirche gefunden.


Extremisten aus Al-Qaeda-Umfeld terrorisieren Bevölkerung

Am 21. März begannen bewaffnete Gruppen damit, Raketen aus der nahen Türkei auf das Dorf abzufeuern. Später drangen sie in den Ort ein und verübten Gräueltaten an der Bevölkerung. Berichten zufolge wurden 80 Menschen getötet und fast 2.000 in die Flucht getrieben. Bei den Angreifern soll es sich um 1.500 Tschetschenen und andere Ausländer handeln, die mit dem Terrornetzwerk Al Qaeda verbunden sind und von Sondereinsatzkräften der türkischen Armee unterstützt werden.

"Sie zerstören unsere Häuser, aber wir gehen wieder zurück", sagt Suzy aus Kasab. "Wir glauben an die Syrisch-Arabische Armee." Die Frau berichtet, dass die Extremisten alte Frauen vergewaltigten, weil sie keine Mädchen finden konnten. Alles sei zerstört worden, auch eine Statue der Jungfrau Maria. Häuser seien ausgeplündert worden. Die Legitimität von Präsident Assad stellt Suzy nicht in Frage: "Wir haben einen Führer, den wir sehr lieben. Wir wollen ihn und wir wollen unser Syrien zurück."

An einer Stelle in der von der syrischen Armee gesicherten Stadt Latakia, die aus einiger Entfernung mit Raketen angegriffen wird, vergnügen sich Kinder und Jugendliche in einem Springbrunnen in einem großen, sauberen Park. Männer und Frauen rauchen derweil Wasserpfeife und plaudern miteinander.


Eintracht zwischen Religionsgruppen in Latakia

Fadia, eine nicht verschleierte Muslimin, erklärt, dass es in der Stadt selbst keine großen Probleme gebe. "Wir lieben unseren Präsidenten und unser Land, aber die Truppen da draußen wollen Syrien zerstören. Dabei kommen Christen, Muslime, Armenier und Alawiten hier gut miteinander aus. Wir sind eine große Familie, niemand kann uns auseinandertreiben."

Eine Kalifornierin, die seit über 20 Jahren in Syrien lebt, hat beobachtet, wie zu Beginn des Konflikts Protestierende die syrische Polizei und die Sicherheitskräfte attackierten. "Doch die Einwohner von Latakia haben sich sofort gegen sie gestellt. Die Bevölkerung akzeptiert ein solches Vorgehen nicht. Rebellen erhalten hier wenig Unterstützung - unsere Stadt ist friedlich."

In Damaskus haben sechs Künstler an der Hauptstraße zum Viertel al-Mezze ein großes Wandbild geschaffen. Das farbige Mosaik an einem Schulgebäude, das aus Ziegeln und recycelten Objekten besteht, soll vor allem die Kinder erfreuen, wie der Leiter der Gruppe, Moaffak Makhoul, betont. "Und wir wollen damit der ganzen Welt die Botschaft übermitteln, dass wir Syrer das Leben lieben." (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/05/syria-life-goes-despite-everything/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2014