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MARKT/1861: Das Spiel mit dem Hunger (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011


Das Spiel mit dem Hunger
Preisvolatilität und Spekulation an den Agrarmärkten

Von Ute Straub


Das Thema "Preisvolatilität auf den Agrarrohstoffmärkten" ist spätestens seit der Nahrungsmittelpreiskrise 2007/2008 zurück auf der internationalen Agenda. Auch in den vergangenen Monaten sind einige Nahrungsmittelpreise stark gestiegen. Im Februar 2011 erreichte der Preisindex für Nahrungsmittel der FAO ein noch nie dagewesenes Rekordniveau. Die extremen Preisausschläge sind nach Ansicht vieler Beobachter durch Fundamentaldaten nur noch unzureichend zu erklären. Die Rolle der Spekulationen mit Agrarrohstoffen rückt zunehmend ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.


Das Jahr 2011 begann mit furiosen Preisschwankungen und Preisspitzen auf internationalen Agrarmärkten. Zwischen Dezember 2010 und Januar 2011 explodierten die Nahrungsmittelpreise förmlich und erreichten wieder das Niveau der Krisenjahre 2007/2008. Vor allem die Weltmarktpreise für Weizen (75%), pflanzliche Öle und Fette (56%) sowie Zucker (73%) stiegen in den vergangenen acht Monaten drastisch [1]. Der FAO (Food and Agricultural Organization - Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation) Index für Nahrungsmittel stieg im Februar 2011 den achten Monat in Folge und erreichte mit 236 Indexpunkten ein neues Allzeithoch.

Die Auswirkungen der Preisausschläge sind unterschiedlich spürbar. In den wohlhabenden Industrienationen fallen solche Preisschwankungen kaum ins Gewicht, weil hier nur ein geringerer Teil des verfügbaren Einkommens für Lebensmittel ausgegeben wird. Doch für Länder, die zu großen Teilen von Nahrungsmittelimporten abhängig sind und die nur geringen finanziellen Spielraum besitzen, haben diese Steigerungen folgenreiche Auswirkungen. In vielen dieser Länder führten die hohen Weltmarktpreise für Weizen auch zu einer signifikanten Erhöhung der lokalen Weizenpreise. Höhere Mais-, Zucker- und Ölpreise trugen zu höhere Kosten für zahlreiche Lebensmittel bei, auch wenn in Subsahara-Afrika durch gute Ernten die lokalen Maispreise zu großen Teilen stabil blieben. Für die bereits verletzlichsten Bevölkerungsteile, die oft 60-80 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, sind jedoch selbst kleine Preisschwankungen katastrophal. Die fehlende Möglichkeit, die Ernährung zu diversifizieren und teurer werdende Produkte durch andere zu ersetzen, verschlimmert das Problem. Seit Juni 2010 wurden der Weltbank zufolge weltweit zusätzlich 44 Millionen Menschen durch die gestiegenen Preise für Nahrungsmittel in extreme Armut und Hunger getrieben.[2]


Die vielfältigen Gründe für Preisvolatilität

Erklärungsansätze und Gründe für steigende und volatile Preise an den Agrarmärkten gibt es viele. So haben an den physischen Märkten wie auch den Warenterminmärkten in den vergangenen Jahren weitreichende Veränderungen stattgefunden. Auch viele politische Rahmenbedingungen haben sich geändert.

An den physischen Märkten verschob sich in den letzten Jahren das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Durch steigende Einkommen und sich dadurch verändernde Konsumgewohnheiten, steigende Bevölkerungszahlen, höhere Energiepreise und die subventionierte Produktion von Biokraftstoffen ist die Nachfrage nach Agrarprodukten gestiegen. Gleichzeitig ist das Angebot durch Ernteausfälle aufgrund zunehmender Wetterextreme angespannter, wie zum Beispiel die verheerenden Waldbrände im Sommer 2010 in Russland und die anhaltende Dürre in China. Produktivität und Produktionswachstum leiden durch eine Verknappung von Land und Wasser, sowie Unterinvestitionen in die ländliche Infrastruktur und Agrarwissenschaften.

Da Märkte zunehmend in die Weltwirtschaft integriert sind, können sich Schocks in der internationalen Arena schneller auf heimische Märkte übertragen. Auch makroökonomische Faktoren, wie zum Beispiel die aktuelle expansive Geldpolitik vieler Regierungen führen zu einer hohen Liquidität an den Märkten und treiben die Inflation und Preisspirale an.

Doch all diese veränderten Fundamentaldaten allein erklären das Ausmaß der Preisschwankungen und Steigerungen nur unzureichend. So kommt eine gemeinsamen Studie von Wissenschaftlern der Weltbank und der EU Kommission zu dem Schluss, dass während der Nahrungsmittelpreiskrise 2008 Aktivitäten von Index-Fonds eine Schlüsselrolle gespielt haben während Nachfragesteigerungen durch Biokraftstoffe überschätzt wurden. [3]


Finanzialisierung der Agrarmärkte

Denn auch an den Warenterminmärkten waren in den letzten Jahren folgenreiche Veränderungen zu beobachten - eine wachsende Verflechtung mit den Finanzmärkten, die Zunahme des Handels mit neuen Finanzinstrumenten, wie Derivaten und weitreichende Deregulierungen.

Die UNCTAD bestätigte in ihrem Trade and Development Report 2009, dass "die Finanzialisierung des Rohstoffhandels zu erhöhten Preisschwankungen geführt hat, die nicht direkt mit den Marktgrundlagen von Angebot und Nachfrage zusammen hängen."[4] Mit anderen Worten, wird der Markt vermehrt von Akteuren dominiert die nicht an dem eigentlichen Handel der Rohstoffe und dem Absichern ihrer eigenen Preisrisiken (Hedging) interessiert sind, sondern lediglich nach erhöhten Renditen für Finanzinvestitionen suchen, wie zum Beispiel Rohstoff-Indexfonds.


Die Rolle der Index-Fonds

Mit der Einführung von sogenannten Rohstoff-Indexfonds ist die Anzahl von Derivaten und Terminverträgen zwischen 2002 und 2008 um mehr als fünfhundert Prozent gestiegen. Indexfonds wetten meist "langfristig" auf steigende Preise, und sie halten ihre Investments über einen längeren Zeitraum als ein typischer kommerzieller Händler dies aus Preissicherungsgründen tut. In der Tendenz werden damit die Preise nach oben getrieben, was wiederum mehr Spekulationskapital anzieht und die Volatilität verstärkt. [5] Die an sich wichtige Marktfunktion dieser Finanzierungsinstrumente, die sowohl Käufern als auch Verkäufern ermöglicht, sich vor Preisschwankungen in der Zukunft zu versichern, wird dadurch unterminiert.

Darüber hinaus werden bis zu 80-90 Prozent der Transaktionen über sogenannte over the counter derivatives (OTC-Derivate) abgewickelt. Das sind Derivate die nicht an einer Börse, sondern direkt zwischen den Händlern "über den Schalter" gehandelt werden. Ein Großteil des Handels wird somit nicht erfasst und bleibt unreguliert und intransparent.

In der Wissenschaft herrscht große Uneinigkeit über den Anteil von Spekulation an den Preissteigerungen. Und letztlich ist es aufgrund der hohen Komplexität der ökonomischen Zusammenhänge nahezu unmöglich sich auf eine eindeutige Prozentzahl festzulegen.

Nichtsdestotrotz sprechen die vielen Fakten für einen signifikanten Anteil von Spekulation an den Preissteigerungen und es ist an der Zeit aufzuhören, darüber zu streiten, ob und welchen Einfluss Spekulation an Preissteigerungen haben, und damit zu beginnen, ein effektives Regelwerk zu entwickeln, das funktionierende Warenterminmärkte sicherstellt, weitere Verletzungen des Rechts auf Nahrung unterbindet und verhindert, dass noch mehr Menschen in extreme Armut und Hunger getrieben werden.


Regulierungsansätze der G20

Frankreich hat die Regulierung der Warenterminmärkte für (Agrar-)Rohstoffe zu einer der Prioritäten ihrer laufenden G20 Präsidentschaft gemacht. Das ist ein erstes Signal in die richtige Richtung. Doch noch ist nicht klar, inwieweit die anderen G20 Staaten bereit sind, aus den Folgen der Finanz- und der Welternährungskrise die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Im Juni 2011 werden zum ersten Mal die Agrarminister der G20 zu einem Treffen zusammenkommen, um diese Fragen zu erörtern.

Bereits beim letzten Gipfel haben die G20 mehrere internationale Organisationen (darunter FAO, OECD, IFAD, UNCTAD, WFP und WTO) dazu aufgefordert eine gemeinsame Studie mit Politikempfehlungen zu erarbeiten, wie man das Problem der Preisvolatilität besser in den Griff bekommen kann, ohne Märkte zu verzerren, und um die Ärmsten und Verletzlichsten zu schützen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Empfehlungen weitreichende Reformen für Warenterminbörsen beinhalten, die exzessive Spekulation unterbinden, enthalten und nicht nur einmal mehr einen "verwässerten" Kompromiss darstellen. Denn um eine erneute Hungerkrise abzubremsen, muss vor allem die Teilnahme von Investmentbanken, Hedgefonds und Pensionsfonds an Termingeschäften mit Agrarrohstoffen eingeschränkt werden. Dazu brauchen wir innerhalb und außerhalb der Börsen deutlich mehr Transparenz sowie Obergrenzen für Preise und für die Anzahl von Termingeschäften pro Investor. Nie war der Handlungsbedarf größer als heute.


Die Autorin ist Referentin für internationalen Agrarhandel bei der Heinrich-Böll-Stiftung und Ko-Koordinatorin der AG Landwirtschafft im Forum Umwelt und Entwicklung.

Anmerkungen:

[1] World Bank: Food Price Watch Feb 2011:
http://siteresources.worldbank.org/INTPOVERTY/Resources/335642-1210859591030/Food_Price_Watch_Feb2011.pdf.

[2] World Bank: Food Price Watch Feb 2011:
http://siteresources.worldbank.org/INTPOVERTY/Resources/335642-1210859591030/Food_Price_Watch_Feb2011.pdf.

[3] Baffes, J. (World Bank) and Haniotis, T. (European Commission) (2010): Placing the 2006/08 Commodities Boom into Perspective. World Bank Research Working Paper 5371

[4] Trade and Development Report 2009 - Chapter II The Financialization of Commodity Markets. United Nations Conference on Trade and Development.

[5] Wise, Timothy: Die Finanzialisierung der Agrarmärkte, in Informationsbrief Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung, Feb 2011.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011, S. 5-6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2011