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MARKT/2204: Milchbauern - Nicht als Verlierer fühlen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Nicht als Verlierer fühlen
Im Nordwesten Deutschlands protestieren Milchbauern und -bäuerinnen nach wie vor für ihre Interessen - allerdings auch nur dort

von Claudia Schievelbein


In Ostfriesland waren die Bauern frei, als anderswo in Deutschland Lehnswesen und Leibeigenschaft herrschten, sie wählten demokratisch ihre Häuptlinge. Vielleicht rührt daher jener besondere Widerstandsgeist, der ihnen nach wie vor nachgesagt wird, und den die Milchbauern und -bäuerinnen in diesen unruhigen Zeiten wie in keiner anderen Region in Deutschland hochhalten. Auf die Frage, warum die kämpferische Stimmung, die vor sieben Jahren den Milchstreik in ganz Deutschland möglich gemacht hat, vielerorts Resignation und Stillhalten gewichen ist, können auch die Ostfriesen nur spekulieren.

"Ich hab' das Gefühl, fast die Hälfte der Betriebe von damals hat sich verabschiedet", sagt Milchbauer Steffen Hinrichs aus Hesel und meint nicht: verabschiedet aus dem aktiven Widerstand, sondern aus der Milcherzeugung. Es gebe so viele frustrierte Kollegen, die dann irgendwann doch aufgegeben hätten, sinniert er über die Situation, auch in Ostfriesland. Auch er selbst habe sich den Gegebenheiten angepasst und bilde momentan keinen Lehrling mehr im Betrieb aus, um Kosten zu sparen. "Denn wir wollen einfach nicht wachsen", sagt er fast ein bisschen trotzig. Mit seinen 100 Kühen und 100 ha dachten er und seine Frau eigentlich einen Betrieb zu haben, den eine ihrer drei Töchter später mal weiterführt. Sie haben Spaß daran und helfen gerne mit. Dass nun kein Lehrling mehr da ist, sorgt zum einen für einen Verlust an Lebensqualität, aber es ist auch der Verlust eines Arbeitsplätzes im ländlichen Raum - sicher nicht der einzige. "Es leiden ja alle, auch die Landhändler, die kaum noch Aufträge kriegen oder die Tierärzte", so Hinrichs. Offene Unterstützung gebe es aber wenig, ein Landhändler habe ihm gesagt, er gebe lieber ein bisschen Geld, damit die Bauern und Bäuerinnen weiter demonstrieren könnten, als selbst mit dabei zu sein. Zu groß ist die Sorge offenbar, in einen negativen Sog zu geraten.

Auch ist der Druck von anderer Seite groß. Schon letztes Jahr blockierten die ostfriesischen Bauern und Bäuerinnen Molkereien und Großlager des Lebensmitteleinzelhandels, um die verschiedenen Verantwortlichen für die Krise zu adressieren. Bereits damals gab es Anrufe der genossenschaftlichen Molkereien bei vermeintlichen Rädelsführern vor ihren Werkstoren, man solle doch darauf verzichten, das eigene Unternehmen zu schädigen, sonst müsse man mit Konsequenzen rechnen. Auch Hinrichs kennt so etwas. Ganz aktuell sollte auch er schon dafür sorgen, dass eine Aktion vor einem großen regionalen Lebensmitteleinzelhändler hätte abgeblasen werden sollen, weil Molkereivertreter es missbilligten, dass Marktpartner angegriffen wurden. Hinrichs sagt, er habe sich dann zurückgehalten, zum Glück gebe es immer noch andere, die Aktion fand trotzdem statt. Noch gibt es in Ostfriesland genug Milchbauern und -bäuerinnen die sich wehren wollen.


Preisfrage

Obwohl es bei der Aktion vor dem Händler erste Stimmen gegeben habe, so Peter Habbena, "die gesagt haben, dass wir verloren hätten. Aber wir sind weit davon entfernt, uns als Verlierer zu fühlen", sagt der kämpferische Bauer aus Krummhörn. Er wird auch weiter protestieren. Trotzdem nun Druck gemacht werde von den so genannten Marktpartnern und obwohl schon länger so viele Kollegen regelrecht gebrochen seien. Die Söhne lernten Landmaschinenmechaniker, weil die Perspektive nicht mehr die Hofübernahme sei, so Habbena. Dabei wäre es aus seiner Sicht gar nicht so schwer: "Wenn jeder Bauer etwas weniger melken würde und das endlich finanziell honoriert würde ..."

Gleichzeitig kritisiert er die Art der Umsetzung mengenregulierender Maßnahmen durch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) als "Ausstiegshilfe". Betriebe, die die Aufgabe sowie so schon planten, könnten so noch mal 14 Cent mitnehmen, was irgendwie auch in Ordnung, aber doch auch an dem Ziel vorbei sei, Höfe zu erhalten. Habbenas Befürchtung ist auch, dass sich hinterher die Verfechter des freien Marktes hinstellen werden und sagen: "Ihr wolltet doch regulierende Maßnahmen. Nun seht ihr, dass es nicht funktioniert." Und dann sind natürlich auch die Bauern und Bäuerinnen selber, die jetzt, wo die Preise sich nun doch leicht erholen, sofort wieder darauf anspringen und Menge steigern, für Habbena ein Ärgernis. "Der Feind des guten Preises ist der gute Preis", sinniert er. Es wäre eben doch Solidarität gefragt, zusätzlich zum Kampfgeist. Beides gibt es nicht mehr viel unter den Milchhauern und -bäuerinnen, und wenn, dann am ehesten in Ostfriesland.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,- Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2016

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