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INTERNATIONAL/006: Brasilien - Ernährungssicherheit auch ohne Gift, Landlosenführer Stédile (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. April 2011

Brasilien: Ernährungssicherheit auch ohne Gift - Landlosenführer Stédile im Interview

Von Fabíola Ortiz


Rio de Janeiro, 27. April (IPS) - Brasilien ist weltweit führend, was die Verwendung von Agrarchemikalien anbetrifft. Nach Ansicht von João Pedro Stédile, dem Chef der Landlosenbewegung MST, ist der Einsatz von Agrargiften in Brasilien völlig überflüssig. Der Verzicht auf Pestizide und Co würde die Nahrungsmittelproduktion nicht verringern.

Brasilien ist ein Agrarland und belegt seit 2008, was die Verwendung von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden angeht, den ersten Platz. 2006 hatten die USA die fragwürdige Spitzenposition eingenommen, wurden dann aber von dem südamerikanischen Schwellenland, in dem die fünf größten Agrokonzerne BASF, Bayer, Syngenta, DuPont und Monsanto eigene Fabriken betreiben, nach einer Soja-Rekordernte auf den zweiten Platz verwiesen.


Kleinbauern auf grünem Kurs

Dennoch geben Brasiliens Bauern mit 87,8 US-Dollar pro Hektar Land vergleichsweise wenig für den Kauf von Düngemitteln und anderen Agrarchemikalien aus. In Japan beispielsweise zahlen die Farmer fast das Zehnfache (851 Dollar), in Frankreich mit 196,7 Dollar pro Hektar mehr als das Doppelte.

Viele Bauern, die in den vergangenen Jahren von dem staatlichen Landreformprozess profitierten, sind Stédile zufolge zunehmend bestrebt, sich von der herkömmlichen Landwirtschaft zu verabschieden, um ihre Felder in Harmonie mit der Natur zu bestellen. Die Landreform, die Bauern in den Besitz von eigenen Parzellen bringen soll, ist in der brasilianischen Verfassung als Mittel der Armutsbekämpfung festgeschrieben.

Brasiliens Landlosenbewegung zählt 20.000 Mitglieder und unterstützt nach eigenen Angaben die Forderungen weiterer 60.000 Bauernfamilien nach unproduktivem Land und Hilfen, um die Parzellen zu bewirtschaften. In den letzten zehn Jahren ist die MST dazu übergegangen, für eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft zu werben und den Bauern das nötige Know-how für den Anbau gesunder Nahrungsmittel zu vermitteln. Grund dafür gibt es allemal: Das Nationale Krebsinstitut berichtet von 40.000 neuen Magenkrebsfällen, von denen die Hälfte in der Regel tödlich verläuft. Ursache sind kontaminierte Lebensmittel.

"Bauern folgen in der Regel den Gesetzen der grünen Revolution, die sich durch einen extensiven Einsatz von Agrarchemikalien auszeichnet", berichtet Stédile. "Wir mussten somit bei null anfangen und mit den Universitäten Abkommen für die Durchführung von Kursen zugunsten des ökologischen Anbaus abschließen."

Der MST-Chef beruft sich auf wissenschaftliche Untersuchungen, denen zufolge Brasilien auch ohne Agrargifte ausreichend Nahrungsmittel produzieren kann. In Brasilien gebe es genügend Land und Arbeitskräfte, die dies möglich machten, bekräftigt er. "Das ist der große Widerspruch im Agrobusiness. Großgrundbesitz kommt nicht ohne Gifte zurecht, da die Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wurde."


Unabhängig von Agrarchemikalien

Einer solchen Abhängigkeit seien familienbetriebene Farmen und Bauern, die im Rahmen des Landreformprozesses auf neuen Parzellen angesiedelt wurden, nicht ausgeliefert. Ein weiterer Vorteil sei, dass sie faire Nahrungsmittelpreise für die lokale Bevölkerung garantieren könnten. "Der Preisanstieg in den Supermärkten hat mit dem Monopol der Unternehmen zu tun, die den Weltagrarmarkt beherrschen."

"In Brasilien erhöhen wir die Produktion jedes Jahr, dennoch steigen die Preise. Nach der Logik des Marktes müssten die Preise purzeln. Das geschieht jedoch nicht, weil die Oligopole, die den Weltmarkt kontrollieren, die Preise manipulieren und Brasilien somit zu ihrer Geisel machen", erläutert der Landlosenführer. "Kleinbauern jedoch, die Lebensmittel für den lokalen Markt produzieren, können dieser Kontrolle entkommen." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2011