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SYRIEN/049: Dominostein Damaskus - im kollateralen Räderwerk (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2014

Syrien: Rebellenbasen in Bergdörfern rüsten sich für größere Gefechte - Tausende Menschen vertrieben

von Shelly Kittleson


Bild: © Shelly Kittleson/IPS

Syrische Rebellen in den Bergen von Latakia
Bild: © Shelly Kittleson/IPS

Jabal al-Akrad, Syrien, 21. Mai (IPS) - Östlich der syrischen Hafenstadt Latakia, über die Regierungstruppen herrschen, haben drei Jahre Bombenangriffe schwarzverkohlte Baumstümpfe auf den bewaldeten Gebirgszügen hinterlassen. In den von Sunniten besiedelten Dörfern, deren Einwohner mehrheitlich die Oppositionskräfte unterstützen, sind von den Häusern nur noch zerfallende Betonstrukturen übriggeblieben.

Eine Allianz aus gemäßigten Rebellengruppen und Islamisten hat die Extremistengruppe 'Islamischer Staat Irak und Al-Sham' (ISIS) Anfang Januar weitgehend aus dem Gebiet vertrieben. Die für ihre Brutalität bekannte Splittergruppe der Al Qaeda, die von dem Chef des globalen Terrornetzwerks abgelehnt wird, übt allerdings noch über weite Teile des Ostens Syriens Macht aus.


Menschen fliehen vor Belagerung und Bombardements

Mehrere Tausend Einwohner aus der Gebirgszone nahe der syrischen Küste sind inzwischen in die Türkei oder in andere Länder geflohen. Viele lebten in Gebieten, die von Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad belagert werden. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass landesweit etwa 250.000 Menschen in einem Belagerungszustand leben. Andere sind den unablässigen Luftangriffen des Regimes ausgesetzt. Sunniten wiederum fliehen vor der Verfolgung durch die Alewiten, die ihre Hochburg in Latakia haben.

Die verbleibenden Kampfgruppen im Land folgen unterschiedlichen Ideologien, die teils kaum von den radikalen Überzeugungen von ISIS zu unterscheiden sind. Wie viele Mitglieder diese Verbände haben, steht nicht genau fest. Schätzungen zufolge dürfte etwa die Islamische Front, die einen säkularen Staat ablehnt, mehr als 40.000 Mitglieder haben. Auf Seiten der mit der Al Qaeda verbundenen Gruppe 'Jabhat Al-Nusra' sollen etwa 6.000 Mann kämpfen.

An der Straße, die zu der höchsten Erhebung in Jabal Al-Akrad führt, sind auf dem Balkon eines Hauses bewaffnete Männer zu sehen, die die Umgebung beobachten. Es soll sich um Marokkaner handeln, die der kleinen islamistischen Gruppe 'Sham al-Islam' angehören. Sie wurde im August 2013 in der syrischen Küstenregion von einem früheren Häftling des US-Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba gegründet. Offenbar gehen von den nordafrikanischen Dschihadisten derzeit keine Angriffe aus.


Bis an die Zähne bewaffnete Gruppen

Auch schwer bewaffnete Kämpfer von Jabhat Al-Nusra halten sich noch in dem Gebiet auf. Die Farouq-Brigaden, die nach eigenen Angaben die Kontrolle über mindestens die Hälfte der etwa 50 Dörfer in Jabal Al-Akrad ausüben, haben im ganzen Land etwa 17.000 Anhänger. Die Brigaden, die keinen klaren politischen Standpunkt einnehmen, sind eine der größten Rebellengruppen, die in anderen Landesteilen weiterhin gegen ISIS vorgehen.

Kämpfer der Brigaden starben schon früher bei Auseinandersetzungen mit Jabhat Al-Nusra. Derzeit lassen sich die Gruppen gegenseitig in Ruhe, bleiben aber auf Abstand. Sie eint lediglich die Feindschaft zu den Regierungstruppen.

Der Chef der Brigaden, ein ehemaliger Rechtsanwalt aus Homs namens Abu Sayeh, erklärte, dass seine Gruppe dafür kämpfe, dass die Syrer selbst eine Wahl treffen könnten. Die Farouq-Brigaden wurden 2011 in der drittgrößten Stadt Homs gebildet, die als 'Wiege der Revolution' gilt. Etwa 140 Kilometer nordöstlich von Damaskus gelegen, gilt Homs auch als 'Stalingrad des 21. Jahrhunderts', seit Truppen des Regimes dort während ihrer Belagerung verheerende Angriffe verübt haben.

Die Brigaden, denen viele übergelaufene Armeeoffiziere angehören, sind relativ gut organisiert. Dennoch haben sie im Laufe der Jahre an Boden gegenüber den finanziell besser gestellten extremistischen Gruppen verloren. Verlorenes Terrain konnten sie in den vergangenen Monaten aber dadurch wieder wettmachen, dass sie gemeinsam mit der größten Gruppe Syrische Revolutionäre Front (SRF) gegen ISIS kämpften. SRF hat ihren Stützpunkt in der Region Idlib östlich der Jabal Al-Akrad-Berge und verfügt nach eigenem Bekunden über etwa 18.000 militante Mitglieder in allen Landesteilen.

Laut ihrem Führer sind die Brigaden vollständig auf individuelle Spenden sowie auf bei Gefechten erbeutete Waffen und Munition angewiesen. SRF soll hingegen regelmäßig Unterstützung aus Saudi-Arabien erhalten.


Alewiten als Geiseln genommen

Die Kommandeure beharren darauf, dass sie nicht aus Glaubensgründen in den Kampf ziehen. Die christlichen Bewohner der Region würden weiterhin von der Gemeinschaft unterstützt. Auf die alewitischen Geiseln aus Bergdörfern angesprochen, die zeitweise unter Kontrolle der Rebellen standen, erklärten die Kommandeure, dass es ihnen gut gehe.

Unter den Geiseln soll sich auch ein alewitischer Scheich befinden. Anders als Anfang 2013, als mehr als 2.000 gefangene Rebellen gegen 48 Iraner ausgetauscht wurden, macht die Regierung bisher keine Anstalten, sich wieder auf einen solchen Handel einlassen zu wollen.

Viele Menschen, die aus Syrien fliehen mussten, erklärten, dass sie einen Waffenstillstand unterstützen würden, wenn dadurch das Morden aufhöre. Das Assad-Regime lehnt eine Waffenruhe bislang ab und nennt alle Bewohner von Rebellengebieten weiterhin 'Terroristen'. Weite Teile des Landes werden fortwährend angegriffen, angeblich auch mit chemischen Waffen, während die Bewohner Hunger leiden. Zudem ist das Regime nach eigenem Bekunden fest entschlossen, den Krieg zu gewinnen - wenn auch nur mit zunehmender Unterstützung durch die irakischen Schiitenmilizen, die libanesische Hisbollah und den Iran.


Wahlen eine Farce

Für den 3. Juni sind zwar Präsidentschaftswahlen vorgesehen. Da jedoch die Ausgabe neuer Registrierungskarten gesetzlich vorgeschrieben ist, wird die Stimmabgabe in den Rebellengebieten praktisch unmöglich.

Auch die mehr als neun Millionen Vertriebenen können nicht zur Wahl gehen. In den ausgehungerten und belagerten Gebieten haben sich viele Menschen aus der Not heraus bereit erklärt, die Flagge des Regimes zu hissen. Etliche wurden verhaftet. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/05/syrian-rebel-held-mountain-villages-preparing-bigger-battles/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2014