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LANDWIRTSCHAFT/1565: Neue Wege auf dem Acker - Pflanzenzüchtung in der Commons-Gesellschaft (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 364 - März 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Neue Wege auf dem Acker
Pflanzenzüchtung in der Commons-Gesellschaft

von Gregor Kaiser



Nachbaugebühren und Auskunftspflicht bestimmen seit vielen Jahren die Debatten von Landwirten, wenn es um Pflanzenzüchtung und Nutzung von Saatgut geht. Der zurecht zunehmend reglementierte Einsatz von Pestiziden sowie die steigende Klimaproblematik lassen die Frage aufkommen, welche Sorten in der Zukunft genügend Erträge bringen, um die Betriebe wirtschaftlich zukunftsfähig zu erhalten und gleichzeitig dazu führen, dass genügend Nahrungsmittel produziert werden. Darüber hinaus zeigt das Eiweißprojekt der AbL-NRW, wie wichtig es ist, die Forschungs- und Züchtungsprioritäten der großen Pflanzenzüchter zu hinterfragen und lange vernachlässigte Sorten wieder in die Forschung und den Anbau aufzunehmen. Die zentrale Frage lautet also, wie genügend gute landwirtschaftliche Kultursorten erforscht, gezüchtet und auf den Markt gebracht werden können, um die Versorgung der Menschen mit qualitativ guten Nahrungsmitteln zu befriedigen, die Umweltauswirkungen des Anbaus möglichst gering zu halten und die bäuerlichen Rechte - Nachbau, Tausch, Weiterzüchtung - zu erhalten.


Grundbedürfnisbefriedigung

Aus meiner Sicht ist nachgewiesen, dass geistige Eigentumsrechte - Patente und Sortenschutzrecht - nicht zur Erweiterung des gesellschaftlichen, des volkswirtschaftlichen Reichtums beitragen. Sie mögen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, aber das kann nicht das entscheidende sein, wenn es sich um ein Thema der Grundbedürfnisbefriedigung handelt. Wir brauchen eine Vielfalt an pflanzengenetischen Ressourcen, an Saatgut, um den Risiken der Zukunft trotzen zu können. Und wir brauchen eine diversifizierte Züchtungslandschaft, die sich nicht nur auf global anzubauende Sorten kapriziert, sondern auch die lokalen und regionalen Schwerpunkte in den Blick nimmt. Es ist wichtig, dass Sorten nicht künstlich unfruchtbar gemacht werden - die natürliche Reproduktionsfähigkeit ist ein entscheidendes Merkmal des Lebens und sollte nicht kommerziellen Interessen untergeordnet werden (Hybridzüchtung, Terminatortechnologie). Darüber hinaus ist nicht nur aus ethischen, sondern auch aus ökologischen, ökonomischen und sozialen Gründen auf Patente ganz zu verzichten und der Sortenschutz zumindest wieder auf den Stand von 1978 zurückzufahren - zu einem Standard der sowohl den Züchtern als auch den Bäuerinnen und Bauern noch einige Freiheiten ermöglichte. Züchtung muss neu organisiert werden, sowohl on-farm als auch in den spezialisierten Pflanzenzuchtunternehmen und in Kooperation beider.


Wie finanzieren?

Gleichzeitig müssen sich die Bauern und Bäuerinnen aber auch fragen, wie Pflanzenzüchtung, wie die Züchter finanziert werden sollen, wenn diese nicht auf exklusive Eigentumsrechte zurückgreifen können. So ist es derzeit vor allem in der Ökozüchtung ein großes Problem, genügend finanzielle Mittel für die Arbeit und das Leben der in der Züchtung Arbeitenden zu erwirtschaften - Sortenschutz und Nachbaueinschränkungen sind wichtige Mittel, um trotz der kleinen Märkte (genügend) Einkommen zu generieren. Die Bauern und ihre Verbände müssen sich somit m.E. überlegen, wie die Züchter, die ihnen ja Arbeit abnehmen und die ihnen ein gutes Produktionsmittel zur Verfügung stellen, entschädigt und wie ihre Arbeit finanziert werden kann. Dies kann über freiwillige Beiträge wie Züchtungscent oder Sortenentwicklungsbeiträge geschehen, oder auch eine über die Verbände abgewickelte Umlage je Hektar Anbaufläche. Auch Steuermittel sind denkbar. Aufgrund ihrer Bedeutung für die Menschheit sollte Saatgut, sollten pflanzen- und auch tiergenetische Ressourcen als Gemeingut, als Commons gelten. Dies meint nicht, dass jeder dieses Gemeingut einfach nutzen kann, dass es keine Regeln gibt, etc. Sondern es bedeutet, dass sich die verschiedenen Interessensgruppen auf einvernehmliche Regeln der Nutzung einigen, diese auch überwacht und ggf. sanktioniert werden.


Gemeingutcharakter

Für pflanzengenetische Ressourcen ließe sich dies im Rahmen des Internationalen Saatgutvertrages von 2001 weiterdenken. Mittlerweile von über 120 Staaten ratifiziert, erklärt dieser Vertrag 35 Nahrungs- und 29 Futtermittelpflanzen als gemeinsames Eigentum der Menschheit (mit Einschränkungen, aber das würde hier zu weit führen), legt Regeln des gemeinsamen Umgangs mit ihnen fest und verlangt eine Entschädigung (benefit sharing) für die jahrtausendelange Züchtungsarbeit der Landwirte, sollten in der Züchtung Sorten zum Einsatz kommen, die ursprünglich einmal von jenen erarbeitet wurden. Es ist ein sogenanntes multilaterales System entwickelt worden, welches die Nutzung der Ressourcen erlaubt, die Patentierung des Ursprungsmaterials aber verbietet. Hier ist der Vertrag leider nicht konsequent genug, da Neuzüchtungen patentiert werden dürfen. Und insgesamt kommt die Umsetzung schleppend voran. Aber, und das ist das Entscheidende: Es handelt sich um einen Ansatz, der der Monopolisierung entgegensteht. Je mehr Material über den Vertrag ausgetauscht wird, desto mehr wird der globale Gemeingutcharakter erkennbar.


Open Source

Ergänzt werden könnte dieser Ansatz durch das aus dem Softwarebereich bekannte Open Source Konzept. Neues Saatgut ließe sich mit Lizenzen versehen, die jedem eine Nutzung und Weiterzüchtung ohne Einschränkung erlauben, so lange die Ergebnisse unter den gleichen Bedingungen weitergegeben werden. Eine solche General Public Licence on Plant Genetic Resources oder eine Creative Commons Lizenz hätten einen viralen Effekt zur Folge: alle Folgeprodukte wären ebenfalls zugänglich zu machen. Eine Neugestaltung der Züchtungsfinanzierung und -organisation ist dafür aber eine Bedingung. Auf der Saatgut-Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft Ende Januar in Kassel, wurden sowohl zur Ausgestaltung solcher Lizenzen als auch zur Finanzierung der Züchter sehr intensive und gute Diskussionen geführt. Nun ist es notwendig, sich innerhalb der Landwirtschaft darüber zu verständigen, wie Züchtung und Züchtungsfinanzierung aus Sicht der Landwirte in Zukunft gestalten werden sollte.

Gregor Kaiser, Sozialwissenschaftler, Biologe, bewirtschaftet einen Wald- & Forstbetrieb und beschäftigt sich u. a. mit den geistigen Eigentumsrechten.
Weitere Infos: www.vielfalt-wald.de

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 364 - März 2013, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2013