Unabhängige Bauernstimme, Nr. 426 - November 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern
Ökologisierung des Mainstreams oder Konventionalisierung der Ökos?
von Claudia Schievelbein
Veränderung ist wohl auch im Zusammenhang mit der nun vertraglich beschlossenen und veröffentlichten Zusammenarbeit vom Bio-Anbauverband Bioland und einem der beiden großen Discounter im Lebensmitteleinzelhandel - Lidl - das meist benutzte Wort. In einer sich verändernden Welt geraten Dinge in Bewegung. Und Dinge kommen zusammen, die noch vor 15, 20 Jahren kaum jemand für zusammen gangbar gehalten hätte. Speziell unter den Discountern herrscht ein erheblicher Konkurrenzdruck - auch durch den wachsenden Onlinehandel - um eine Verbraucherschaft, die zwar immer weniger selber kocht, aber immer genauer wissen will, wo die Lebensmittel im Supermarktregal herkommen und wie sie erzeugt werden. Bislang bedienten gerade die Discounter ausschließlich das Bedürfnis der Kunden nach niedrigen Preisen. Nicht, dass dieser Aspekt nun unwichtig geworden wäre, aber ein zunehmender Teil der Gesellschaft - oft werden diese Entwicklungen mit den sogenannten Millennials verbunden, der jetzt erwachsenen Generation der von 1980 bis 2000 geborenen - räumt anderen Aspekten einen ebenso großen oder größeren Stellenwert ein. Gleichzeitig gibt es in der Landwirtschaft aus im Wesentlichen zwei Motivationen heraus - schlechte konventionelle Erzeugerpreise und wachsende gesellschaftliche Kritik an der Art der konventionellen Erzeugung - ein großes Interesse an neuen landwirtschaftlichen Wegen.
Anspruch umzugestalten
Einer davon, den seit einigen Jahren zunehmend Betriebe beschreiten,
ist die Umstellung auf ökologischen Landbau. Parallel - so formuliert
es auch Jan Niessen von der TH Nürnberg, der zuvor als Bioländer über
weite Strecken bei den Verhandlungen mit Lidl dabei war - lässt sich
in den vergangenen Jahren ein Politikversagen beobachten dahingehend,
dass gesellschaftlich gewünschte Veränderungen in der Landwirtschaft
bzw. der Nutzung oder dem Schutz der natürlichen Ressourcen nicht über
einen verbindlichen Rechtsrahmen eingeleitet würden. Der Handel sage
dann einfach: "Wir machen es selber", so Niessen. Lidl ist auf Bioland
zugekommen, zwei Jahre wurde verhandelt, schließlich ein Vertrag
geschlossen, der Fair-play-Regeln und eine Ombudsstelle zur
Schlichtung von eventuellen Streitfällen beinhaltet. Bioland-Präsident
Jan Flagge betont in zahlreichen Interviews die große Ernsthaftigkeit,
mit der die Lidl-Vertreter den Bioländern begegnet seien. Im Verband
wurde ebenfalls gesprochen, auch gerungen, schließlich von der
Bundesdelegiertenversammlung festgelegt, dass unter Einhaltung
bestimmter Werte und Prinzipien mit allen Vertretern des Handels
gesprochen werden soll, nicht nur wie bislang mit dem
Naturkost-Fachhandel. "Natürlich wird da jetzt Neuland betreten, aber
es gibt keine andere Option, wenn wir den Anspruch haben, die
Landwirtschaft umzugestalten", sagt Niessen, "der entscheidende Dreh
ist, aufzupassen, dass man nicht so endet wie der Bauernverband und
nur noch den Industrieinteressen hinterherläuft." Wenn jetzt auf den
Naturkosthandel gepocht werde, werde verkannt, dass der Fachhandel
eben immer nur einen geringen Teil des Marktes bedienen könne.
Viel Gesprächskultur
Bioland sei ein Verein von Bauern und Bäuerinnen, die sich Hilfe zur
Selbsthilfe auf die Fahnen geschrieben hätten. Das sei wichtig, um den
vermeintlich übermächtigen Handelspartnern organisiert
gegenüberzutreten, so Niessen. "Es gibt das positive Beispiel aus
Südtirol, da arbeiten die Erzeuger schon seit Jahren in
Genossenschaften mit dem Handel zusammen - und reden auf Augenhöhe."
Er sieht als wichtigsten Fortschritt in dem Vertrag zwischen Lidl und
Bioland die Tatsache, dass heimische Erzeuger nicht mehr so leicht
austauschbar sind wie bislang. Denn: Schon seit Jahren liefern
Bioland-Bauern und andere Verbandsbetriebe in den großen Absatzkanal
Discounter, ohne dass die Ware als solche ausgelobt würde. Das ist
auch der Hauptgrund, warum Monika Tietke, Geschäftsführerin des
Biokartoffelerzeugervereins BKE, den Deal sehr positiv sieht. Gerade
bei Kartoffeln brauchte es in den vergangenen Jahren viel
Gesprächskultur, um unter dem Druck günstigerer Auslandsware dem
Handel einen anderen Umgang nahezubringen. Tietkes Erfahrung ist, dass
überall Menschen sitzen können, die gut oder schlecht agieren, im
Naturkosthandel wie im konventionellen LEH, bei den Abpackbetrieben
wie auch unter den Bauern. Viel laufe eben über persönliche
Beziehungen, das Entwickeln von Verständnis für den Partner und seine
Position. Vor sechs Jahren verschenkten BKE-Mitgliedsbetriebe vor
Lidl- und Aldi-Filialen ihre Kartoffeln im Frühjahr, weil die
Discounter dem vermeintlichen Kundenwunsch nach neuen Kartoffeln
entsprechend Ware aus Ägypten und Israel importierten, obwohl die
Lager hier noch voll waren. Das sei heute kein Thema mehr, nicht nur
weil Regionalität überall auf der Agenda stehe, sondern weil es
gebündelte Erzeuger in diesem intensiven Austausch mit dem LEH und
seinem Wunsch nach Veränderung gebe, ist sich Tietke sicher.
Hauptsache, der Handel überreiße es nun nicht über die Preise, gibt
sie auch zu bedenken. Die alten Maximen - der Verkaufspreis darf nicht
höher sein als bei der Konkurrenz, mach eine Ausschreibung, nimm das
billigste Angebot und schlage deine mehr oder weniger immer gleiche
prozentuale Marge drauf - sind ja nicht plötzlich ganz weg. Zumindest
im Interview mit der Lebensmittelzeitung betont Jan Bock,
Geschäftsleiter Einkauf bei Lidl, Bioland-Artikel nicht verramschen zu
wollen. Zwar werde der Liter Bioland-Milch so viel kosten wie die
Biomilch bei Aldi, die Preise für die Bauern sollten aber fair sein,
so dass Lidl im Zweifel bei der Marge Abstriche mache. Man wolle die
Wertigkeit kommunizieren, etwas neues für Lidl.
Welches Wertesystem
Für Michael Grolm, Bioland-Imker aus Thüringen, macht es einen
Unterschied, ob man die Vereinskriterien aufweiche, um industriellen
Strukturen entgegenzukommen oder ob man festhaltend an den eigenen
Verbandswerten in industrielle Strukturen liefere. Am liebsten wäre
ihm zwar eine Welt ohne Lidls und Aldis, aber die seien nun mal die
Realität, in die eine wachsende Erzeugung von Bioprodukten auch
abfließen können müsse. "Ich wünsche mir eine bäuerlich-ökologische
Landwirtschaft auf 100 Prozent der Fläche", so Grolm. Da müsse man
dann auch in solche Strukturen liefern, wenn die Konditionen so gut
seien wie jetzt ausgehandelt. Er sieht - wie es auch Bioland betont -
ein anderes Zielpublikum, das erreicht werde ohne dass weniger Leute
im Naturkosthandel kaufen würden. Aus den Discountern wird kein
Fachhandel entstehen, wie es Elke Röder vom
Naturkosthandel-Dachverband BNN in einem Kommentar auch nur rhetorisch
fragt. Sie thematisiert die Gefahren, die darin liegen, sich mit einem
Unternehmen einzulassen, das wahrscheinlich nur bis zu einem,
bestimmten Umfang bereit ist, bei den eigenen Margen Abstriche zu
machen, um den bäuerlichen Lieferanten faire Preise zu zahlen. Auch
betont sie die Wichtigkeit des Wertesystems, welches zu hinterfragen
ist, bei einem Handelskonzern, der zum überwiegenden Teil
umweltbelastend erzeugte und unfair gehandelte Ware verkauft. Es ist
richtig, dass bestimmte Utopien nur mit kleineren Strukturen möglich
bleiben. Wichtig ist sicherzustellen, dass diese Strukturen auch
erhalten bleiben. Und gleichzeitig muss man zumindest die Hoffnung
haben können, dass sich - aus Marketinggründen oder echtem Umdenken -
auch in den großen Strukturen Veränderungen im Sinne von Bauern und
Bäuerinnen durchsetzen lassen.
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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 426 - November 2018, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2018
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