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LANDWIRTSCHAFT/1651: Hochleistungszucht ist eine Einbahnstraße (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 389 - Juni 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Hochleistungszucht ist eine Einbahnstraße
Gesundheits- und Akzeptanzprobleme können Blick für Alternativen öffnen

Von Christine Weißenberg


Milchviehhaltung ist Hochleistungsbetrieb. Als Erfolgsmodell wird größtenteils vor allem die Produktionssteigerung hochgehalten: Eine höhere Gesamtmilchmenge durch Aufstocken der Herdengröße und eine möglichst hohe Milchleistung der Einzeltiere drehen an der Kosteneffizienzschraube - und wenn überversorgte Märkte zu niedrigen Auszahlungspreisen führen, können diese noch ein bisschen niedriger und ein Stück länger ausgehalten werden. Unabhängig davon, dass sich dieses Geschäftsmodell zumindest für die Bauern und Bäuerinnen im Kreis dreht, verursacht die starke Ausrichtung auf Höchstleistungen eine Zwickmühle, die auch am gesellschaftlichen Ansehen kratzt. Zum einen geraten die Kühe an den Rand ihrer Anpassungsfähigkeit und reagieren sehr empfindlich. Dies stellt immer höhere Anforderungen an das Management und verengt die Handlungsmöglichkeiten, z. B. was die Fütterung angeht: Für eine ausreichende Versorgung sind meist standardisierte Mischungen nötig; Weidegang erscheint da heutzutage manchem als waghalsig. Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Milchkühen liegt zwischen zwei und drei Laktationen. Die Kühe gehen hauptsächlich wegen Fruchtbarkeits-, aber auch wegen Gesundheitsproblemen wie Klauen- und Eutererkrankungen, ab. Außerdem führt die einseitige Betonung der Milchleistung in der Zucht dazu, dass andere Merkmale wie der Fleischansatz reduziert werden. Thematisiert wurde dies in jüngster Zeit im Bezug auf den geringen wirtschaftlichen Wert der männlichen Kälber von Milchrassen für Mast und Fleischverwertung. Als technische Lösung, um die unwirtschaftliche Aufzucht gleich zu vermeiden, wird für die künstliche Besamung - bisher noch in eingeschränkter Auswahl, aber zunehmend - der Einsatz von gesextem Sperma angeboten.

Züchtung am Zug

Für die Entwicklung der Milchviehpopulation spielt insbesondere die Ausrichtung in der Züchtung die entscheidende Rolle, um systematischen Problemen entgegenzuwirken. So empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums in seinem aktuellen Gutachten u. a. eine "starke und breite Berücksichtigung funktionaler Merkmale bei der Zucht". Die Zuchtverbände haben mittlerweile die einseitige Betonung hoher Milchleistungen als Zuchtziel zurückgefahren und beziehen in die Zuchtwertschätzung verstärkt Fitnessmerkmale ein.

Allerdings haben gewohnte Erfolgsmerkmale starken Einfluss auf die Nachfrage, und die Zuchtverbände erklären, dass die Betriebe häufig doch auf die starken Milchvererber zurückgreifen. Bestehen bleibt außerdem das grundsätzliche Problem der verengten Zuchtlinien in der Holstein Friesian Population, die mittlerweile in Deutschland einen Inzuchtkoeffizienten von vier Prozent aufweist und wenig Spielraum für Abweichungen vom Milchleistungstyp lässt, wie Onno Poppinga, Professor für regionale Agrarpolitik und aktiv beteiligt am Zuchtprogramm der Deutschen Schwarzbunten Niederungsrinder, kritisch anmerkt.

Alternative Wege

Wer sich nach alternativer Schwerpunktsetzung in der Milchrinderzucht umschaut, findet jedoch die Angebote von zwei parallel entstandenen, kleinen Züchtungsinitiativen mit jeweils knapp 300 Mitgliedern und diversen Netzwerkpartnern, die auf Lebensleistung und erhöhte Nutzungsdauer setzen. Hierzu zählt die Arbeitsgemeinschaft Lebenslinien (ALL), die auf Grundlage eigener Zuchtziele die Bullen von neun Partner-Zuchtorganisationen bewertet und ein eigenes Gütesiegel vergibt. Das Augenmerk liegt dabei auf spätreifen Kühen mit Leistungssteigerung von Laktation zu Laktation und überdurchschnittlicher Fruchtbarkeit. Außerdem versucht die ALL bewusst, eine Verengung der eingesetzten Blutlinien zu vermeiden und eine möglichst große Variabilität einzubeziehen. Als Internetangebot stellt die ALL eine Zuchtwertampel zur Verfügung, mit der Betriebe ihre Kühe mit Hilfe väterlicher Abstammungsdaten auf Schwachpunkte in der Veranlagung überprüfen können.

Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) für Rinderzucht auf Lebensleistung arbeitet auf zwei verschiedenen Ebenen: Die Mitglieder führen bei den gängigen Milchrassen ein eigenes Linienzuchtprogramm durch; die Auswahl der besten Bullen wird jährlich in einem internen Bullenkatalog veröffentlicht. Gemeinsam mit der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft und mit Bioverbänden hat der Gründer der ARGE, Dr. Günter Postler, den Ökologischen Gesamtzuchtwert (ÖZW) entwickelt. Dieser entspricht besonders den Anforderungen einer ökologischen Milchviehhaltung, bietet aber eine Orientierung für alle Züchter, die auf Langlebigkeit der Kühe mit flacher Laktationskurve und Leistungssteigerung über die Jahre statt auf hohe Einsatzleistung setzen. Für die Rinderrassen Braunvieh, Fleckvieh und Gelbvieh wird so eine eigenständige Gewichtung der Abstammungs- und Leistungsdaten vorhandener Besamungsbullen vorgenommen, von denen die besten in einer extra Bullenliste veröffentlicht werden. Mittlerweile ist der ÖZW Grundlage für das Anpaarungsprogramm Opti-Bull-Öko.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 389 - Juni 2015, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2015

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