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INTERNATIONAL/112: Kolumbien - Kornkammer verkümmert, Bauern organisieren zweiten Nationalstreik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. April 2014

Kolumbien: Kornkammer verkümmert - Bauern organisieren zweiten Nationalstreik

von Helda Martínez


Bild: © Helda Martínez/IPS

Die ärmliche Hütte einer verarmten Bauernfamilie in den Bergen von Cajamarca im kolumbianischen Departement Tolima
Bild: © Helda Martínez/IPS

Ibagué, Kolumbien, 11. April (IPS) - "Die Situation verschlimmert sich", meint Enrique Muñoz, ein 67-jähriger Bauer aus dem Bezirk Cajamarca im zentralkolumbianischen Departement Tolima, einer ehemaligen Kornkammer des südamerikanischen Landes. "Hier in Tolima bauten wir einst Mais, Tabak, Soja und Sorghum an. Und an den Berghängen wuchsen Kaffeepflanzen in nächster Nachbarschaft zu Orangenbäumen, Mais, Bananen und Sellerie."

Auch Miguel Gordillo, Leiter der unabhängigen Vereinigung zur Rettung der Agrarwirtschaft, kommt ins Schwärmen, wenn er an vergangene Zeiten denkt. Vor 40 Jahren sei Ibagué, die Hauptstadt des Departements, noch von Baumwollfeldern umgeben gewesen. Aus der Ferne hätten sie wie weiße Laken ausgesehen. "Im Norden von Tolima befanden sich Obsthaine, und in den Flüssen tummelten sich die Fische", erläutert er. "Übrig geblieben sind Reiskulturen, ein bisschen Mais und Kaffee. Sogar die Fische sind verschwunden, und jetzt gibt es Autobahnen, Wohnanlagen und Tankstellen, soweit das Auge blickt."

Mit diesem Strukturwandel hat sich das Leben der lokalen Bauern grundlegend verändert. "Meine Frau und ich werden jetzt von unseren Kindern finanziell unterstützt. Ein Sohn arbeitet in Ibagué, unsere anderen beiden Kinder in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Auf dem Hof halten wir eine Kuh, aus deren Milch wir Käse für den Verkauf herstellen. Die Feldfrüchte reichen nur noch zum Leben."


Revision der Freihandelsabkommen gefordert

Muñoz bereitet sich derzeit auf seine Teilnahme am zweiten nationalen Bauernstreik am 27. April vor. Die erste Großdemonstration fand im letzten Jahr vom 19. August bis 9. September statt und war von den Kaffee-, Reis-, Baumwoll-, Zuckerrohr-, Kartoffel- und Kakaobauern abgehalten worden. Sie forderten die Regierung von Juan Manuel Santos damals auf, die Abschnitte über Landwirtschaft aus den von Kolumbien geschlossenen Freihandelsabkommen und insbesondere die diesbezüglich mit den USA getroffenen Vereinbarungen zu überarbeiten.

Der Nationalstreik, der in Bogotá und 30 anderen Städten durchgeführt wurde, erhielt Unterstützung von Bergleuten, von Arbeitern im Transport- und Gesundheitsbereich, von Lehrern und Schülern. Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften kosteten zwölf Menschen das Leben, fast 500 Personen wurden verletzt und vier weitere werden bis heute vermisst.

Nach offiziellen Angaben hat Kolumbien mehr als 50 Freihandelsabkommen unterzeichnet, unter anderem mit den USA und der EU, die seit Mai 2012 beziehungsweise August 2013 in Kraft sind. Ein weiteres wird derzeit mit Japan ausgehandelt.

Im Jahr 2011 hatte sich Kolumbien zusammen mit Chile, Mexiko und Peru zur Pazifik-Allianz zusammengeschlossen, der Panama als Beobachter angehört. Kolumbien ist Mitglied einer Vielzahl regionaler Integrationsblöcke.

"Die kolumbianischen Regierungen, die seit den 1990er Jahren nach dem Motto 'Willkommen in der Zukunft' verfuhren, haben gehalten, was sie versprachen. Diese Zukunft hat sich für Tolima und den Rest des Landes jedoch als verheerend herausgestellt", meint Gordillo. Er macht das FTA mit den USA für eine Anweisung des staatlichen Kolumbianischen Agrarinstituts ICA aus dem Jahr 2010 verantwortlich, die den Farmern verbietet, ihr eigenes Saatgut auszubringen. Nach der ICA-Resolution 970 dürften die Bauern nur noch zertifiziertes Saatgut von Biotechnologieunternehmen wie Monsanto, Syngenta und DuPont aussähen, die Marktführer für transgene Saaten.

Die Entscheidung "ignoriert eine Jahrhunderte alte Tradition, die die indigenen Völker eingeführt haben", so Gordillo. "Sie hoben die besten Saaten aus ihren Ernten für die nächste Aussaat auf. Doch heute hängen wir, was Saatgut, Düngemitteln und anderen Agrarchemikalien angeht, von der Gnade des internationalen Marktes ab."

In den letzten vier Jahren haben die Kaffeebauern mehrfach protestiert, bis sie Subventionen in Höhe von 80 US-Dollar pro Wagenladung Kaffee durchsetzen konnten.

In dem 48,2 Millionen Menschen zählenden Land trägt die Landwirtschaft momentan zu 6,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Führend sind Kaffee, Schnittblumen, Reis und Bananen. Im Jahr 2000 hatte der Anteil am BIP noch bei 14 Prozent und 1975 sogar bei 20 Prozent gelegen.


Anbauvielfalt verloren

"Der Landwirtschaft geht es schlecht, und Tolima macht da keine Ausnahme", meint der für landwirtschaftliche Entwicklung zuständige Bezirksbeamte Carlos Alberto Cabrera. "Der Reisanbau, der in unserem Departement eine wichtige Rolle spielt, erlebt derzeit harte Zeiten. Soja, Tabak und viele andere Feldfrüchte sind auf dem Rückzug und werden nur noch zum Eigenbedarf angebaut."

Um eine Lösung für die Probleme zu finden, habe man die Minister und stellvertretende Minister in die Region eingeladen. "Doch wurde uns von diesen mitgeteilt, dass wir nach den Regeln von Angebot und Nachfrage verfahren und nur doch anpflanzen sollen, was sich verkauft."

Cabrera zufolge leidet Tolima nicht unter den FTAs. "Denn das einzige, was wir exportieren, ist Kaffee", erläutert er. "Reis ist für den nationalen Verbrauch und Sorghum für die Industrie bestimmt. Was die Kaffeeproduktion angeht, sind wir landesweit die drittgrößten Hersteller und hoffen bald in Führung zu gehen", fügt er hinzu.

Gordillo ist erbost, dass die Bauern pflanzen sollen, was in anderen Ländern nicht angebaut wird. "Anders ausgedrückt sagen uns die Minister auf diese Weise, dass sie sich nicht nach unseren Bedürfnissen, sondern nach denen der anderen richten. Dabei sollte die Ernährungssicherheit der Kolumbianer für sie im Mittelpunkt stehen."

Auch das sei ein Grund dafür, erneut einen Nationalstreik abzuhalten. Bauern aus Tolima und aus vielen anderen Regionen des Landes würden daran teilnehmen, weil sich die Regierung nicht an wichtige Versprechen gehalten habe. "Vor der gravierenden Armut der Kleinbauern können sie nicht mehr ihre Augen verschließen."

Bogotá hat nach eigenen Angaben jedoch mindestens 70 der 183 Versprechen erfüllt, die sie den im letzten Jahr streikenden Bauern gemacht habe, und 500 Millionen Dollar für die Förderung der Landwirtschaft im Haushaltsjahr 2014 bereitgestellt. Die Landwirte hatten letztes Jahr Grundbesitz, soziale Investitionen in die ländlichen Gebiete, den Schutz vor großen Bergbau- und Erdölförderprojekten sowie Treibstoffsubventionen für die landwirtschaftlichen Produzenten gefordert.


Regierung will Bauernproteste verhindern

Seit einigen Wochen führt die Regierung Aktionen durch, die zeigen sollen, was sie alles für die Bauern getan hat. Und Präsident Santos erklärte in verschiedenen öffentlichen Reden, dass "ein neuer Bauernstreik nicht gerechtfertigt ist". Die Behörden versuchen die Gefahr eines wochenlangen Bauernstreiks im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 25. Mai durch das Angebot eines Dialogs zu verhindern, der in einen nationalen Pakt mit den Farmern münden soll.

Die Kleinbauern, die mit anderen Gruppierungen vom 15. bis 17. März an einem 'Agrargipfel' teilgenommen hatten, verständigten sich auf acht Hauptforderungen, die bei möglichen Gesprächen mit der Regierung thematisiert werden sollen: eine Landreform, Zugang zu Land, die Einrichtung von landwirtschaftlichen Schutzzonen, die Rücksprache in Fällen, in denen Projekte auf landwirtschaftlichen Flächen und indigenen Gebieten geplant sind, sowie den Schutz vor FTA, die die kleinbäuerliche Landwirtschaft gefährden und Einschränkungen der Bergbau- und Ölförderaktivitäten. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2014/04/la-despensa-agricola-colombiana-pierde-peso-y-sabor/
http://www.ipsnews.net/2014/04/colombias-breadbasket-feels-pinch-free-trade/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2014