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MARKT/1717: Milchmarkt - Die Menge ist das Problem, die Menge ist die Lösung (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 323 - Juni 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Menge ist das Problem, die Menge ist die Lösung

Zum Milchmarkt und zur Milchpolitik ein Interview mit den AbL-Vorsitzenden
Maria Heubuch und Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf

Von Ulrich Jasper


Sie halten die Maßnahmen von Bund und Ländern für Ablenkungsmanöver und fordern dagegen, das Naheliegende zu tun: vorhandene Instrumente auch zu nutzen, mindestens bis die Erzeuger die Menge gebündelt haben.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was hat Agrardiesel mit Milch zu tun?

HEUBUCH: Nichts, das soll ablenken. Der Wegfall der Obergrenze von 10.000 Litern Agrardiesel bei der Steuererstattung wirkt sich für 90 Prozent der Milchviehhalter überhaupt nicht aus - weil sie nicht so viel Diesel verbrauchen. Und der Wegfall des Selbstbehalts bringt eben 350 Euro je Betrieb und Jahr an höherer Erstattung. Umgerechnet auf den Liter Milch sind das für den Durchschnittsbetrieb mit 40 Kühen weniger als 0,2 Cent je Liter Milch, bei einem Milchpreisverfall von 15 Cent und mehr! Ich gönne es ja den größeren Ackerbaubetrieben, aber das nun als Maßnahme für die Milchviehbetriebe verkaufen zu wollen, ist dreist und sogar gefährlich, weil der Anschein erweckt wird, den Milcherzeugern würde mit Subventionen geholfen und auf den Milchpreis käme es nicht mehr an.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Da übernachten im April Hunderte Milchbäuerinnen vor vier Staatskanzleien, Anfang Mai fahren über 10.000 Milchviehhalter nach Stuttgart und Hannover und wenig später klopfen eine Woche lang täglich 200 Milchbäuerinnen bei Kanzlerin Merke! an die Tür, sechs von ihnen treten sogar in den Hungerstreik. Doch all das führt bisher nur dazu, dass - wie beim Agrardiesel - ausgerechnet Forderungen des Bauernverbandes umgesetzt werden.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Das dichte Geflecht von Bauernverband, Milchindustrie, Parteien und Ministerien funktioniert eben noch. Aber sowohl bei den Bäuerinnen und Bauern als auch in der Öffentlichkeit wird nun immer deutlicher, dass dieses Geflecht nicht für die Interessen der Bauern steht. Der Bauernverband vertritt nicht die Milchbauern, sondern die Interessen der Milchindustrie. Beim Milchstreik im letzten Jahr glaubten viele noch, dass sich der Bauernverband - wenn auch spät - aber immerhin hinter die streikenden Milchbauern gestellt hätte. Das stimmte schon damals nicht, er betätigte sich durchgängig als Streikbrecher. Aber heute muss man keinem mehr erklären, dass der Bauernverband etwas ganz anderes will als der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter BDM und die AbL.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Aber an der Politik ändert all das immer noch nichts.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Na ja, es hat ja doch schon erhebliche Turbulenzen gegeben, am Markt und dann auch in der Politik. Es ist noch keine zwei Jahre her, da zahlten die Molkereien 40 Cent und mehr, nachdem der Handel die Preise für Butter und andere Milchprodukte stark angehoben hatte. Er hatte Furcht vor leeren Regalen, denn einmal gab es eine Balance von Angebot und Nachfrage, auch weltweit, und zum anderen hatte der BDM die Forderung nach 40 Cent mit einer Streik-Androhung verbunden. Diese Auszahlungspreise von 40 Cent und mehr waren aber nur von kurzer Dauer, auch weil die Politik sofort reagierte und Quotenerhöhungen ankündigte und sehr schnell durchsetzte mit dem erklärten Ziel, die Preise wieder zu senken. Molkereien und Handel setzten die Preise runter, und es kam zum ersten Warnstreik. Dieser Streik führte nicht nur zu einer riesigen Solidarität unter den Milchbauern und -bäuerinnen - 70 Prozent machten mit - und zu einem beeindruckenden Rückhalt in der Bevölkerung. Die Politik konnte nicht mehr anders, als zu reagieren. Es gab den Milchgipfel, wo alle Seiten, alle Landesminister, alle Verbände am Tisch saßen und vereinbart haben, dass die politischen Forderungen des BDM umgesetzt werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Umgesetzt wurden sie dann aber trotzdem nicht.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Seehofer und die Landesminister hatten die Umsetzung im Bundesrat auf einen Zeitpunkt nach der Bayernwahl gesetzt, ob gezielt oder gutgläubig. Jedenfalls haben der Bauernverband und die Milchindustrie - kaum war der Milchgipfel vorüber - alles unternommen, um die Beschlüsse zu kippen. Das endete im Wortbruch und gab an Brüssel das Signal: Deutschland will mehr Quote. So wurde es im November 2008 ja auch beschlossen, mit der Stimme der deutschen Ministerin.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die Agrarminister von Bund und Ländern sind bei ihrem Wortbruch geblieben, auch bei ihrer jüngsten Sondersitzung. Macht das nicht müde; das ist doch wie ein Anrennen gegen eine Wand?

HEUBUCH: So einfach werden wir es ihnen nicht machen. Wir sind ja schlau genug, uns nicht die Köpfe einzurennen. Die vielfältigen, phantasievollen Aktionen bewirken zur Zeit vor allem eins: Sie führen wieder zu einer hohen Motivation der Milchbäuerinnen und auch der Milchbauern. Es ist eine ganz andere Stimmung da als noch im Winter. Der Zusammenhalt und der Wille, selbst und gemeinsam unsere Interessen zu vertreten, wächst wieder stark. Die Kanzlerin und die Agrarminister unterschätzen uns, und sie machen Fehler. Wir setzen auf unsere Stärken, und das in wachsendem Maße mit unseren Kolleginnen und Kollegen in anderen EU-Ländern, also im European Milk Board.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Aber auch in Brüssel bewegt sich noch nicht sehr viel in unsere Richtung.

GRAEFE ZU BARINGDORF: In immer mehr Mitgliedstaaten kommen die Agrarminister unter Druck. Frankreich teilt die jüngste Quotenerhöhung nicht aus und der Minister bringt eine Fortführung einer Quotenregelung ins Spiel, obwohl er EU-Kommissar werden will. Wenn der Druck groß genug ist, ist Europa beweglicher als viele glauben. Der größte Bremser ist Deutschland; wenn Deutschland die europäische Quotenregelung so anwenden würde wie Frankreich, dann hätten wir in Europa mit einem Schlag eine ganz andere Diskussion. Das will die Milchindustrie - vorneweg die deutsche - mit aller Macht verhindern. In Deutschland kommt hinzu, dass der Bauernverband vereint mit Milchindustrie und Ministerien immer wieder versucht, den BDM auflaufen zu lassen. Aus der Interessenlage von Bauernverband und Milchindustrie müssen sie sogar alles versuchen, den BDM mundtot, ja kaputt zu machen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Ein harter Vorwurf!

GRAEFE ZU BARINGDORF: Nein, das ist nüchterne Analyse. Wenn der BDM - flankiert durch die AbL - erfolgreich ist mit seiner Politik, dann verliert der Bauernverband nicht nur Mitglieder, vor allem verliert er seine strategische Bedeutung für die Industrie. Die kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass der Bauernverband die Bauern hinter sich und damit hinter die Interessen der Industrie vereinen kann. Die Industrie bekommt eine offene Flanke. Das stärkt dann die politische und die gesellschaftliche Stellung der Bauern, aber es schwächt eben das Gewicht des Deutschen Bauernverbandes ganz erheblich.

HEUBUCH: Ein aktuelles Beispiel: Der Bauernverband spricht davon, dass die Lieferverträge der Molkereien mit den Milcherzeugern geändert werden sollen. Das haben die Agrarminister von Bund und Ländern nun bei ihrer letzten Sitzung aufgenommen und fordern die "Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette Milch" dazu auf, zum Beispiel "differenzierte Preise für Quoten- und Überlieferungsmengen" in die Verträge aufzunehmen. Wenn dabei der Bauernverband als der "Akteur" auf Seiten der Bauern gemeint sein sollte, dann wird der Bock zum Gärtner gemacht. Denn dann wird sich am Anreiz zur Überproduktion nichts ändern, weil Milchindustrie und Bauernverband an der Überproduktion nichts ändern wollen. Sie sind ja die größten Gegner einer bedarfsorientierten Mengensteuerung, weil eine Überproduktion die Verhandlungsposition der Milchindustrie gegenüber den Milchbauern stärkt. Diese Strategie geht aber eben nur auf, wenn der Bauernverband, und nicht der BDM bzw. das Milch Board die Milchviehhalter vertritt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Aber die Upländer Bauernmolkerei macht doch genau das: Sie will die Anlieferungsmenge, die der jeweiligen einzelbetrieblichen Quotenmenge zum Stichtag 31. März 2008 - also noch vor den letzten Quotenerhöhungen - entspricht, gut bezahlen und alles, was darüber hinaus angeliefert wird, im Preis abstaffeln.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Der Unterschied ist hier, dass bei der Upländer Bauernmolkerei die Bauern bestimmen, was passiert. Der Vorschlag kommt von den Bauern, nicht von der Geschäftsführung oder einem hauptamtlichen Vorstand. Alle Milchlieferanten stimmen darüber ab. Vor allem aber wollen die Upländer damit den Druck auf die Politik erhöhen, dass die ihre Möglichkeiten zur Mengenanpassung nutzt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die Politik dreht den Spieß um und sagt: Regelt das doch selbst!

HEUBUCH: Ja, aber daran wird deutlich, wie widersprüchlich die Minister argumentieren. Wenn wir ihren Vorschlag so verstehen sollen, dass damit die preiszerstörenden Übermengen reduziert werden sollen, um den Milchpreis wieder steigen zu lassen, warum nutzen sie dann nicht auch ihre Möglichkeiten, die es längst gibt, die also nicht erst neu installiert werden müssen, sondern die sie selbst in der Hand haben? Die Minister und der Bauernverband kommen aus dieser Widersprüchlichkeit nicht heraus. Der Bauernverband will die Stärkung der Molkereien. BDM und AbL wollen mit der Milchbündelung eine stärkere Marktmacht für die Milcherzeuger.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was ist so falsch daran, wenn Molkereien an Stelle des Staats Menge und Preis regeln?

HEUBUCH: Wir haben dann statt einer gegen die Bauern gestalteten staatlichen Milchquote eine gegen die Bauern gerichtete Molkereiquote. Die Molkereien wollen direkt und ohne Mitwirkung der Bauern bestimmen können, welche Art von Milchlieferanten gestärkt werden sollen. Der Haken ist: Wenn es unterschiedliche Preise für eine Lieferrechtsmenge und eine Überlieferungsmenge gibt, wird sich für die Lieferrechtsmenge wiederum ein Preis, ein Handelswert entwickeln, genau wie bei der staatlichen Quote, die wir heute haben. Nur kann bei der Molkereiquote die Molkerei eben selbst bestimmen, ob es für bestimmte Betriebe, die der Molkerei aus welchen Gründen auch immer besonders am Herzen liegen, dann Sonderrechte geben wird. Das, was wir zu Beginn der Quotenregelung mit den Härtefallregelungen an Umverteilung von Menge erlebt haben, wird dagegen noch harmlos sein.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Also dann doch besser die alte Quote fortführen?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Nein, das alte staatliche Quotensystem wollen wir nicht einfach fortsetzen. Von Beginn an ist die Menge über den Bedarf festgesetzt worden, auf Drängen von Milchindustrie und Bauernverband. Zwei Drittel aller Milchviehbetriebe in der EU sind seit 1984 ausgeschieden, weil das die Preise ständig unter Druck gehalten hat. Wenn zukünftig Bauernverband und Molkereien Menge und Preis allein bestimmen wollen, ändert sich für die Milchviehhalter nichts: Sie bleiben die Abhängigen.

Entscheidend ist also, dass die Milchbäuerinnen und Milchbauern selbst den Schlüssel über Menge und Preis in die Hand bekommen. Damit sich das ändert, müssen die Milchviehhalter eine eigenständige und von der Milchindustrie unabhängige Marktmacht erlangen. Die schenkt ihnen niemand, die müssen sie sich erkämpfen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Der DBV schlägt dagegen vor, die Molkereien sollten sich zu zwei oder drei Großen zusammentun, um bei Aldi besser verhandeln zu können.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Auch diese Forderung des Bauernverbandes zeigt, dass der Bauernverband näher an der Seite der Industrie als an der Seite der Bauern steht. Ob zwei oder drei Große mit Aldi und Lidl anders verhandeln können oder werden als mehrere Mittelgroße, das ist noch offen. Immerhin zahlen in der Regel kleine Marktmolkereien die besten Preise. Sicher aber ist, dass sich die Position der Milchviehhalter gegenüber den Molkereien dann noch weiter verschlechtert. Sie verkommen zum reinen Rohstofflieferant. In der Logik des Bauernverbandes betritt die Milch erst den Markt, wenn die Molkerei sie verarbeitet. Notwendig ist aber genau das Gegenteil: Mit der Bündelung im Milch Board werden die Milcherzeuger gleichberechtigte Marktpartner mit Molkereien und Handelsketten.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Es bleibt aber das Problem, dass sich allein in Deutschland 100.000 Milcherzeuger zu einer gemeinsamen Macht zusammenraufen müssten. Ist das realistisch?

HEUBUCH: Es müssen ja nicht 100 Prozent dabei sein. Es würde schon ausreichen, wenn 60 bis 80 Prozent mitmachen, um die Verhältnisse am Milchmarkt vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das bleibt unser aller Aufgabe, möglichst viele Milchviehhalter in der bestehenden Milcherzeugergemeinschaft Milch Board zu bündeln. Aber das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Deshalb ist die Politik in der Verantwortung, bis es soweit ist, die vorhandenen Quoten-Instrumente zu nutzen, und zwar für die Bauern und nicht gegen die Bauern. Das, was jetzt abläuft, ist keine "sanfte Landung" aus der Quote, das ist eine Wertvernichtung ohne Beispiel. Es geht um unsere wirtschaftliche Existenz, die wir derzeit verlieren. Das werden wir nicht einfach hinnehmen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie kann der Druck noch erhöht werden? Welche Rolle spielen die Wahlen?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Na ja, vor allem die CSU scheint sich Sorgen zu machen, nicht wieder ins Europaparlament gewählt zu werden. Nicht umsonst versuchen CSU-Chef Seehofer und Minister Brunner jetzt noch vor der Wahl, wenigstens nach außen auf Distanz zum Bauernverband zu gehen. Ob das verfängt, ist nach den schlechten Erfahrungen mit Seehofers Milchgipfel und dem Wortbruch der Minister im Bundesrat eher zweifelhaft. Entscheidend ist jetzt, dass die Menge an den Bedarf des Marktes angepasst wird. Das muss gelingen. Wenn die Politik dazu eine wirksame Unterstützung verweigert, werden die Milcherzeuger zu radikalen Maßnahmen der Mengenregulierung gezwungen, um der Verantwortung für ihre Höfe gerecht zu werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 323 - Juni 2009, S. 6-7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2009