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LANDWIRTSCHAFT/1647: Antibiotikamonitoring - Ersten Abgleich der Kennzahlen als Testlauf sehen (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 388 - Mai 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ersten Abgleich der Kennzahlen als Testlauf sehen
Antibiotikamonitoring schafft statt Klarheit und ernsthafter Auseinandersetzung zunächst Verwirrung

Von Christine Weißenberg


Letztes Jahr im April startete in Deutschland das Antibiotikamonitoring für Mastbetriebe, um den Einsatz von antibiotischen Arzneimitteln in der Nutztierhaltung schrittweise und bundesweit koordiniert zu reduzieren. Es hängen hohe Erwartungen daran, aber auch Befürchtungen und Skepsis. Gerade hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zum ersten Mal die bundesweiten Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit für das zweite Kalenderjahr 2014 veröffentlicht. Mit diesen soll auf den Betrieben ein Abgleich gemacht und bei hohem Verbrauch selbständig mit Unterstützung der Tierärzte und z.T. behördlicher Prüfung gegengesteuert werden. Doch zunächst machen sich hauptsächlich Verwirrung, Zweifel an den Daten und ein Aufflammen des Ärgers von Landwirten über die kritische Beobachtung bemerkbar.

Datenlage mit Fragezeichen

Es stellt sich von verschiedenen Seiten die Frage, ob die aktuellen Daten der Realität entsprechen: Dass bei Mastrindern das Mittel des Datensatzes bei Null liegt, scheint unwahrscheinlich. Ein Tierarzt aus einer norddeutschen Milchviehregion beschreibt: "Wir haben nur einen Betrieb, der reine Mast macht. Der kauft die Tiere zusammen und da setzen wir intensiv Antibiotika ein. Ansonsten werden hier eher zusätzlich eigene Tiere gemästet. Besonders in der Anfangsphase haben da manche gesagt: 'Das kann ich doch bei den Kühen aufschreiben'. Nein! Teilweise war die Angst davor, schon wieder kontrolliert zu werden, groß." Da innerhalb des brancheneigenen QS-Systems eine vergleichbare Datenbank aufgebaut wurde, deren Daten z.T. im Auftrag des Tierhalters an die staatliche weitergegeben werden, wäre es interessant zu klären, warum die Ergebnisse dort im Geflügelbereich niedriger ausfallen. Für Ferkel und Schweine sind sie vergleichbar. Und doch: Ein westfälischer Schweinehalter betont zunächst, ihm sei der Antibiotikaeinsatz im Betrieb viel zu hoch, das ärgere ihn selbst: "Weil die Schweine ja von verschiedenen Betrieben kommen, werden die eigentlich alle erstmal mit Antibiotika behandelt, weil da irgendwas meistens dabei ist. Das rät auch die Tierärztin." In der Auswertungstabelle vom Landkreis ist für seinen Betrieb als Therapiehäufigkeit 0,000 den amtlichen Kennzahlen gegenübergestellt. Wie kann das sein? "Das sind Zahlen für das zweite Kalenderhalbjahr 2014 und da mussten wir noch gar nicht melden", ist sich der Bauer sicher.

Verbesserungsbedarf

Insgesamt sind wenig Informationen zu bekommen. Es herrscht große Vorsicht, so auch bei Einschätzungen zur Vollständigkeit der Meldungen. Ein Hinweis auf eine mögliche Fehlerquelle ergibt sich aus der Aussage des BVL: "Betriebe, die keine Daten eingegeben, sich aber als meldepflichtig angemeldet haben, werden nach Auskunft von HI-Tier mit dem Wert 'Null' eingetragen. Die Gründe, warum keine Daten eingegeben worden sind, sind HI-Tier nicht bekannt." Das BVL bekommt nach eigenen Angaben "keinerlei Metadaten zu den Therapiehäufigkeiten zur Verfügung gestellt, sondern nur die Daten, die in der 16. AMG-Novelle stehen. Von daher kann das BVL auch keine Angaben zur Validität der Daten machen. Über den Anteil der Daten aus dem QS-System liegen keine Angaben vor." Bleibt die Frage, wie der weitere Umgang mit offenen Fragen und höchstwahrscheinlichem Verbesserungsbedarf aussieht.

Für TierhalterInnen muss deutlich werden, dass es nicht eine Strafmaßnahme ist, unter den oberen 25 Prozent zu liegen, sondern ein Hinweis auf Potential zur Verringerung des Medikamenteneinsatzes - und dass die eigenen Anstrengungen an Hand der Entwicklung der betrieblichen Therapiehäufigkeit sichtbar werden. Hilfreich könnte dafür sein, wenn wirksame Änderungsmaßnahmen für andere TierhalterInnen verfügbar gemacht werden könnten, um die Praxiserfahrungen in ein gemeinsames Vorgehen einzubinden.

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So funktioniert das Antibiotikamonitoring:

LandwirtInnen, die Masttiere halten, müssen ab festgelegten Bestandsgrößen halbjährlich die Anzahl und Art der gehaltenen und behandelten Tiere, die Bezeichnung der verwendeten Antibiotika sowie die Anzahl der Behandlungstage und die insgesamt angewendete Antibiotikamenge melden. Die Datenbank wird vom Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere (HI-Tier) geführt. Aus den Meldedaten ermitteln die Kreisbehörden für jeden Betrieb und jede Nutzungsart den betrieblichen halbjährlichen Therapiehäufigkeitsindex: Dieser gibt die Anzahl Behandlungseinheiten mit einem antibiotischen Wirkstoff pro Halbjahr an, die durchschnittlich auf ein Tier des Betriebes entfallen. Aus diesen betrieblichen Werten werden jedes Halbjahr vom BVL zwei Kennzahlen ermittelt, die einen von Mal zu Mal gleitenden Maßstab für die Betriebe bilden, der zeigt, wo sie selbst sich jeweils im Bezug dazu befinden: Der Median (Mittel) ist der Wert, unterhalb dessen 50 Prozent der Werte liegen, und das 3. Quartil (Drittes Viertel) ist der Wert, unterhalb dessen 75 Prozent der Werte liegen. Die Betriebe, deren betrieblicher Wert innerhalb der oberen 50 Prozent liegt, sollen sich mit ihrem Tierarzt besprechen, ob und wie der Einsatz von Antibiotika verringert werden kann. Diejenigen, deren Wert innerhalb der obersten 25 Prozent liegt, müssen einen Maßnahmenplan entwickeln und bei der örtlichen Behörde einreichen, die Änderungen anordnen kann.



Hintergrund:

Nach Veröffentlichung der für die Tierhaltung in Deutschland verwendeten Antibiotikamengen, die das BVL erstmalig auf Grundlage von Verkaufszahlen der Pharmaunternehmen zusammenstellte, war das Erstaunen über die hohen Zahlen groß: 2011 wurden 1706 Tonnen Antibiotika an tierärztliche Hausapotheken abgegeben, 2012 waren es 1619 Tonnen - wovon der Großteil im Nutztierbereich eingesetzt wird. Zusammen mit der Diskussion um die Gefahr zunehmend resistenter Keime, die größtenteils auf Probleme in der Humanmedizin zurückgehen, z.T. aber auch in der Nutztierhaltung ihren. Ursprung haben, entstand politischer Handlungsdruck. Herausgekommen ist mit der 16. Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG) die Einführung eines Antibiotikamonitorings an Hand der Therapiehäufigkeit auf Mastbetrieben. Gefeiert wurde das gewählte Vorgehen als effektives, auf Vergleich beruhendes Benchmark-System - und kritisiert als zu wenig ambitioniert wegen fehlender Zielvorgaben. Auch bestehen Bedenken, dass zu einseitig nur die Verringerung des Antibiotikaeinsatzes im Vordergrund steht. Weil nicht gleichzeitig Daten zu Gesundheitszustand und Sterblichkeitsrate der Tiere erhoben werden, könnten auf Grund unterlassener Behandlungen Tierschutzprobleme entstehen, wenn der Reduzierungsdruck als sehr hoch empfunden wird. "

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 388 - Mai 2015, S. 10
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2015

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