Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → ERNÄHRUNG


MARKT/2091: Freie Wahl Fehlanzeige (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Freie Wahl Fehlanzeige
Über achtzig Prozent der Waren werden von vier großen Lebensmittelhändlern vertrieben

Von Marcus Nürnberger


Handeln am Markt klingt erstrebenswerter als atemlos mitlaufen. Den Bauern und Bäuerinnen wird dies durch Konzentrationsprozesse und Konkurrenzkämpfe um Preisführerschaft im Handel und bei Verarbeitern zunehmend schwer gemacht. Die Politik ist gefordert, das offensichtliche Übergewicht einzelner Großer am Markt zu steuern und zu begrenzen. Aus einer Begrenzung der Marktmacht am Ende der Wertschöpfungskette folgt jedoch nicht automatisch, dass davon die Bauern und Bäuerinnen am Anfang der Kette profitieren. Sie müssen durch Zusammenschlüsse oder durch Alleinstellungsmerkmale selbst Marktmacht aufbauen. Das r zunehmende Bewusstsein und die Unterstützung der Gesellschaft für Regionalität und Werte, die über ökonomischen Erfolg hinausgehen, stimmen positiv, dass Politik und Menschen mit Einkaufskorb sich dazu bewegen lassen, bäuerliches Handeln am Markt zu stärken.

Das Bundeskartellamt hat sich in einer Sektoruntersuchung der Strukturen des Lebensmitteleinzelhandels angenommen. Ein zentrales Ergebnis ist, dass wenige Lebensmitteleinzelhändler den Markt dominieren und gegenüber den Herstellern ein großes Machtgefälle besteht. Die Untersuchung zeigt aber auch, wo die Verbraucher ihre Lebensmittel beziehen, von wem und auf wessen Angebot sie angewiesen sind.

Hier wird eingekauft

85 Prozent des bundesweiten Absatzes im Lebensmitteleinzelhandel, so das Ergebnis des Bundeskartellamts, laufen über die Kassen von vier national tätigen Unternehmen. Jeder kennt die vier großen Player auf dem Feld des Lebensmitteleinzelhandels. Neben EDEKA und REWE ist es die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland sowie Aldi. Die starke Konzentration auf nur vier Unternehmen ist auch für die Händler eine Herausforderung, denn auch 85 Prozent der Waren im Lebensmittelbereich werden von den genannten vier Unternehmen bezogen. Allerdings ist die Gruppe dieser vier Spitzenreiter nicht homogen und lasse zum Teil die unterschiedlichen Strategien für Einkauf und Absatz erkennen. EDEKA hat mit Abstand die größte Verkaufsfläche, die, wie auch die Standortdichte, doppelt so hoch ist wie die der nächsten Wettbewerber. Beim Umsatz ist EDEKA dementsprechend der führende Anbieter. Das gilt auch für die Beschaffung von Herstellermarken. Die Strategie, weg von den Herstellermarken, die viele Verbraucher aus Aldi-Regalen kennen, spiegelt sich auch in der Stellung des Unternehmens wider. Aldi ist in Bezug auf Handels- bzw. Eigenmarken der führende Anbieter. Bis heute wird unter Verbrauchern diskutiert, ob z.B. der Sekt bei Aldi eigentlich Champagner ist, der als Eigenmarke weit unter Wert vertrieben wird. Derartige Erzählungen werden gestärkt durch die Tatsache, dass die Eigenmarken, beispielsweise im Milchbereich, zum Teil von Molkereien mit bekannten Herstellermarken produziert werden. So wird der Milchreis Desira von Aldi Süd bei Müller Milch produziert. Der Söntner Sahnejoghurt von Aldi Nord kommt von Zott. Bauer produziert für REWE Handelsmarken und Friesland Campina, bekannt auch mit der Marke Landliebe, Sprühsahne für Lidl und REWE. Diese Auflistung ließe sich fortsetzen. Dass die Markenhersteller für die Handelsmarken indes dieselbe Rezeptur verwenden wie für ihre Markenprodukte, darf getrost bezweifelt werden.

Starke und schwache Marken

Die große Nachfragemacht der dominierenden vier Unternehmen macht es den Herstellern, in diesem Fall den Molkereien, nicht leicht, sich am Markt zu behaupten bzw. auf andere Absatzmärkte auszuweichen. Molkereien, die entweder nur Handelsmarken oder nur Herstellermarken produzieren, sehen, so die Antworten gegenüber dem Bundeskartellamt, keine Veranlassung den jeweils anderen Bereich in ihr Angebot aufzunehmen. Unternehmen, die sowohl Handelsmarken als auch Herstellermarken produzieren, können hier offenbar flexibler reagieren und die Anteile zwischen beiden Absatzmärkten verschieben. Ein in der Sektoruntersuchung nicht betrachteter Aspekt ist das finanzielle Engagement einzelner Lebensmitteleinzelhändler bei Molkereien. So gibt es Finanzierungsmodelle, bei denen der LEH neue Maschinen vorfinanziert. In solchen Fällen wird die Molkerei auf längere Sicht gebunden und verliert die Möglichkeit, über alternative Absatzmärkte höhere Gewinne zu erzielen. Insgesamt, so legt der Kartellamtsbericht dar, ist es für alle Hersteller schwierig, alternative Absatzwege zu erschließen. Es gibt schlicht keine adäquaten Abnehmer.

Vor allem national

Anders als vielleicht zu erwarten, bezieht der LEH seine Waren vor allem von deutschen Herstellern. Dies betrifft bei einzelnen Unternehmen, die auch in anderen Ländern aktiv sind, sogar deren dortiges Sortiment, das ebenfalls mit deutschen Eigenmarken bestückt wird. Wie bei allen Händlern besteht das primäre Interesse, auch das des LEHS, in einer möglichst weiten Marge zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis. In Form von Einkaufskooperationen versuchen die Unternehmen ihre schon bestehende Marktmacht gegenüber den Herstellern, aber auch gegenüber den Konkurrenten weiter zu steigern. Dass trotz der hohen Konzentration die Preise für die Verbraucher nicht steigen, liegt an dem Bestreben der Unternehmen, durch Preisführerschaft, in diesem Fall durch einen möglichst geringen Preis, Kundenanteile zu gewinnen. Dieser massive Preiskampf zwischen den Anbietern wird an die Hersteller weitergereicht. Ob der zunehmende Bedeutungsgewinn von Handelsmarken, die den Hersteller austauschbar machen, eine direkte Auswirkung dieses Ringens um Preisführerschaft ist, wird im Bericht nicht beantwortet.

Die Politik erwacht

Angesichts der Untersuchung durch das Kartellamt sieht sich jetzt auch die Politik in Zugzwang. Sowohl SPD als auch CDU/CSU beklagen den hohen Konzentrationsprozess von über 85 Prozent, der allein von vier Lebensmitteleinzelhändlern abgedeckt wird. Während die SPD eine Ombudsstelle fordert, damit benachteiligte bzw. unfair behandelte Lieferanten und Hersteller, ohne ihre Absatzmärkte zu riskieren, anonym über diese Vorgänge berichten können, sieht die CDU/CSU vorerst nur den Bedarf, zu prüfen ob es einer Marktregulierung bedarf.

Aus Sicht der Bauern, die mindestens eine Stufe unter den Herstellern stehen und im Vergleich zu diesen keinerlei Konzentration aufweisen, ist der Bericht eine bittere Erkenntnis. Vordergründig schien die Argumentation des Deutschen Bauernverbands, nur ausreichend große Molkereien könnten mit dem stark konzentrierten LEH auf Augenhöhe verhandeln, plausibel. Die Sektoruntersuchung zeigt jedoch, dass dieses Ziel nicht zu erreichen ist. Darüber hinaus sind die Interessen der Molkereien nicht die der Milchbauern, die in jedem Fall an Einfluss verloren haben.

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang