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BERICHT/043: AbL-Fachtagung "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 323 - Juni 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Lebenswerte ostdeutsche Regionen oder menschenleere Agrarsteppe?

AbL-Fachtagung "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" am 19. Mai in Berlin


Laut Professor Dr. Klaus Schröder, Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat der FU Berlin, hat die deutsche Einheit die Gesellschaft in Ost und West verändert. Die schnelle Angleichung der Währungen führte zur Zerschlagung großer Teile der DDR-Wirtschaft, die hohen Geldtransfers aber gleichzeitig zur weitgehenden Angleichung der Haushaltseinkommen. Die Einkommens-Differenzen innerhalb der einzelnen Bundesländer und Regionen seien heute wesentlich gravierender als die publizistisch herausgestellten Ost-West-Unterschiede. Gewinner der Einheit seien neben den ehemaligen LPG-Kadern und den Staatsbediensteten vor allem die Beschäftigten des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi), die sich schon früh auf die sich anbahnende "Wende" vorbereiteten - mit der Privatisierung von Geld, Immobilien oder Fahrzeugen. Die Geldvermögens-Verteilung sei in der DDR - abgesehen vom Fehlen der Superreichen - ohnehin ähnlich ungleich wie im Westen gewesen (10% besaßen 60% des Geldes).


Neueinrichter chancenlos

Große Ost-West-Unterschiede in der Agrarstruktur belegte Dr. Jörg Gerke, Landwirt und Autor des Buches "Das ostdeutsche Agrarkartell", anhand der Großmastanlagen oder der Konzentration von Gentechnik-Flächen im Osten. Obwohl die ostdeutschen LPG-Nachfolgebetriebe angeblich wettbewerbsfähig für den Weltmarkt seien, würden fast alle - im Gegensatz zu westdeutschen Betrieben oder Ost-Familienbetrieben - ohne die EU-Flächenprämien massive Verluste schreiben. Und dies, obwohl ihnen die Treuhand gezielt, langfristig und billig 50 bis 70% der ostdeutschen Flächen verpachtet bzw. verkauft habe - unter bewusstem Ausschluss von privaten Neu- oder Wiedereinrichtern und unter massivem Betrug an den vorherigen LPG-Mitgliedern bei der "Vermögensauseinandersetzung".


Immer mehr Megaställe

AbL-Agrarindustrie-Experte Eckehard Niemann belegte den Aufbau von Agrarfabriken in Ostdeutschland anhand der Prozentanteile von Mastschweinen in Anlagen mit 2.000 bis 5.000 Plätzen bzw. in Anlagen mit mehr als 5.000 Plätzen in den einzelnen Bundesländern im Jahre 2007: Mecklenburg-Vorpommern 17 bzw. 48%, Sachen-Anhalt 22 bzw. 47%, Thüringen 11 bzw. 24%, Sachsen 29 bzw. 28% (Brandenburg: Schweine über 2000 Plätze: 86%). Der Anteil der Sauen in Beständen mit mehr als 500 Sauen liegt in allen ostdeutschen Bundesländern über 80%. Diese Zahlen verschleiern aber immer noch die laufende Konzentration der Schweine in Mega-Anlagen mit Zigtausenden von Tieren. Die Investoren stammen aus Westdeutschland, aus Dänemark und vor allem aus den Niederlanden, wo die Großhalter nicht mehr mit den dortigen Umweltvorgaben zurecht kommen, sich vom Staat rauskaufen lassen und mit diesen Geldern dann Riesen-Anlagen auf den Trümmern der ehemaligen DDR-Agrarfabriken oder auch in Osteuropa bauen. Offenbar stehen hinter Investoren wie Straathof oder van Gennip mit deren Investitionen von 40 Millionen Euro große Futtermittel- und Zuchtkonzerne wie Nutreco-Hendrix-Hypor.

Hubert Weiger (BUND) forderte für West- wie Ostdeutschland eine zukunftsfähige bäuerliche Agrarstruktur: mit Regionalität, Vielfalt, Kreislaufwirtschaft, flächengebundener Tierhaltung, Generationendenken, Arbeitsplätzen und Einkommen durch umwelt- und tierfreundliche Verfahren. Das Agrarbündnis habe auf dem Weg dorthin bereits wichtige Erfolge erzielt, jetzt müsse man sich massiv einmischen in die Entscheidungen zur EU-Agrarpolitik nach 2013, in die Umverteilung der Gelder zugunsten einer multifunktionalen Landwirtschaft - für eine Landwirtschaft, die sich nicht am Weltmarkt orientiert, sondern am EU-Bedarf mit fairen Erzeugerpreisen.

An der Zerstörung von bäuerlicher Landwirtschaft und von Natur würden riesige Summen verdient, so der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Anders als die Milchbauern leisteten die meisten Schweinehalter keinen Widerstand dagegen, aber AbL, Bioverbände, Neuland und andere Markenfleischprogramme setzten auch in diesem Bereich gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Bündnispartnern einen neuen Trend. Ziel müsse es sein, dass die Bauern eigenständig am Markt agierten und sich eine Marktmacht aufbauen könnten, mit einer Vorwärtskalkulation, die von den eigenen Kosten ausgeht und entsprechend höhere Preise durchsetzt. Diesen Weg würden die gesellschaftlichen Bündnispartner unterstützen.


Die Bewegung schläft nicht

Jörg Kröger setzt sich mit einer Bürgerinitiative gegen die 10.000er-Sauen-Anlage Straathofs in Alt-Tellin dafür ein, dass die touristischen Arbeitsplätze in der Region nicht durch diese Agrarfabrik wieder zerstört werden. Er schlug vor, die Vernetzung der vielen Bürgerinitiativen gegen solche Anlagen nunmehr auf das Ziel hin zu konkretisieren, im nächsten Jahr gemeinsam mit vielen gesellschaftlichen Gruppen eine Großdemonstration zu organisieren. Ein erstes Treffen zur Vorbereitung wird im September stattfinden. Dort soll auch über Aktionen, z. B. bei der Grünen Woche", beraten werden. Thomas Volpers und Ernst Pries berichteten vom Widerstand gegen die geplante Massentierhaltung in Hassleben. Sie beklagten die unzureichenden rechtlichen Mittel und forderten bessere gesetzliche Regelungen, die den Bürgerinitiativen mehr Chancen auf Verhinderung eröffnen.


Neuland als Vorbild

Bauer Helmut Peters berichtete über die artgerechte Haltung mit betrieblichen Tierzahl-Obergrenzen, heimischem und betriebseigenem Futter, mit Bewegung, Platz, Auslauf, Stroh, Licht und Betreuung der Tiere und längerer Säugezeit der Ferkel. Das Verbot des Kupierens von Schweineschwänzen würde einer solchen stressfreien Haltung nichts ausmachen, wohl aber allen agrarindustriellen Haltern wegen des stressbedingten Schwänze-Beissens existenzielle Probleme bereiten. Eine bäuerliche Landwirtschaft bedeute eine enge Verbindung mit Hof, Natur und Heimat, Verantwortung für Tiere, Denken in Generationen, Leben und Arbeiten in Sozialbeziehungen, ausreichendes Einkommen, nachhaltigen Bestand von Arbeitsplätzen und Häfen anstelle eines Strebens nach kurzfristiger Maximalrendite. Eine solche Landwirtschaft und eine solche Tierhaltung brauche jetzt die Unterstützung der Verbraucher beim täglichen Einkauf.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 323 - Juni 2009, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2009