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GENTECHNIK/548: Tote Pferde leben länger (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 402 - September 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Tote Pferde leben länger
CETA schwächt das Vorsorgeprinzip und öffnet der Gentechnik die Türen

Von Annemarie Volling, Netzwerk gentechnikfreie Landwirtschaft


Ist TTIP ein totes Pferd und CETA ein Abkommen, bei dem jeder zustimmen muss? So jedenfalls will es uns Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel weismachen. Die Strategie ist durchsichtig: Aufgrund der massiven Proteste TTIP von der Tagesordnung nehmen und CETA durchwinken. Kippt dabei das Vorsorgeprinzip?

Nicht nur in der SPD gibt es darüber einen Streit. Zwar gebe es unterschiedliche Ansätze zwischen Kanada und der EU, grundsätzlich gelte aber, "dass das Vorsorgeprinzip im Verbraucherschutz, das sich in Europa bewährt hat, unangetastet bleibt", meint Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des Europaparlaments (SPD) in seiner Analyse des CETA-Textes, die als Vorlage für den SPD-Parteikonvent am 19. September dient. Anders sieht es Matthias Miersch, Sprecher der parlamentarischen SPD-Linken: "Der Tenor der (CETA-)Regelungen weist eindeutig in Richtung Deregulierung, die die Einführung entsprechender Schutzmaßnahmen zumindest deutlich erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen wird. Um den Vorsorgegrundsatz weiter aufrecht zu erhalten, muss CETA die eindeutige Rechtsposition der EU benennen." Ins gleiche Horn stößt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, Fachbereich Europa. Demnach wäre einer "Absicherung des Vorsorgeprinzips (...) in jedem Fall gedient, wenn es ausdrücklich in die Abkommen und insbesondere in die Kapitel zur regulatorischen Kooperation und zu den Gesundheits- und Pflanzenschutzmaßnahmen (SPS-Kapitel) aufgenommen und seine Beachtung bei Anerkennungs- und Harmonisierungsmaßnahmen festgeschrieben wird." Aber genau jene gleichwertige Benennung des Vorsorgeprinzips beispielsweise im Gentechnik-Kapitel sucht man vergebens.

Im Gegenteil. Schaut man sich dieses Kapitel im CETA-Text an (s. Kasten unten), sind dort Themen wie "asynchrone Zulassung", "Low Level Presence" (Spuren von nicht zugelassenen GVO), aber auch "Systeme der Risikobewertung" sowie "Förderung eines effizienten, wissenschaftlich basierten Zulassungsverfahrens" benannt, die die Vertragsparteien im Dialog diskutieren wollen. Weitere Themen können hinzukommen, die Liste ist nicht abgeschlossen. Explizit sollen auch "jegliche neue Rechtsvorschriften" und "Maßnahmen" im Dialog behandelt werden - mit dem Ziel, "handelsschädigende Auswirkungen zu minimieren."

Zwar dient der Dialog laut CETA-Text nur dem "Austausch von Informationen" und der "Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit", allerdings wird die Richtung aufgezeigt, in die der Dialog arbeiten soll, nämlich die Förderung eines effizienten, wissenschaftlich basierten Zulassungsverfahrens. Dies entspricht dem "Prinzip des Beweises", welches in Kanada und den USA gilt. Dort werden, vereinfacht gesagt, GV-Pflanzen solange als sicher und "gleichwertig" zur konventionellen Züchtung angesehen, bis das Gegenteil bewiesen ist. Erst wenn konkrete Gefahren wissenschaftlich nachgewiesen wurden, können dort die GV-Produkte vom Markt genommen oder mit Auflagen versehen werden.

Anders das EU-Vorsorgeprinzip. Es besagt, dass, wenn Risiken durch einen GVO für die Gesundheit oder die Umwelt als zu hoch oder unkalkulierbar eingeschätzt werden oder die Datenlage zu unsicher ist, beispielsweise GV-Pflanzen nicht oder nur unter Auflagen zugelassen werden können. Auch Verbote können so begründet werden. Dieses Prinzip wird jedoch im Gentechnik-Kapitel des CETA-Textes nicht gleichrangig aufgeführt. Dabei ist das Vorsorgeprinzip ein Grundsatz im europäischen Recht, sowohl im Bereich des Umweltrechtes als auch der Lebensmittelsicherheit.

Vorsorgeprinzip

Zum europäischen Vorsorgeprinzip gehört auch, dass GVO-Produkte, die hier auf den Markt gebracht werden sollen (entweder zum Import oder zum Anbau), einen Zulassungsprozess durchlaufen müssen mit einer behördlichen Risikobewertung und einer politischen Abstimmung der Mitgliedstaaten. Sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten können Risikomanagementmaßnahmen erlassen. Auch am EU-Zulassungsverfahren gibt es seit Jahren Kritik und die Forderung nach Verschärfung der Risikobewertung. Allerdings würde eine Verbesserung der EU-Risikobewertung eine Stärkung des Vorsorgeprinzips und nicht seine Aufweichung bedeuten.

Für GVO, die keine Zulassung haben, gilt Nulltoleranz. Sie dürfen auch nicht in geringsten Spuren auf den Markt. Tauchen sie z. B. in Schiffsladungen auf, werden Importstopps verhängt. Findet man sie in Supermarktregalen, werden die Produkte ausgelistet. Schon lange ist die Nulltoleranz und die strenge Umgangsweise mit GVO in der EU, aber auch in China den Agrarkonzernen ein Dorn im Auge und wird als Handelshemmnis angesehen. Der CETA-Dialog soll sich nun mit der "Low Level Presence" beschäftigen, also der Akzeptanz von geringen Spuren von Verunreinigungen durch nicht zugelassene GVO. Auch dies steht konträr zur europäischen Gesetzgebung. Zwar wurde 2011 die Nulltoleranz im Futtermittelbereich aufgrund des hohen Drucks der Futtermittel- und Agrarindustrie aufgeweicht, bei Lebensmitteln und Saatgut gilt aber die Nulltoleranz zum Schutz der Bevölkerung und Umwelt. Allerdings gibt es immer wieder Anläufe in der EU, diese zu kippen. CETA gibt diesem Ansinnen neue Munition. Auch die "asynchronen Zulassungen" sind immer wieder Thema von Lobbybriefen an die Kommission. Die Konzerne wollen schnellere Zulassungen in den Importländern, am liebsten sogar eine Synchronisierung. Während der CETA-Verhandlungen hat sich die EU-Kommission anscheinend dazu verpflichtet, Zulassungsanträge von GV-Produkten "so schnell wie möglich innerhalb des festgelegten Verfahrens im EU-Zulassungsrecht" zu bearbeiten. Das wird aus einem Brief von Soy-Kanada, dem kanadischen Verband der Sojaindustrie, an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vom April 2016 deutlich. Soy-Kanada schreibt darin, dass "die Glaubwürdigkeit der CETA-Vereinbarung auf dem Spiel (steht), wenn Europa Verpflichtungen ignoriert, die es während der Verhandlungen gemacht hat." Schon während der Verhandlungen wurden also Festlegungen getroffen, die der Vertrag zementieren soll.

Im Gentechnik-Kapitel des CETA-Vertrages spiegeln sich die Lobbyaktivitäten der Gentechnikindustrie wieder, die eine Aufweichung der EU-Regelungen erzielen will. Die Gentechnikfreiheit unterstützende Formulierungen wie ein Festschreiben der Nulltoleranz, strengere Risikoprüfung oder das Vorsorgeprinzip sucht man im CETA-Vertrag vergebens.


KASTEN

Im CETA-Text gibt es einen eigenen Absatz "zur Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit im Bereich der Biotechnologie". Zum Austausch soll es ein Dialogforum geben. Folgende Themen sind aufgeführt: "Zulassung von Biotechnologie-Produkten", "Handelsauswirkungen durch asynchrone Zulassungen", die "unbeabsichtigte Freisetzung von nicht zugelassenen Produkten". Dies spiegelt sich auch in den Zielen wieder: "Austausch von Informationen, insbesondere über die Systeme zur Risikobewertung von GV-Organismen", die "Förderung eines effizienten, wissenschaftlich basierten Zulassungsverfahrens", die "internationale Kooperation in Fragen wie "Low Level Presence". Im geplanten Dialog soll die "regulatorische Zusammenarbeit" thematisiert werden, "um handelsschädigende Auswirkungen von Regulierungsverfahren zu minimieren". Zudem sollen "jegliche neue Rechtsvorschriften" und "Maßnahmen, die sich auf den Handel zwischen den Vertragsparteien auswirken können, einschließlich Maßnahmen der Mitgliedstaaten der EU" im Dialog behandelt werden.

Artikel 25 des CETA-Textes (S. 201f.) in: Konsolidierter CETA-Text, den die Europäische Kommission nach Ende der Nachverhandlungen im Februar 2016 veröffentlicht hat
http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2016/february/tradoc_154329.pdf


Weitere Infos zu CETA unter:

www.abl-ev.de/themen/fairer-welthandel/materialien.html.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 402 - September 2016, S. 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2016

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