Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → ERNÄHRUNG


LANDWIRTSCHAFT/1739: Weder Bauern noch Ferkel verlieren (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 414 - Oktober 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Weder Bauern noch Ferkel verlieren
Viele Faktoren spielen zusammen beim Thema freie Abferkelung

von Claudia Schievelbein


Eine der größten Herausforderungen, wenn es um den Umbau der Tierhaltung oder konkret um gesellschaftlich gewünschte Veränderungen in der Schweinehaltung geht, ist die Frage des freien Abferkelns. Finanziell sowieso: Sauenhalter wirtschaften am Ende der Wertschöpfungskette und damit im Markt der letzten Jahrzehnte oft am Rande der Wirtschaftlichkeit, ohne Förderung können sie den Umbau nicht wagen. Aber auch inhaltlich: Der sogenannte Ferkelschutzkorb, in dem die Sau in den meisten konventionellen Ställen von kurz vor der Geburt bis zum Absetzen der Ferkel, also rund vier Wochen lang, fixiert ist, ist nicht nur negatives Symbol für die konventionelle Sauenhaltung, mit dessen medialer Präsentation gesellschaftliche Aufregung produzierbar ist. Er ist auch tatsächlich fast die größte Einschränkung im Bereich Tierverhalten bei Schweinen, die der Mensch diesen zumutet. Sauen haben einen stark ausgeprägten Nestbautrieb, den sie in einer konventionellen Bucht nicht ausleben können. Zudem vermeiden es Schweine im allgemeinen, sich in ihren Exkrementen abzulegen, im Ferkelschutzkorb bleibt der Sau nichts anderes übrig, mehr noch, sie muss ihre Ferkel dahinein gebären. Ihre Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit den Ferkeln ist eingeschränkt, erst recht jegliche Bewegungsmöglichkeit außer Aufstehen und Abliegen. Den Einschränkungen der Sau steht das Argument des Ferkelschutzes gegenüber. Ließe man die Sau sich während der Abferkelung und der Säugeperiode frei bewegen, würden unverhältnismäßig mehr Ferkel erdrückt, so die gängige Lehrmeinung. Tote Ferkel sind im wahrsten Sinne des Wortes ein Totschlagargument, jedes tote Tier ist eins zu viel. Trotzdem ist es eben nicht so einfach, wie Kritiker des freien Abferkelns es sich oft machen.

Wie zählen?

"Freie Abferkelung nur unter dem Gesichtspunkt der Ferkelverluste zu beurteilen, ist fachlich nicht zu rechtfertigen. In diesem System sind unter optimalen Bedingungen sehr gute Leistungen möglich, die Anzahl der tot geborenen Ferkel ist geringer und die Geburtsdauer kürzer als bei fixierten Sauen", schreiben die österreichischen Agrarwissenschaftler Werner Hagmüller und Ulrike Minihu in einem Artikel des Magazins von Bio-Austria. Und nicht nur Jan Hempler, Berater für ökologische Schweinehaltung, weist darauf hin, dass am Ende der Aufzuchtperiode die Zahlen der Verluste zwischen konventioneller und freier Abferkelung gar nicht groß auseinanderliegen. Offenbar sind eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich dafür, wie die Verlustraten zustande kommen, darüber sind sich die meisten Experten einig. Los geht es schon damit, wie und ab wann gezählt wird. Es gilt als offenes Geheimnis, dass gerade bei den immer größeren Würfen in konventionellen Ställen nicht selten die lebend geborenen Ferkel erst am nächsten Tag gezählt werden, wenn ganz lebensschwache nicht mehr dabei sind. Überhaupt die großen Würfe: Sie gelten, wenn auch nicht als der, so doch zumindest als ein wesentlicher Grund für die ja auch in der konventionellen Haltung mit zehn oder 15 % nicht niedrigen Verlustraten. "Auch wenn man mit konventionellen Bauern spricht, sagen die: 'Wir wollten die Riesenwürfe nicht'", sagt Hempler. Es habe sich da in den vergangenen 25 Jahren ein Züchterwettlauf des "Immer höher, schneller, weiter" entwickelt, insofern findet er es umso wichtiger, dass mit dem FreeSow-Projekt vom Bundeshybridzuchtprogramm (BHZP) erstmals Selektionsmerkmale wie das Tierverhalten oder Gesundheit und Wohlergehen in Freilaufbuchten entwickelt und dann auch in die Zuchtarbeit eingearbeitet werden. "Hinsichtlich des genetisch determinierten Tierverhaltens werden nunmehr Merkmale relevant, die jahrzehntelang keine Beachtung gefunden haben, bedeutungslos waren und eher beiläufig in eine entgegengesetzte Richtung entwickelt wurden", heißt es in einer Projektbeschreibung. Bislang galt fast ausschließlich das Diktat des Marktes, soll heißen, das Zuchtziel einer hohen Anzahl Ferkel.

Rationalisierung

Ein Sau hat meist 12 funktionierende Striche; gebiert sie 22 Ferkel, egal in welcher Abferkelbucht, stellt das den Sauenhalter vor Probleme. Hinzu kommt, dass mit wachsenden Würfen die Geburtsgewichte der einzelnen Tiere abnehmen, also die Wahrscheinlichkeit, dass mehr kleinere, nicht so vitale Ferkel dabei sind, wächst. Diese sind dann eher potentielle Erdrückungsopfer in Freilaufbuchten. Hinzu kommt der Faktor Betriebsgröße: Wer weniger gleichzeitig ferkelnde Sauen im Betrieb hat, kann schlechter durch Umsetzen der Ferkel extreme Wurfgrößen ausgleichen. Damit Freilaufbuchten gut funktionieren, müssen sie größer sein als konventionelle, sie sollten mehr als 7,5 Quadratmeter messen. Damit wird, je nachdem, wo die Sau ferkelt, der Weg für die Ferkel zum beheizten Ferkelnest weiter. Wärme ist aber neben der Kolostrumaufnahme eins der wichtigsten Kriterien für einen guten Start ins Leben. Bei all dem kommt dann - umso stärker in freien Abferkelsystemen - der Faktor Mensch ins Spiel. Tierbeobachtung bei der Sau, schnelles Eingreifen bei den Ferkeln - doppelt so viel Zeit brauche man im Freilaufstall wie im konventionellen, sagt Ralf Bussemas vom Thünen-Institut für ökologischen Landbau in Trenthorst. Er sieht im Ferkelschutzkorb und einem konventionellen Festhalten daran denn auch in erster Linie eine arbeitswirtschaftliche Rationalisierungsmaßnahme, die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ungern aufgegeben wird. Sie spart den Bauern und Bäuerinnen Zeit und Geld in einem Markt, der mehr als eng ist. Hinzu kommen erhebliche Investitionskosten für Freilaufbuchten und eine Stallbauindustrie, die bislang hauptsächlich mehr oder weniger gute Kompromisslösungen anbietet. Die konventionelle Haltung erspart letztendlich den Bauern und Bäuerinnen auch eine intensivere inhaltliche Auseinandersetzung. In Freilaufbuchten wirken weitere Faktoren stärker: die Bodenbeschaffenheit, Luftführung, Temperaturführung im Sauenbereich wie im Ferkelnest, die Eiweißversorgung der Sau, die Anordnung von Nest, Kotgang, Auslauf zueinander, das Alter der Sau, die Säugezeit, die Mütterlichkeit. Ein Projekt in Nordrhein-Westfalen soll nun auf 14 Biobetrieben untersuchen, welche all dieser Einflussfaktoren im Hinblick auf die Ferkelverluste wichtiger sind als andere. Denn eine komplexe Betrachtung tut not, zu einfach machen es sich die, die bei der freien Abferkelung nur reflexartig auf Erdrückungen gucken, aber auch die, die meinen, man müsse einfach nur die Sau rauslassen.

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 414 - Oktober 2017, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/905 31 71, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang