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WESTSAHARA/040: Marokko/Westsahara-Kapitel des Human Rights Watch-Weltberichts 2011 (HRW)


Human Rights Watch - 24. Januar 2011

World Report 2011: Kapitel über Marokko / Westsahara

Ereignisse 2010


Im Jahr 2010 waren die Menschenrechtsbedingnungen in Marokko und Westsahara gemischt und in einigen Aspekten ausgesprochen schlecht. Die Regierung benutzte eine repressive Gesetzgebung und willfährige Gerichte, um friedliche Oppositionelle zu bestrafen und ins Gefängnis zu bringen, insbesondere solche, die Tabus bezogen auf Kritik am König und an der Monarchie, Zweifel an Marokkos Anspruch auf Westsahara oder "Verunglimpfung" des Islam verletzten.

Die Regierung schränkt insbesondere die Rechte in der Unruheregion Westsahara ein, auf die Marokko Anspruch erhebt und die es als Teil seines Territoriums verwaltet. Eine Westsahara-Befreiungsbewegung mit Sitz im Exil, die 'Volksfront für die Befreiung von Saguía al-Hamra und Río de Oro' (Frente Polisario) [1] fordert ein öffentliches Referendum, das die Option auf Unabhängigkeit einschließt. Über die Jahre haben die marokkanischen Behörden viele friedliche Vertreter dieser Position ins Gefängnis gesteckt und gleichzeitig stattdessen eine Autonomielösung unter marokkanischer Vorherrschaft vorgeschlagen.


Terrorismus und Antiterrorkampf

Hunderte mutmaßliche islamistische Extremisten, die in der Zeit nach den Bombenanschlägen im Mai 2003 verhaftet wurden, bleiben im Gefängnis. Über viele wurde in unfairen Verfahren geurteilt, nachdem man sie in geheimen Haftzentren festgehalten, mißhandelt und in manchen Fällen gefoltert hatte. Einige wurden zum Tode verurteilt, eine Strafe, die in Marokko nicht abgeschafft ist, auch wenn sie seit 1993 nicht mehr vollstreckt wurde. Nach erneuten Terroranschlägen im September 2007 hat die Polizei Hunderte weitere mutmaßliche Militante verhaftet; viele von ihnen wurden verurteilt und kamen mit der Begründung ins Gefängnis, sie gehörten einem "terroristischen Netzwerk" an oder hätten Vorbereitungen getroffen, sich dem "Dschihad" im Irak oder anderenorts anzuschließen.

Berichten von Häftlingen zufolge setzten die Nachrichtendienste die Verhöre von Terrorverdächtigen in einem in Temara bei Rabat gelegenen, inoffiziellen Internierungszentrum fort. Viele Verdächtige gaben an, die Polizei habe sie während des Verhörs gefoltert und sie seien länger als die für Terrorfälle gesetzlich vorgesehene Maximalfrist von 12 Tagen in vorläufigem Gewahrsam gehalten worden. Beispielsweise berichteten mehrere Männer, die im März und April wegen mutmaßlicher Al Kaida-Verbindungen in und um Casablanca herum verhaftet worden waren, Human Rights Watch, daß Agenten in Zivil ihnen, ohne einen Haftbefehl vorzuzeigen oder sich auszuweisen, die Augen verbunden und sie an einen geheimen Ort transportiert hätten, von dem sie annahmen, es sei die Temara-Anlage, und sie bis zu 36 Tage lang dort festgehalten und verhört hätten, bevor man sie in ein reguläres Polizeigefängnis brachte. Die meisten sagten aus, man habe sie gefoltert. Die Regierung wies diese Anschuldigungen förmlich zurück und behauptete, die Verhaftungen und Gefangenschaft seien in diesen Fällen in Übereinstimmung mit dem Gesetz verlaufen.

Im August wurden von der US-CIA aufgenommene Tonbänder veröffentlicht, die bewiesen, daß die USA 2002 den Terrorverdächtigen Ramzi Benalshibh zum Verhör in einer geheimen, von Marokko unterhaltenen Einrichtung nach Marokko transportiert hatten, bevor er nach Guantanamo geflogen wurde. Die marokkanischen Behörden bestreiten, geheime Gefängnisse zu unterhalten.


Umgang mit früheren Verstößen

Im Anschluß an die bahnbrechende Arbeit von Marokkos Gleichheits- und Versöhnungskommission (ERC) [2] 2005 übernahm die Regierung die Verantwortung für das "Verschwindenlassen" und andere schwere Rechtsbrüche der Vergangenheit und zahlte etwa 16.000 Opfern oder ihren Verwandten Entschädigungen. Trotzdem ist kein Fall bekannt, in dem ein offizieller Vertreter Marokkos oder ein Mitglied der Sicherheitskräfte aufgrund in der Zeit von 1956 bis 1999 begangener Vergehen strafrechtlich verfolgt wurde, die die ERC untersucht hatte, und die Regierung hat die meisten institutionellen Reformen zur Absicherung gegen künftige Verstöße, die die ERC empfohlen hat, noch immer nicht umgesetzt. Im September erklärte die Regierung, sie würde einige berüchtigte, frühere Gefängnisse in Erinnerungsstätten für die "Erhaltung und Wiederherstellung der Erinnerung" umwandeln.


Polizeiverhalten und das Strafrechtssystem

Im Fällen mit politischer Färbung führen die Gerichte selten ein faires Verfahren durch. Richter ignorieren routinemäßig Anträge Beschuldigter auf medizinische Untersuchung, die angeben, gefoltert worden zu sein, weigern sich, Entlastungszeugen vorzuladen und verurteilen Angeklagte auf Grundlage offensichtlich erzwungener Geständnisse. Am 16. Juli hat das Berufungsgericht in Rabat die Urteile aus dem Jahr 2009 gegen alle 35 Angeklagten - in einem Verfahren, das als Belliraj-Fall bekannt wurde - aufgrund von Vorwürfen einschließlich der Bildung eines Terrornetzwerkes bestätigt. Das Gericht bestätigte die lebenslängliche Haftstrafe für den angeblichen Rädelsführer Abdelkader Belliraj und reduzierte die Gefängnisstrafe für fünf mitangeklagte politische Persönlichkeiten auf 10 Jahre. Wie im ersten Verfahren stützte das Berufungsgericht die Schuldsprüche fast vollkommen auf die "Geständnisse" der Angeklagten gegenüber der Polizei, auch wenn die meisten Angeklagten diese Erklärungen vor Gericht widerrufen hatten. Das Gericht weigerte sich, den Angaben der Angeklagten über Folter, Internierung in Geheimgefängnissen und gefälschte Geständnisse nachzugehen.

Die Behörden inhaftierten die bekannten gewaltfreien saharauischen Unabhängigkeitsaktivisten Ali Salem Tamek, Brahim Dahane und Ahmed Naciri nachdem sie diese am 8. Oktober 2009 verhaftet hatten. Vier weitere saharauische Aktivisten, die zur gleichen Zeit verhaftet worden waren, ließ man später bis zur Gerichtsverhandlung frei. Die Polizei verhaftete die sieben bei ihrer Rückkehr von einem zuvor noch nie dagewesenen Besuch bei der Polisario-Führung in den saharauischen Flüchtlingslagern bei Tindouf, Algerien. Ein Richter in Casablanca hatte den Fall gegen die sieben ursprünglich auf der Grundlage an ein Militärgericht verwiesen, daß sie mit den ihnen vorgeworfenen Verstößen unter anderem die "äußere Sicherheit des Staates" verletzt hätten, indem sie der "territorialen Integrität Marokkos Schaden zufügten", aber fast ein Jahr später verwies der Militärrichter den Fall unter dem geringeren Vorwurf, "[Marokkos] innerer Sicherheit geschadet zu haben", an die Zivilgerichtsbarkeit zurück. Das Verfahren wurde am 15. Oktober eröffnet und unverzüglich vertagt, während für drei der Angeklagten das zweite Jahr der vorläufigen Haft anbrach.

Die saharauischen Studenten Abdellah Daihani und Ali Toumi verließen im April das Gefängnis, nachdem sie sechs Monate wegen "Beleidigung staatlicher Institutionen" abgesessen hatten. Ihr Vergehen hatte darin bestanden, daß sie in einer politischen Diskussion mit anderen Zugreisenden geäußert hatten, daß sie weder die marokkanische Polizei noch den marokkanischen Staat anerkennen würden.


Freiheit zur Bildung von Vereinigungen, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit

Marokko rühmt sich Tausender unabhängiger Vereinigungen, dennoch verhindern Regierungsvertreter willkürlich die Legalisierung einiger Organisationen, indem sie ihre Handlungsfreiheit untergraben. Betroffen sind unter anderem Gruppen, die sich für die Rechte von Saharauis, Amzighs (Berber) [3], Einwanderern aus Sub-Sahara-Regionen und arbeitslosen Akademikern einsetzen, sowie Wohlfahrtsorganisationen, Kultur- und Bildungsvereine, in deren Leitung sich Mitglieder der Verbindung Gerechtigkeit und Spiritualität befinden, einer landesweiten Bewegung, die einen islamischen Staat propagiert und die spirituelle Führerschaft des Königs in Frage stellt.

Die Regierung, die Gerechtigkeit und Spiritualität nicht als legale Organisation anerkennt, duldete zwar viele ihrer Aktivitäten, verhinderte aber auch einige. Am 28. Juni verhaftete die Polizei sieben Mitglieder der Bewegung in Fez, nachdem ein ehemaliges Mitglied behauptet hatte, von ihnen entführt und gefoltert worden zu sein. Die Verdächtigen gaben an, die Polizei habe sie gefoltert und sie gezwungen, Geständnisse zu unterschreiben, ohne sie vorher lesen zu dürfen. Eine medizinische Untersuchung eines der Angeklagten ergab, daß er Verletzungsspuren aufwies, die mit dem Zeitraum, den er in Polizeigewahrsam verbracht hatte, übereinzustimmen schienen. Die sieben Männer stehen zur Zeit der Abfassung dieses Berichts wegen Entführung und Folter vor Gericht.

Die Regierung toleriert die Arbeit der vielen in Rabat und Casablanca aktiven Menschenrechtsorganisationen, aber einzelne Aktivisten hatten manchmal einen schweren Preis für Offenlegungen zu zahlen. Chekib el-Khayari, Präsident der Vereinigung für Menschenrechte im Rif, sitzt seit Februar 2009 eine dreijährige Freiheitsstrafe wegen "schwerer Beleidigung staatlicher Einrichtungen" und geringfügiger Verstöße gegen Devisenbestimmungen ab. Die Behörden verhafteten ihn, nachdem er bestimmte marokkanische Offizielle der Komplizenschaft mit dem Drogenhandel beschuldigt hatte. Am 24. November 2009 bestätigte ein Berufungsgericht in Casablanca den Urteilsspruch.

Col.-Maj. i.R. Kaddour Terhzaz, geboren 1937, bleibt in Haft, nachdem ein Militärgericht ihn nach eintägiger Gerichtsverhandlung im November 2008 einzig wegen eines Briefes, den er 2005 an den König geschrieben hatte, in dem er die seiner Meinung nach schäbige Behandlung von Piloten durch Marokko kritisierte, die als Kriegsgefangene in der Hand der Polisario gewesen waren, dafür verurteilt hatte, "Geheimnisse, die die nationale Verteidigung betreffen" offengelegt zu haben.

Die Behörden behindern die Aktivitäten ausländischer Menschenrechtsorganisationen, die Marokko besuchen, nicht. Die Überwachung ist schärfer in Westsahara, auch wenn die Behörden die 2009 erlassene Bestimmung, daß Ausländer sie in Kenntnis setzen müssen, bevor sie saharauische Aktivisten zuhause besuchen, gelockert haben.

Saharauische Aktivisten hatten eine größere Freiheit, ins Ausland zu reisen als 2009; es gab weniger Berichte, daß die Behörden ihre Pässe konfisziert oder sich geweigert hätten, diese zu verlängern oder sie daran gehindert hätten, Flüge anzutreten.

Die meisten Arten von Versammlungen im Freien erfordern die Genehmigung des Innenministeriums, das die Erlaubnis verweigern kann, wenn es davon ausgeht, daß sie zu einer "Störung der öffentlichen Ordnung" führen könnten. Auch wenn viele öffentliche Proteste ungestört stattfinden, hat knüppelschwingende Polizei einige Demonstrationen brutal aufgelöst. Unter den häufigsten Zielen sind die landesweit organisierten Proteste von Zweigen der Nationalen Vereinigung arbeitsloser Akademiker. Am 31. März überfielen und zerstreuten Sicherheitskräfte beispielsweise ein Sit-in der Organisation in Nador, verletzten einige Menschen und hielten vier der Organisatoren kurzzeitig fest.

Anfang Oktober errichteten mehrere Tausend saharauische Einwohner von Al-Aaiun, Westsahara, ein Protestzeltlager außerhalb der Stadt, um eine Reihe wirtschaftlicher Mißstände deutlich zu machen. Die Behörden verhandelten mit der Leitung des Lagers, befahlen den Protestierenden jedoch am 8. November, die Zeltstadt zu verlassen und rissen es dann mit Gewalt, zumeist unter Einsatz von Wasserkanonen und Tränengas, ab. Sie trafen auf einigen heftigen Widerstand, und es gab Opfer unter Sicherheitskräften und Zivilisten. In der Stadt Al-Aaiun brachen am gleichen Tag Proteste von Saharauis mit weiteren Opfern auf beiden Seiten aus; eine erhebliche Zahl saharauischer Männer und Frauen wurde von der Polizei in der Haft brutal geprügelt. Human Rights Watch untersucht diese Vorkommnisse zur Zeit während dies hier geschrieben wird. [4]


Pressefreiheit

Marokkos unabhängige Print- und Onlinemedien stellen Nachforschungen an und kritisieren Regierungsvertreter und -politik; ihnen drohen allerdings strafrechtliche Ermittlungen und Schikanierung, wenn sie bestimmte Grenzen überschreiten. Das Presserecht sieht Gefängnisstrafen vor für die "bösartige" Weiterverbreitung "falscher Informationen", die geeignet sind, die öffentliche Ordnung zu stören, oder für Worte, die diffamierend oder beleidigend sind für Mitglieder der königlichen Familie oder die den "Islam, die Institution der Monarchie oder die territoriale Einheit" - das heißt Marokkos Anspruch auf Westsahara - untergraben.

Die unabhängige, provokative arabische Tageszeitung Akhbar al-Youm wurde als Akhbar al-Youm al-Maghrebiya neu ins Leben gerufen, nachdem ein Gericht die Zeitung am 30. Oktober 2009 aufgrund der Veröffentlichung eines Cartoons, der einen Cousin König Mohammed VI. angeblich auf respektlose Weise darstellte, dichtgemacht hatte. Auf jeden Fall hat der kleine Bereich der ernsthaft unabhängigen Nachrichtenmedien mit der Schließung der Wochenzeitschriften Nichan und Le Journal sowie der Tageszeitung al-Jarida al-Oula - aus wirtschaftlichen Gründen - im Jahr 2010 wichtige Publikationen verloren. Letztere war in den vergangenen Jahren Objekt zahlreicher strafrechtlicher Verfolgungen - einige davon politisch motiviert - wegen Diffamierung und anderer Vergehen gewesen.

Am 12. Juni begnadigte der König mit Driss Chahtane, dem Herausgeber der Wochenzeitschrift al-Mish'al, den einzigen Journalisten, der sich in der ersten Jahreshälfte 2010 im Gefängnis befand. Chahtane hatte acht Monate einer einjährigen Freiheitsstrafe für die "bösartige" Veröffentlichung von "Falschmeldungen" über die Gesundheit des Königs abgesessen.

Das marokkanische Staatsfernsehen verfügt über etwas Spielraum für investigative Berichterstattung, aber wenig für direkte Kritik an der Regierung oder Widerspruch in Kernfragen. Im Mai verkündete das Kommunikationsministerium, daß ausländische Sender, die über eine breite Zuschauerschaft in Marokko verfügen, eine Genehmigung einholen müssen, bevor sie außerhalb der Hauptstadt filmen. Das Ministerium weigerte sich das zweite Jahr in Folge ohne Angabe von Gründen, zwei örtliche Al Jazeera-Korrespondenten zu akkreditieren und am 29. Oktober verkündete es dann die Aussetzung der Aktivitäten des Senders in Marokko unter der Begründung, der Sender "verzerrt das Bild Marokkos auf schwerwiegende Weise und schadet erkennbar seinen höheren Interessen, insbesondere seiner nationalen Einheit" - offensichtlich eine Anspielung auf Westsahara.


Religiöse und kulturelle Freiheiten

Im Jahr 2010 wies Marokko zusammengenommen über 100 protestantische Ausländer von mehreren hundert aus, die legal im Land leben. Die Behörden informierten einige von ihnen mündlich, sie hätten Gesetze gegen Missionierung verletzt, brachten sie jedoch nicht unter Anklage, bevor sie sie zwangen, das Land zu verlassen. In anderen Fällen erklärten die Behörden den betroffenen Personen, ihre Abreise sei "eine dringende Notwendigkeit für die Sicherheit des Staates oder die öffentliche Sicherheit", eine rechtliche Formulierung, die eine sofortige Ausweisung ohne Anklage oder ordentlichen Prozeß erlaubt.

Das Innenministerium gab im April 2010 einen Runderlaß heraus, der es Eltern leichter machte, Amazigh-Vornamen (Berber) für ihre Neugeborenen registrieren zu lassen. Die Standesbeamten wiesen jedoch in Einzelfällen weiterhin Amazigh-Namen zurück, was zu Appellen von Amazigh-Aktivisten an das Ministerium führte, sicherzustellen, daß alle Standesbeamten der neuen Amtsanweisung Folge leisten.


Menschenrechtsverletzungen der Polisario

Am 21. September verhaftete die Polisario Mostapha Selma Sidi Mouloud, einen saharauischen Flüchtling, der im Lager von Tindouf in Algerien lebt, bei seiner Rückkehr aus der von Marokko kontrollierten Westsahara, wo er öffentlich seine Unterstützung für Marokkos Vorschlag geäußert hatte, die Souveränität über die Region zu behalten und ihr ein gewisses Maß an Autonomie zu gestatten. Die Polisario erklärte, man habe Selma wegen "Spionage" und "Verrat" verhaftet, kündigte aber am 6. Oktober seine Freilassung an. Zur Zeit verbleibt er in der Obhut der Polisario, während der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Vorbereitungen trifft, ihn an einem Ort seiner Wahl anzusiedeln.


Internationale Schlüsselakteure

2008 verlieh die Europäische Union Marokko einen "fortgeschrittenen Status" und stellte es damit eine Stufe höher als andere Mitglieder der EU-"Nachbarschaftspolitik". Marokko ist mit für 2011-2013 vorgesehenen 580 Millionen Euro (rund 808 Millionen US-Dollar) nach Palästina der größte Empfänger von EU-Hilfen.

Frankreich ist führend als Marokkos Handelspartner sowie Quelle öffentlicher Entwicklungshilfe und privater Investitionen. Frankreich hat seine Übersee-Entwicklungshilfe auf 600 Millionen Euro für 2010-2012 erhöht. Öffentliche Kritik Frankreichs an Marokkos Menschenrechtspolitik ist selten, es unterstützte offen seinen Autonomieplan für Westsahara.

Die USA leisten Marokko, einem engen Verbündeten, finanzielle Unterstützung, unter anderem eine Beihilfe von 697 Millionen US-Dollar für fünf Jahre von der 'Millennium Challenge Corporation' [5] beginnend im Jahr 2008 zur Minderung der Armut und Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Was die Menschenrechte angeht, so setzten die USA ihr öffentliches Lob für Marokkos Reformbemühungen und die Fortschritte für Frauen fort. Der Antiterrorbericht des Außenministeriums für das Jahr 2009 sendete Marokko die falschen Signale, da er die Verurteilungen mutmaßlicher Terroristen lobend vermerkte, ohne die wiederholten Verstöße gegen ein faires Gerichtsverfahren in solchen Fällen zu erwähnen. Vertreter der US-Botschaft in Rabat erklärten Human Rights Watch, daß sie Marokko drängen würden, das Presserecht zu reformieren, für Christen, denen die Ausweisung droht, ein ordentliches Gerichtsverfahren durchzuführen, um sie auszubürgern, und das Vereinigungsrecht konsequenter anzuwenden, was auch die Anerkennung saharauischer Menschenrechts-NROs beinhalten würde, die derzeit über keinerlei rechtlichen Status verfügen.

Der UNO-Sicherheitsrat verlängerte im April 2010 das Mandat der UNO-Mission für das Referendum in Westsahara (MINURSO) um ein Jahr, aber lehnte es erneut ab, das Mandat zu erweitern, um Beobachtung und Schutz der Menschenrechte einzuschließen. Marokko ist dagegen, MINURSO ein solches Mandat zu geben, während Polisario seine Unterstützung dafür erklärt.

König Mohammed VI erklärte 2008, daß Marokko seine Vorbehalte gegen das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau aufgeben werde, aber das steht beim derzeitigen Stand noch immer aus. Marokko hat das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs oder das Übereinkommen über den Schutz aller Menschen gegen zwangsweises Verschwindenlassen nicht ratifiziert, auch wenn es geholfen hat, letzteres aufzusetzen.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

[1] aus dem Spanischen: Frente Popular para la Liberación de Saguia el Hamra y Río de Oro

[2] Equity and Reconciliation Commission (ERC)

[3] Amazigh: freier Mann, Plural Imazighen (dt. Masiren) - "Berber" ist eine Fremdbezeichnung

[4] eine deutsche Übersetzung des in der Zwischenzeit seit Abfassung des Jahresberichts fertiggestellten HRW-Berichts
    siehe unter Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → BRENNPUNKT
    WESTSAHARA/003: Bericht - Schläge, Mißbräuche durch marokkanische Sicherheitskräfte (HRW)
    http://schattenblick.de/infopool/politik/brenn/p1we0003.html


(5] vom US-Kongreß im Jahr 2004 ins Leben gerufene "innovative und unabhängige" Entwicklungshilfeagentur zur Unterstützung des Kampfs gegen die Armut

Link zum englischen Original:
http://www.hrw.org/en/world-report-2011/moroccowestern-sahara


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Quelle:
Auszug aus dem Human Rights Watch "World Report 2011",
Kapitel über Marokko/Westsahara, 24. Januar 2011
Human Rights Watch
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Internet: www.hrw.org
mit freundlicher Genehmigung von Human Rights Watch
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2011