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FORSCHUNG/1151: Brot für die Welt - Erbgut des Weizens vollständig kartiert (idw)


Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 16.08.2018

Brot für die Welt - Erbgut des Weizens vollständig kartiert


Eine dreizehnjährige wissenschaftliche Kraftanstrengung findet ihren Höhepunkt in einer "Science"-Publikation: Über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 73 Forschungseinrichtungen in 20 Ländern haben gemeinsam das Genom des Brotweizen kartiert. Federführend daran beteiligt waren auch Forschende des Helmholtz Zentrums München und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben. Durch die Erkenntnisse erhoffen sich die Beteiligten neue Perspektiven für die Welternährung.

Bei der in "Science" publizierten Sequenz handelt es sich um das erstmals weitestgehend vollständige Referenzgenom von Weizen - eine gemeinsame Grundlage für alle, die den Weizen verstehen, erforschen oder verbessern wollen.

"Die vollständige Sequenzierung des Genoms von Brotweizen wurde lange Zeit für unmöglich gehalten, da es enorm groß und komplex ist", verdeutlicht Dr. Nils Stein, Leiter der Arbeitsgruppe Genomik Genetischer Ressourcen am IPK in Gatersleben, die Herausforderung. "Das Fünffache des menschlichen Genoms verteilt sich nochmal auf drei Subgenome und organisiert sich über 21 Chromosomen mit zahlreichen sich wiederholenden Elementen."

Da auch modernste Technologien die Basenabfolge des Erbguts nicht im Ganzen entschlüsseln können, standen den Forschern immer nur Fragmente des Genoms zur Verfügung. Entsprechend schwierig war es, den korrekten Zusammenbau dieser Teilsequenzen nachzuvollziehen. Hierfür entwickelten die Wissenschaftler spezielle Algorithmen und neue Strategien, um diesen sprichwörtlichen "Big Data" Herr zu werden.

"Nachdem die finale Sequenz bekannt war, ging es an die Inhalte", erklärt Dr. Manuel Spannagl, Gruppenleiter in der Abteilung Genomik und Systembiologie pflanzlicher Genome am Helmholtz Zentrum München. "Unsere Aufgabe war es, aus den Milliarden von Basen herauszulesen, welche Gene wo liegen und wie sie organisiert sind: 107.891 Gene konnten wir kartieren*. Hinzu kamen mehr als vier Millionen molekulare Marker sowie Sequenzinformationen über die Bereiche dazwischen, die die Aktivität der einzelnen Gene beeinflussen."

Nun hoffen alle beteiligten Forscherinnen und Forscher, die sich unter dem Dach des International Wheat Genome Sequencing Consortium (IWGSC) versammelt haben, dass durch ihre Arbeit neue Weizensorten gezüchtet werden können, die besser an klimatische Herausforderungen angepasst sind, höhere und vor allem stabilere Erträge liefern sowie höhere Nährstoffqualitäten aufweisen. Zudem sollen der Anbau und die Verwertung des Weizens nachhaltiger werden. Denn Weizen ist und bleibt eine Schlüsselpflanze für die weltweite Ernährungssicherung: Er stellt das Grundnahrungsmittel von mehr als einem Drittel der Weltbevölkerung dar und macht fast 20 Prozent der Kohlenhydrate und Eiweiße in unserer Nahrung aus - mehr als jedes andere Nahrungsmittel.

Sechs weitere Veröffentlichungen begleiten die Publikation der vollständigen Weizen-Referenzsequenz und unterstreichen deren Nutzen für die wissenschaftliche Gemeinschaft. Seit der Bereitstellung einer ersten Arbeitsversion der heute veröffentlichten vollständigen Sequenz im Januar 2017, wurden über 100 Forschungsarbeiten mit diesen vorläufigen Daten veröffentlicht. Diese Zahl wird ab heute rasant wachsen.

Doch die Arbeit ist nach Aussage der deutschen Wissenschaftler noch nicht getan: Die in der aktuellen Studie vollständig sequenzierte und annotierte Weizensorte "Chinese Spring", wurde bisher weltweit vor allem in der Grundlagenforschung genutzt. Weitere landwirtschaftlich genutzte Linien, deren Erbgut insgesamt als Pan-Genom bezeichnet wird und die genetische Vielfalt des Brotweizens charakterisiert, werden bereits intensiv bearbeitet.**


Weitere Informationen

(*) Zum Vergleich: Beim Menschen sind aktuell 20.376 Gene bekannt

(**) Im vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekt WHEATSEQ (Förderkennzeichen: 2819104015) arbeiten Münchner und Gaterslebener Forscher an der Sequenzierung der Weizensorte "Julius". Die Arbeiten sind Bestandteil des internationalen "10 Weizengenomprojekt" einem assoziierten Programm der Internationalen Weizen Initiative. Das Programm wird einen hochauflösenden Einblick in das Ausmaß der strukturellen Vielfalt und die Komplexität des Pan-Genoms von Weizen liefern und für eine gezieltere Züchtung nutzbar machen.

Hintergrund:

Weizen stellt das Grundnahrungsmittel von mehr als einem Drittel der Weltbevölkerung dar. Zudem dient er als eine wichtige Quelle von Vitaminen und Mineralien. Um den zukünftigen Anforderungen einer prognostizierten Weltbevölkerung von 9,6 Milliarden Menschen (bis 2050) gerecht zu werden, muss die Weizenproduktivität jedes Jahr um 1,6 Prozent steigen, so das IWGSC in seiner Mitteilung "The wheat code is finally cracked". Um die Artenvielfalt, die Wasser- und Nährstoffressourcen zu erhalten, müsse der Großteil dieses Anstiegs durch eine Verbesserung der Kulturpflanzen selbst und deren Eigenschaften auf den derzeit kultivierten Flächen erzielt werden, anstatt neue Flächen für den Anbau zu verbrauchen.

Bereits 2014 hatten die Wissenschaftler um Prof. Dr. Klaus Mayer, Leiter der PGSB am Helmholtz Zentrum München und Professor an der Technischen Universität München, eine sogenannte "draft sequenz", eine Arbeitsversion des Weizens veröffentlicht. "Qualitativ ist die neue Veröffentlichung nun der logische nächste Schritt", so Mayer.

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich- technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.
www.helmholtz-muenchen.de

Der Schwerpunkt der selbstständigen Abteilung Genomik und Systembiologie pflanzlicher Genome (PGSB) ist die Genom- und Systemorientierte Bioinformatik pflanzlicher Genome. In diesem Rahmen werden Genomverschlüsselungen, Expressionsmuster, funktionelle und systembiologische Fragestellungen untersucht. PGSB verwaltet außerdem einen großen Datensatz pflanzlicher Genome in Datenbanken und macht diese zusammen mit vergleichenden Analysen der Öffentlichkeit zugänglich.
http://pgsb.helmholtz-muenchen.de/plant/index.jsp

Das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben ist eine außeruniversitäre, mit Bundes- und Ländermitteln geförderte Forschungseinrichtung und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Am IPK forschen und arbeiten mehr als 500 Mitarbeiter/-innen aus über 30 Nationen. Zentrales Anliegen der wissenschaftlichen Arbeiten am IPK ist die Untersuchung der genetischen Vielfalt von Kultur- und verwandten Wildpflanzen und der Prozesse, die zu ihrem Entstehen geführt haben. Daraus abgeleitet erfolgt die Aufklärung der molekularen Mechanismen, die zur Ausprägung und Variation pflanzlicher Merkmale beitragen. Hieraus erwachsende Erkenntnisse ermöglichen die Entwicklung und Anwendung von Strategien zu einer vertieften Charakterisierung und darauf aufbauend zu einer wissensbasierten Nutzbarmachung der in der Genbank vorgehaltenen pflanzengenetischen Ressourcen.
www.ipk-gatersleben.de


Originalpublikation:
International Wheat Genome Sequencing Consortium (2018):
Shifting the limits in wheat research and breeding using a fully annotated reference genome.
Science,
DOI: 10.1126/science.aar7191

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution44

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München -
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, 16.08.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2018

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