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FORSCHUNG/1249: FreshIndex schafft Voraussetzungen für dynamisches Haltbarkeitsdatum (idw)


Hochschule Bonn-Rhein-Sieg - 13.12.2019

FreshIndex schafft Voraussetzungen für dynamisches Haltbarkeitsdatum


Hohe Akzeptanz der Nutzer und viele Impulse für die Weiterentwicklung der FreshIndex App - das waren die wichtigsten Ergebnisse während der Testphase in fünf METRO-Märkten im Verbundprojekt FreshIndex zur Umsetzung eines dynamischen Haltbarkeitsdatums (DHD) für Lebensmittel. Nach der Testphase unter realen Bedingungen wird im Folgeprojekt "FreshAnalytics" weiter am Thema DHD gearbeitet.

Frische und Sicherheit auf der einen Seite und Nachhaltigkeit auf der anderen Seite werden beim Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) zum Widerspruch. Viele Lebensmittel sind bei richtiger Lagerung auch nach Ablauf des MHD noch frisch und landen im Supermarkt oder in Privathaushalten zu Unrecht in der Mülltonne. Für Matthias Brunner, Gründer des Start-up-Unternehmens tsenso, wirkte das MHD in Zeiten fortschreitender Digitalisierung nicht mehr zeitgemäß. Mit der Idee eines dynamischen Haltbarkeitsdatums setzte er sich im METRO Accelerator 2016 gegen mehr als 600 Wettbewerber aus sieben Ländern durch. Die Vision hinter FreshIndex ist die flächendeckende Einführung eines DHD in Lebensmittelmärkten und Online-Lebensmittel-Shops. Das aufgedruckte Mindesthaltbarkeitsdatum soll durch digitale Preisschilder im Laden oder in Online-Shop sowie durch die Nachverfolgung in der App ergänzt werden.

Bis jeder im Supermarkt die tatsächliche Frische und Haltbarkeit etwa von Fleischprodukten mit dem Smartphone überprüfen kann, gilt es einige Herausforderungen zu meistern: angefangen bei der wissenschaftlichen Datenerhebung von Verderbnisprozessen verschiedener Lebensmittel über die lückenlose Überwachung der Lager- und Transporttemperaturen vom Produzenten bis zum Kühlregal sowie letztendlich die kundenfreundliche Darstellung des dynamischen Haltbarkeitsdatums über eine App. Im Hintergrund kamen hohe Anforderungen an das Datenmanagement in Bezug auf die Menge an Echtzeit- und Statistikdaten hinzu.

Um diese Herausforderungen zu meistern braucht es ein breites Know-how aus unterschiedlichen Fachbereichen und gemeinsame Forschung und Entwicklung von Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung möchte mit der Fördermaßnahme KMU-NetC kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wie tsenso bei der Umsetzung innovativer Ideen mit Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Netzwerk- oder Clustermanagement unterstützen. 2017 erhielt das Projekt "FreshIndex - Erforschung eines dynamischen Haltbarkeitskriteriums zur Optimierung der Lebensmittel Lieferkette" unter der Führung des Start-up tsenso und Koordination durch den Netzwerkpartner bwcon GmbH den Zuschlag.

Zum 31. Dezember 2019 endet das zweijährige Projekt, und die Verbundpartner arconsis, bwcon, GS1 Germany, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Metro, tsenso und Universität Bonn haben wichtige Grundlagen für die Markteinführung eines dynamischen Haltbarkeitsdatums geschaffen. Aufbauend auf diesen Ergebnissen treiben die beteiligten Organisationen in Folgeprojekten die Umsetzung ihrer Vision weiter voran, zum Beispiel die Überwachung der Produkte bis in den heimischen Kühlschrank.

Nutzerfreundliche Anwendung

Kundenakzeptanz und Benutzerfreundlichkeit sind erfolgskritisch für das emotionale Thema Lebensmittelfrische. Neben Aussehen, Geruch und Geschmack spielen Informationen zur Produktgüte und deren Darstellung eine große Rolle. Das Unternehmen arconsis hat im Projekt gemeinsam mit tsenso die App und die dahinterliegende Cloud-Anwendung entwickelt. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg hat Erkenntnisse aus dem Food Labeling, Forschung und User-Experience-Design eingebracht und für die sechswöchige Testphase in fünf METRO-Großmärkten Interviews konzeptioniert. In den Interviews mit 143 Kundinnen und Kunden erhielten die Projektpartner wertvolle Erkenntnisse darüber, ob und wie stark der FreshIndex durch die gesteigerte Transparenz ihr Vertrauen beeinflusst und wie sie die Nutzung erleben.

Die Interviewergebnisse zeigen laut Prof. Dr. Gunnar Stevens, Verbraucherinformatiker an H-BRS und Universität Siegen, "dass Kunden sehr interessiert sind, präzisere Informationen zur Haltbarkeit zu bekommen. Viele der Befragten hatten auch angeregt, dies mit weitergehenden Mehrwertdiensten wie beispielsweise einem Frischealarm oder Rezepttipps für das vorliegende Produkt zu kombinieren. Daran arbeiten wir." In der App konnten die Verbraucher ihre eigenen Transport- und Lagerbedingungen zum Beispiel über die Temperatur im eigenen Kühlschrank ergänzen. Viele waren überrascht über den hohen Einfluss der Kühlschranktemperatur auf die Haltbarkeit und überdachten in diesem Zusammenhang ihren eigenen Kühlprozess.

Die Resonanz der Verbraucherbefragung und die breite Berichterstattung während der Feldtests haben bestätigt, dass die Themen Nachverfolgbarkeit von Lebensmitteln und Vermeidung weggeworfener Lebensmittel durch eine sichere Bewertung der verbleibenden Haltbarkeit einen Nerv in der Bevölkerung treffen.

Prognose des verbleibenden Haltbarkeitszeitraumes

Der FreshIndex basiert auf einem Algorithmus zur Berechnung des verbleibenden Haltbarkeitszeitraumes. Dabei wird ein Modellsystem zur Berechnung der unterschiedlichen Verderbnisprozesse in Lebensmitteln um relevante Echtzeitdaten während des Transports und der Lagerung, sowie der initialen Produkthygiene des Herstellers ergänzt. Die Entwicklung der Algorithmen und der zugrundeliegenden Modelle durch die Projektpartner tsenso und Universität Bonn war ein wichtiger Meilenstein im Projekt. Die Universität Bonn erhob und validierte die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Verderbnismodelle in umfangreichen Labor- und Pilotstudien. Die Lagerstudien wurden dabei an den Artikeln Schweineschnitzel und Minutensteak durchgeführt. "Insbesondere Fleischprodukte haben aufgrund des großen Ressourceneinsatzes in der Herstellung einen wichtigen Stellenwert bei der Verschwendung von Lebensmitteln. Hinzu kommt, dass Fleisch ein leicht verderbliches Lebensmittel ist, welches sehr sensibel auf Temperaturänderungen reagiert", sagt PD Dr. Judith Kreyenschmidt, Leiterin der Arbeitsgruppe Kühlkettenmanagement an der Universität Bonn. Anhand der Expertise im Bereich Lebensmittelqualität und -sicherheit konnten auf dieser Grundlage anschließend exaktere Haltbarkeitszeiten in Abhängigkeit von Temperatur und mikrobieller Anfangskontamination ermittelt werden. In diesem Zusammenhang wurden für eine optimale Schätzung ebenfalls Schnellerkennungsverfahren zur Ermittlung der Anfangskeimgehalte in Echtzeit eingesetzt.

Im Folgeprojekt "FreshAnalytics" arbeiten die Partner tsenso, arconsis, GS1 Germany, Universität Siegen und TH Deggendorf an dieser Fragestellung weiter. Ziel ist die Entwicklung eines digitalen Basissystems für ein einheitliches Datenmanagement entlang der Lebensmittelkette und die Bereitstellung einer lebensmittelspezifischen Tool-Bibliothek.

Umsetzung mit den Partnern über die gesamte Wertschöpfungskette

Bevor ein Schweineschnitzel auf dem Teller landet, durchläuft das Produkt einige Verarbeitungsschritte. Für den FreshIndex muss die Rückverfolgbarkeit bei jedem dieser Verarbeitungsschritte gewährleistet werden. Dazu validierten die Verbundpartner das entwickelte Modell in einem Praxistest. Über drei Monate wurde das Gesamtsystem zur Überwachung der Lieferkette vom Lebensmittelproduzenten über die Logistikdienstleister bis zum Kühlregal der METRO Großmärkte getestet. "FreshIndex ermöglicht ein detailliertes Monitoring hinsichtlich Mikrobiologie und Temperatur entlang der gesamten Lieferkette", sagt Kathrin Uhlhorn, Bereichsleiterin Zentrale Qualitätssicherung bei METRO Deutschland. "Damit kann die qualitative Beschaffenheit der untersuchten Frischeprodukte ermittelt und so die Transparenz und dadurch auch die Produktsicherheit erhöht werden."

Durchgängige Verarbeitung und Bereitstellung qualitätsrelevanter Daten

Für eine flächendeckende Einführung des DHDs muss der Prozessablauf kompatibel mit bestehenden Standards sein und sollte sich möglichst ressourcenschonend in bestehende Management-Systeme integrieren lassen. Die globale Organisation GS1 setzt Standards entlang der gesamten Lieferkette, das bekannteste Beispiel ist die Globale Artikelnummer GTIN (vormals EAN), über die sich jegliche Produkte weltweit identifizieren lassen. Im Projekt FreshIndex und im Folgeprojekt FreshAnalytics stellt der Verbundpartner GS1 Germany sicher, dass etablierte Standards zum Einsatz kommen und Änderungen zu bestehenden Systemen kompatibel sind. Beispiele für verwendete Standards sind die GS1-Idente zur eindeutigen Identifikation von Produkten und Lokationen oder die Übertragung der Daten aus der Lieferkette in die Cloud mit dem Standard EPCIS. "Auch im Rahmen von FreshIndex können die GS1-Standards entlang der Lieferkette genutzt werden - das hat unsere Analyse des 'Traceability Process' ergeben", sagt Mercedes Schulze, Senior Managerin GS1 Standards + Products bei GS1 Germany. "Erstmals sollen auch Sensordaten wie etwa die Temperatur über den GS1 Standard EPCIS übermittelt werden. Noch während der Projektlaufzeit konnte GS1 Germany erreichen, dass dies nun weltweit einheitlich möglich ist."

Projektabschluss und Ausblick

Das Projektkonsortium unter der inhaltlichen Leitung von tsenso (Datenanalyse) mit den Partnern arconsis (Cloud und App), bwcon (Netzwerkmanagement), GS1 Germany (Identifikation), der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (Kundenakzeptanz), METRO (Großhandel) und der Universität Bonn (Hygiene-/Messdaten) traf sich im November zum Abschlussmeeting. Matthias Brunner, Gründer von tsenso resümiert: "Ende 2016 habe ich beim METRO/Techstar Accelerators das erste Konzept von FreshIndex entworfen. Diesen November konnte ich reale Daten des Praxistests auf dem Sustainability Summit des Consumer Goods Forums mit führenden Unternehmen der Lebensmittelindustrie diskutieren. FreshIndex war ein sehr intensives Projekt, die Weiterentwicklung steht außer Frage: Wir bleiben dran." Die drei Projektphasen "Konzept zur Effizienzsteigerung in der Lieferkette", "Standardisierungskonzept für Datenaustausch" und "Rückverfolgbarkeit sowie Validierung durch Praxistests" wurden erfolgreich abgeschlossen. Die Ergebnisse wurden in wissenschaftlichen Publikationen, auf Fachmessen und in Verbrauchermedien publiziert. Die Partner konzentrieren sich nach Abschluss des Projektes auf die weitere Realisierung in den beschriebenen Folgeprojekten. Das Projekt wurde im Rahmen der Fördermaßnahme "KMU-NetC" über das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit etwa einer Million Euro gefördert.


Die Verbundpartner im Projekt:
arconsis IT-Solutions GmbH - Strategischer Partner für hochwertige und innovative IT-Dienstleistungen in den Bereichen "Mobile Enterprise", "Adaptive Enterprise" und "AI Solutions". Schwerpunkt der Tätigkeiten im Forschungsprojekt ist die Virtual Supply Chain, Big Data Analytics und die Software Architektur. Darüber hinaus entwickelte arconsis die im Praxistest eingesetzte App.

bwcon e.V. - Das Netzwerkmanagement übernimmt die bwcon GmbH, die Dienstleistungstochter der Wirtschaftsinitiative Baden-Württemberg: Connected e. V., die sich der Förderung des Hightech-Standortes Baden-Württemberg sowie der für Wirtschaft und Gesellschaft entscheidenden Technologien und Märkte verschrieben hat.

GS1 Germany - GS1 Germany unterstützt Unternehmen aller Branchen dabei, moderne Identifikations-, Prozess- und Kommunikationsstandards in der Praxis anzuwenden und damit die Effizienz ihrer Geschäftsabläufe zu verbessern. Der maschinenlesbare GS1 Barcode mit der enthaltenen GTIN ist der universelle Standard im globalen Warenaustausch und wird sechs Milliarden Mal täglich auf Produkten gescannt. Die Standards von GS1 sind die globale Sprache für effiziente und sichere Geschäftsprozesse, die über Unternehmensgrenzen und Kontinente hinweg Gültigkeit hat. Zwei Millionen Unternehmen aus über 20 Branchen weltweit nutzen heute diese Sprache, um Produkte, Standorte und Assets eindeutig zu identifizieren, um relevante Daten zu erfassen und um diese mit Geschäftspartnern in den Wertschöpfungsnetzwerken zu teilen. Im Rahmen des Projekts analysierte GS1 Germany die Anforderungen an den FreshIndex entlang der Lieferkette und konnte feststellen, dass sie hinsichtlich IT, Standards und Prozesse mit den GS1 Standards erfüllt werden können. Dies gilt auch für die Übertragung von Sensordaten in die FreshIndex Cloud.

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg - Die Forschungsgruppe für Wirtschafts- und Verbraucherinformatik von Prof. Dr. Gunnar Stevens an der H-BRS zeichnet sich dadurch aus, dass sie Umwelt- und Verbraucherinformatik aus einer praxeologischen Perspektive betrachtet. Sie erforscht und gestaltet Verbraucherinformationssysteme. Dazu führt sie Bedarfs- und Potenzialanalysen durch und entwickelt Designstudien auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und empirischer Studien.

METRO AG - METRO ist ein führender internationaler Spezialist für den Groß- und Lebensmittelhandel, der in 36 Ländern über 150.000 Menschen beschäftigt. Die METRO Deutschland GmbH betreibt mit rund 14.000 Mitarbeitern 103 Großmärkte und 11 Belieferungsdepots in Deutschland. Rund vier Millionen Kunden vertrauen auf das Sortiment und die Leistungen des Unternehmens. METRO unterstützt während des Projektes maßgeblich tsenso, um die Transparenz und Sicherheit in der Lieferkette zu erhöhen. Das erfolgt durch die Bereitstellung von Hygienedaten der Hersteller und der tatsächlich gemessenen Lagerbedingungen. Dadurch wird ein wichtiger Beitrag zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung geleistet.

tsenso GmbH - Die tsenso GmbH entwickelt Speziallösungen für die Auswertung komplexer Daten im Bereich der Warenlogistik und Warenverkehrs. Sie setzt dabei auf lernfähige Modelle und hat einem Branchenfokus auf den Bereich des Güterverkehrs und der Lebensmittellogistik. Das Gründerteam verfügt über Expertenwissen im Bereich der Entwicklung von Software, Big Data Analytics, der Simulation des Warenverkehrs. Mit Blick auf die Erarbeitung der mikrobiologischen Modelle zur Beschreibung der Lebensmittelqualität erhält tsenso Unterstützung von führenden internationalen Wissenschaftlern.

Universität Bonn - Das Team um PD Dr. Judith Kreyenschmidt an der Uni Bonn forscht seit Jahren im Bereich Lebensmittelqualität und -sicherheit, um die Ausschüsse entlang der Supply Chain zu reduzieren. Mit seinen Ergebnissen und Modellen zur prädiktiven Mikrobiologie unterstützt es maßgeblich die Entwicklung des FreshIndex.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution196

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, 13.12.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2019

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