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INTERNATIONAL/102: Indien - Lokal denken, wenn ein Unwetter kommt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Dezember 2013

Indien: Lokal denken, wenn ein Unwetter kommt

von Malini Shankar


Bild: © Malini Shankar/IPS

Bauer vom Volk der Paudi Guhiya im Bundesstaat Orissa rettet nach dem Zyklon Phailin, was zu retten ist
Bild: © Malini Shankar/IPS

Bhubaneswar, Indien, 6. Dezember (IPS) - Mehr als einen Monat nach dem Wirbelsturm 'Phailin' haben die indigenen Gemeinschaften in dem ostindischen Bundesstaat Orissa die Folgen der Tragödie noch nicht überwunden. Nicht nur ihre Wohnstätten wurden beschädigt, sondern auch ein Großteil ihrer Ernten, was sie vor besondere Probleme stellt.

"Katastrophen treffen alle gleichermaßen, doch sind die Möglichkeiten der ethnischen Gruppen, sich auf die Folgen von Umweltkatastrophen einzustellen, geringer", meint der Verantwortliche der Regierung für Sondernothilfe, P.K. Mahapatra. Orissa mit seinen 42 Millionen Menschen, von denen 24 Prozent indigener Herkunft sind, hat dem Beamten zufolge in den vergangenen 110 Jahren 70 Wirbelstürme erlebt. "Die Volksgruppen verlieren ihre Ernte und brauchen mindestens eine Saison, um die Verluste aufzuholen."

Phailin, der am 12. Oktober über den Subkontinent herfiel, war der schlimmste Sturm in Indien seit einem Jahrzehnt. Offiziellen Angaben zufolge konnten die Behörden die Opferzahl niedrig halten, weil sie rechtzeitig Sicherheitsvorkehrungen ergriffen hatten. 21 Menschen kamen bei dem Sturm ums Leben.

Aus dem von Phailin schwer getroffenen Distrikt Gajapati mit einem Indigenenanteil von 70 Prozent wurden nach Informationen der Einsatzkräfte zehn Prozent der Menschen in Notunterkünften untergebracht. Ein großer Teil der lokalen Getreideernte sei vernichtet worden.


Unzugänglichkeit vieler Dörfer

Bijay Kumar Sahoo, der die Nahrungsmittelversorgung einer Volksgruppe im Distrikt Sundargarh überwacht, berichtet von der Schwierigkeit, die mitten im dichten Urwald liegenden Dörfer zu erreichen. Die Verteilung von Hilfsgütern sei deshalb eine große Herausforderung.

Das Zentralinstitut für Reisforschung in der Stadt Cuttack züchtet aus diesem Grund Reisvarietäten, die den extremen Wetterphänomenen in Orissa standhalten können. Der Reis gedeiht in Überschwemmungs-, Salzwasser- und Dürregebieten. Doch auch dem Erhalt der traditionellen Nahrungspflanzen kommt eine besondere Bedeutung zu, nicht zuletzt weil er für die Gesundheit der Ethnien entscheidend ist.

In den ersten Tagen nach einer Katastrophe stellen die Behörden aromatisierte ungekochte Reisflocken, proteinreiche Kekse, Wasser und Elektrolytlösungen gegen Dehydrierung bereit. In der zweiten Phase einer Nothilfeoperation werden dann Reis, Linsen und finanzielle Hilfen ausgegeben. In diesen Krisenzeiten zeigt sich, wie wichtig die Bereitstellung von Nahrungsmitteln ist, die den kulturellen Bedürfnissen der Volksgruppen entsprechen.

"Von jeher legen Indigene lange Fußmärsche zurück, um in den Wäldern Nahrungsmittel wie etwa Knollen zu finden oder um Fisch zu fangen. Die Wahl ihrer Nahrungsmittel entscheidet darüber, ob sie vor Zivilisationskrankheiten wie Diabetes geschützt sind", sagt Jupiter Das, der für das Rote Kreuz im Distrikt Puri tätig ist.

Indigene wissen, welche Nahrungsmittel in welcher Saison besonders nahrhaft sind. Sie selbst betreiben Fruchtwechsel und verfolgen überdies eine auf Nachhaltigkeit abzielende wirtschaftliche Entwicklung. Ließe sich eine Methode zur Sicherstellung einer solchen diversifizierten Nahrungsproduktion entwickeln, könnte auch die Nahrungsmittelversorgung in Krisenzeiten verbessert werden.

Indigene ernähren sich von Wildkörnern, Fisch, Hirse, Linsen, Pilzen und Knollen. "Reis und Hirse stehen erst auf dem Speiseplan, seitdem ihnen Gesetze zum Schutz der Wälder den Zugang zu Waldressourcen versperren", erläutert Tushar Dash von der Nichtregierungsorganisation 'Vasundhara'.


Natürliche Überbrückung von Mangelphasen

In der zwischen 2008 und 2012 erstellten Studie über den genetischen Reichtum von Knollengewächsen, die im Similipal-Biosphärenreservat in Orissa wachsen und für den menschlichen Verzehr geeignet sind, dokumentieren Wissenschaftler die traditionellen Ernährungsgewohnheiten lokaler ethnischer Gruppen. Aufgeführt werden 55 wild wachsende, essbare Knollensorten, von denen 17 zur Überbrückung saisonaler Nahrungsengpässe verwendet werden.

Nach Ansicht von Sambit Rout, einem Verwaltungsbeamten aus dem Distrikt Puri, lässt sich das überlieferte Wissen der Indigenen auch für Wetterprognosen nutzen. In der Nacht, in der der Sturm Phailin auf das Land traf, habe ihm ein Fischer nahe dem Chilka-See gesagt, es gebe keinen Grund zur Sorge, denn der Wind habe gedreht.

Auch das Welternährungsprogramm WFP schätzt die Fähigkeiten indigener Völker, sich selbst mit gesunder Nahrung zu versorgen, als wichtig ein. Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich Indien auf indigenes Wissen besinnt, um auf Naturkatastrophen besser vorbereitet zu sein. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://scienceindex.com/stories/3500841/Genetic_resources_of_wild_tuberous_food_plants_traditionally_used_in_Similipal_Biosphere_Reserve_Odisha_India.html
http://www.wfp.org/countries/india
http://www.crri.nic.in/
http://www.ipsnews.net/2013/11/calamity-strikes-think-local/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2013