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BERICHT/068: Landraub statt Entwicklung (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Landraub statt Entwicklung
Großflächige Investitionen in Land verletzen das Recht auf Nahrung

Von Roman Herre


"In keinem Fall darf ein Volk seiner Existenzmittel beraubt werden." Dies ist in Artikel 1 des UN-Menschenrechtspaktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Pakt) festgeschrieben. Land und Wasser sind die grundlegenden Existenzmittel für die ländliche Bevölkerung in Entwicklungsländern und Grundlage der nationalen Ernährungssicherung. Zugang zu diesen Ressourcen sichert heute das Menschenrecht auf Nahrung von Milliarden KleinbäuerInnen, Nomaden und Fischern.


Aber das Land ist heiß umkämpft: Investoren suchen verstärkt nach großen Landflächen zum Anbau von Grundnahrungsmitteln, Energiepflanzen oder als Geldanlage. Diese auch als Land Grabbing bezeichneten Investitionen widersprechen grundlegend einer am Menschenrecht auf Nahrung ausgerichteten Politik.

Land wurde schon immer von ausländischen Investoren gekauft oder gepachtet. Auch die Probleme, die großflächige Landtransaktionen mit sich bringen, sind nicht neu. Besonders lokale Gruppen und die ärmsten Teile der ländlichen Bevölkerung verlieren ihren Zugang zu Land und Wasser. Neu ist das Ausmaß der Landkäufe und Pachten. Seit 2006 wurden zwischen 20 und 50 Millionen Hektar Land in Afrika, Asien und Lateinamerika an ausländische Investoren veräußert. [1] Während traditionell in Hochpreisprodukte für den Weltmarkt investiert wurde, wird das Ackerland nun für den Anbau von Grundnahrungsmitteln oder Energiepflanzen erworben. Ziel ist die Ernährungs- oder Energiesicherung der investierenden Länder. Themen, die wegen der Preisanstiege bei Grundnahrungsmitteln in 2008, temporärer Exportstopps und den hohen Ölpreise nun ganz oben auf der Agenda vieler wohlhabender Länder stehen. Daher treten neben der Privatwirtschaft auch Nationalstaaten als Investoren auf. Oft ist eine Vermischung von Privatwirtschaft und staatlichen Akteuren zu beobachten. [2]

Die Energieversorgung oder die Ernährungssicherung vor Ort spielen bei den Investitionen keine Rolle. Im Gegenteil lassen sich die Investoren den Export vertraglich zusichern, um auch im Fall der nächsten Preisexplosion von Exportstopps ausgenommen zu sein. Viele Zielländer der Investoren wie Madagaskar, Kenia oder die Philippinen müssen heute schon umfangreich Nahrungsmittel importieren. Insgesamt haben 43 der 53 afrikanischen Länder heute ein Nahrungsmitteldefizit, welches sie durch Importe ausgleichen müssen. [3] Bei hohen Weltmarktpreisen wie 2008 eine katastrophale Abhängigkeit, die zwangsläufig zu mehr Hunger führt.


Mythos leeres Land

Neben der erhöhten Abhängigkeit führen diese Deals zur Verschärfung von Landkonflikten, zur Verdrängung und teilweise gewaltsamen Vertreibung von KleinbäuerInnen, Fischern oder Nomaden. Angeheizt wird die Jagd nach Land durch Studien, die im Rahmen des Agrartreibstoffbooms gewaltige Flächen Land mit fragwürdigen Methoden als ungenutzte oder marginale Flächen identifiziert haben. [4] Auch viele nationale Regierungen haben durch solche Klassifizierungen die Nachfrage aktiv angeheizt. Dies hat oft fatale Folgen. Allein in Afrika südlich der Sahara leben 60 Millionen Nomaden, deren Weideland mit zu diesen Flächen zählt. Im Fokus ist auch 'untergenutztes' Land, welcher Maßstab auch immer für eine solche Bewertung angelegt sein mag. Viele dieser Flächen sind Gemeindeland und haben eine zentrale Aufgabe in lokalen Ernährungssystemen. Insbesondere Frauen benötigen diese Flächen zur Sicherung der Ernährung der Familie. Wenn sie wie im Norden Ghanas das Land an Investoren in Jatropha-Plantagen verlieren und es nicht mehr zum Sammeln von Wildfrüchten oder Brennholz nutzen können, wird ihr Recht auf Nahrung verletzt.



Das Recht auf Nahrung und großflächige Landnahmen: Grundlegende Widersprüche

GROßFLÄCHIGE LANDNAHME ...



LÄNDLICHE ENTWICKLUNG AUF
GRUNDLAGE DES RECHTS AUF
NAHRUNG ...
... orientiert sich an den
Bedürfnissen der Investoren.
... stellt die von Hunger bedrohten/
betroffenen Gruppen ins Zentrum.
... ist gekennzeichnet durch ein
hohes Maß an Intransparenz.

... ist transparent und gewährleistet
den Zugang zu allen relevanten
Informationen.
... schließt die direkt Betroffenen
meist aktiv aus.
... fördert die Teilhabe der Betroffenen
an Entscheidungsprozessen.
... marginalisiert menschenrechtliche
Staatenpflichten und nationale
Verfassungen durch internationales
Investitionsrecht.
... fördert die Durchsetzung
menschenrechtlicher Staatenpflichten.


... konzentriert die Kontrolle über
Land und Wasser in den Händen
weniger.

... fördert eine gerechte und sozial
verträgliche Verteilung von Land (zum
Beispiel durch umverteilende
Agrarreformen)
... diskriminiert informelle und
traditionelle Landnutzung.
... respektiert traditionelle
Landnutzungen.
... erhöht die Abhängigkeit vom
Weltmarkt bei der nationalen
Ernährungssicherung.

... stärkt eine nachhaltige lokale und
nationale Nahrungsmittelproduktion
und -versorgung.




Fremdworte "Partizipation" und "Transparenz"

Höchst problematisch sind auch die Investitionsverträge selbst, die ihre eigene Geheimhaltung festschreiben. Transparenz und Mitbestimmung der betroffenen Bevölkerung sind damit ausgeschlossen. In Kenia beispielsweise teilte der Verantwortliche für Ernährungsprogramme lapidar mit, dass der Inhalt eines Vertrags mit Qatar über 40.000 Hektar bestes Ackerland im Tana-Delta nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei.

Zudem binden die Verträge oft einseitig die nationalen Regierungen. Ausstiegs- oder Verlängerungsklauseln können nur von den Investoren wahrgenommen werden.

Bei Vertragsverstößen drohen Regressforderungen durch internationales Investitionsrecht. Dieses parallele Rechtssystem unterhöhlt nicht selten die nationale Verfassung und behindert die Durchsetzung international eingegangener menschenrechtlicher Verpflichtungen, wie den Zugang zu Land und zu Wasser für ländliche Hungergruppen zu fördern.

Hartes Investitionsrecht auf der einen Seite, schöne Versprechungen auf der anderen. Die Investoren versprechen oft Jobs und Infrastruktur im Gegenzug für eine kostenlose Nutzung des Landes. Diese Versprechen werden jedoch kaum vertraglich verankert. Eine großflächige Landwirtschaft in Monokultur schafft zudem in der Regel nur wenige Arbeitsplätze, gerade im Vergleich zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft. In einigen Fällen haben Investoren sogar versucht, Arbeitskräfte direkt mitzubringen, und de-facto Agrar-Exklaven relativ wohlhabender Staaten in von Hunger und Arbeitslosigkeit geprägten Ländern zu schaffen.

Die Liberalisierung der Landmärkte und Abschaffung von Restriktionen für ausländische Investoren sind wichtige Grundlagen vieler Deals. In Madagaskar wurde 2008 ein Gesetz verabschiedet, welches ausländischen Investoren erstmals erlaubt, riesige Landflächen für 99 Jahre zu pachten. Die philippinische Regierung will aktuell die Verfassung ändern, damit ausländische Investoren Land zu 100 Prozent besitzen dürfen. Die Weichen für diese Entwicklungen wurden auch durch die internationale Entwicklungszusammenarbeit gestellt. Besonders die Weltbank war mit ihrer Landpolitik ein Vorreiter für Privatisierung und Liberalisierung. Überholt wird sie aktuell durch den Millenium Challenge Account, einen Arm der US-amerikanischen Entwicklungshilfe, der sich wie es scheint in fast jedem afrikanischen Land in Landpolitik einmischt. Auch in Madagaskar hat er Privatisierung und Liberalisierung unterstützt. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit befördert diese Entwicklung durch eine einseitige Ausrichtung ihrer Landpolitik. Gefördert werden ausschließlich technische Aspekte und administrative Reformen. Eine Landpolitik, welche das Recht auf Nahrung zu Grunde legt, wird hingegen nicht verfolgt. [5]


Das Recht auf Nahrung als Bewertungsrahmen

Staaten sind verpflichtet Menschenrechte durchzusetzen. Im Rahmen ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen müssen sie daher vorhandenen Zugang zu Land und Wasser schützen und aktiv zur Verbesserung des Zugangs für Landlose und Kleinbauern beitragen. Dies bedeutet besonders, traditionelle Landnutzungen zu respektieren und Land an Landlose zu verteilen. Die aktuellen Landdeals verschärfen hingegen die Konflikte um Land und führen zu einer weiteren Konzentration von Land in den Händen weniger.


Philippinen: Land für ausländische Investoren - keines für die Agrarreform.

Auf den Philippinen kontrollieren wenige Familienklans große Teile des Landes. Seit 21 Jahren kämpfen Kleinbauern und Landlose im Rahmen der nationalen Agrarreform für ein eigenes Stück Land. Kleine Erfolge wurden schmerzvoll erkämpft. (*) Bis heute warten 700.000 Kleinbauern auf die Zuteilung von Land. Noch immer sind über 1,1 Millionen Hektar nicht verteilt. Nun macht die Regierung Arroyo was bis dato nicht möglich schien. Sie verteilt Land in großem Stil. Nur nicht an jene, denen es laut Agrarreform zusteht: "Die Regierung ist schnell bei der Zuteilung von 600.000 Hektar Land an Ausländer, während die philippinischen Bauern und Bäuerinnen seit Jahrzehnten dafür kämpfen, dass sie Land zugeteilt bekommen". (**)

Tatsächlich sind die Philippinen ein wichtiges Zielland der Investoren. 2007 wollte sich China 1.24 Millionen Hektar Land sichern. (***) Wegen massiver Proteste wurden die Verhandlungen auf Eis gelegt. Südkorea hat sich knapp 100.000 Hektar Land zum Reisanbau für die eigene Bevölkerung gesichert. Die japanische Pacific Bio-Fields hat jüngst 400.000 Hektar Land für Kokosnuss-Plantagen für 50 Jahre bekommen. (****) Auf diesem Land leben heute Kleinbauern.

(*) Kriminalisierung von und Gewalt gegen Agrarreform-AktivistInnen sind an der Tagesordnung. In den letzten Jahren wurden viele ermordet, die für ein Stück Land kämpften (Vgl. FIAN (2006) Running Amok. Landlord Lawlessness and Imputy in the Philippines; Report des UN-Sonderberichterstatters Philip Alston (2008)).

(**) Zitat eines Kleinbauernführers
(http://kilusangmagbubukid. org/print/219)

(***) Grain (2008) Seized! The 2008 land grab for food and financial security.

(****) Reuters (18. Juni 2009) Manila OKs foreign firm to plant bioful coconut.


Ausblick

Hungernde, die zuschauen müssen, wie eine reiche Ernte an ihnen vorbei in wohlhabende Länder exportiert wird? Kein unrealistisches Szenario. Mike Davis hat in seiner Untersuchung zu den großen Hungerkatastrophen der spätviktorianischen Zeit aufgezeigt, welche katastrophalen Folgen der Aufbau einer auf Export von Grundnahrungsmitteln ausgerichteten Infrastruktur haben kann. [6] Für die lokale Bevölkerung wurden die Folgen von Missernten und Nahrungsmittelknappheit extrem verstärkt. In Zeiten der Knappheit können so Investitionsdeals und die Kaufkraft wohlhabender Länder darüber entscheiden, wo gehungert wird. Dies könnte schon sehr bald der Fall sein. Olivier de Schutter, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, prognostiziert für 2010 eine neue 'Nahrungsmittelpreiskrise', da die internationale Staatengemeinschaft die Ursachen der Krise 2008, wie die Agrartreibstoffförderung oder die Finanzspekulationen im Agrarsektor nicht angegangen ist. Solchen Landdeals muss daher eine obligatorische Menschenrechts-Prüfung vorausgehen, die von relevanten UN-Gremien zusammen mit nationalen Menschenrechtsinstitutionen durchgeführt werden könnten. Eine freiwillige Selbstverpflichtung der Investoren durch einen Verhaltenskodex, wie dies u.A. von Japan und der Weltbank verfolgt wird, lenkt von den menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten ab und verdrängt eine Debatte um echte Lösungen dieses Problems.


Der Autor ist Agrarreform-Referent bei FIAN-Deutschland.


Anmerkungen

[1] Vgl. GRAIN 2009 Land Grabbing and the Golbal Food Crisis. Die Ackerfläche der gesamten Europäischen Union beträgt 97 Mio. Hektar (Eurostat 2007)

[2] Private Investitionen werden in vielen Fällen durch Sovereign Wealth Funds (bspw. die Qatar Investment Authority) oder Entwicklungsbanken (bspw. die Japan Bank for International Cooperation) staatlich gefördert.

[3] FAO (2009) Crop Prospects and Food Situation No. 3.

[4] Vgl. Bspw. Christopher Field et al. (2008) Biomass energy: the scale of the potential resource. In: Trends in Ecology and Evolution Vol.23 No.2

[5] Roman Herre (2009) Germany's Official Development Assistance in Land Policy.

[6] Mike Davis (2005) Die Geburt der Dritten Welt.



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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 16-17
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Koblenzer Str. 65, 53173 Bonn
Telefon: 0228/35 97 04, Fax: 0228/923 993 56
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2010