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ASYL/627: Eine restriktive Asylpolitik ist keine Lösung (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 6/Dezember 2009

"Eine restriktive Asylpolitik ist keine Lösung"
Friedrich-August-von-Hayek-Preis für Dissertation über Flüchtlingswanderungen

Von Anita Rüffer


Auch wenn er über keinerlei eigene Migrationserfahrungen verfügt: Der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Mathias Czaika hat sich in seiner Dissertation mit dem Phänomen der Flüchtlingswanderungen aus einer politisch-ökonomischen Perspektive befasst - eine für Ökonomen eher ungewöhnliche Thematik. Dafür wurde er mit dem Friedrich-August-von-Hayek-Preis ausgezeichnet.


Czaika - ein Name, der irgendwie nach Balalaika klingt und tatsächlich auch im Russischen und Polnischen vorkommt. "Er bedeutet so viel wie Möwe." Das hat Dr. Mathias Czaika herausgefunden, auch wenn er selbst weder Russisch noch Polnisch spricht. "Eher schon schwäbisch", räumt der aus Albstadt-Ebingen von der Schwäbischen Alb stammende frisch gebackene Doktor der Wirtschaftswissenschaften ein. Für seine Dissertation wurde ihm bei der Eröffnung des Akademischen Jahres der von der Deutschen Bank mit 2.500 Euro dotierte Friedrich-August-von-Hayek-Preis verliehen. "The Political Economy of Refugee Migration und Foreign Aid" heißt seine mehr als 200 Seiten umfassende Doktorarbeit, die sich mit dem Phänomen der Flüchtlingsmigration und ihren Auswirkungen auf die Vergabe von Entwicklungshilfe sowie den Möglichkeiten einer multilateralen Zusammenarbeit in der Asylpolitik befasst.

Abgesehen davon, dass seine Großeltern aus Schlesien stammen und die Eltern auf der Schwäbischen Alb Zugezogene sind, kann er auf keinerlei eigene Migrationserfahrungen zurückgreifen. Dennoch habe er sich schon seit frühester Jugend, möglicherweise beeinflusst durch das soziale Engagement der Mutter und die im Elternhaus gepflegten christlichen Werte, für das Thema Armut und ihre Auswirkungen interessiert. Das Studium der Volkswirtschaftslehre in Konstanz jedenfalls hatte er nicht begonnen, um - einem gängigen Klischee entsprechend - möglichst schnell als Manager an viel Geld zu kommen. Als sein besonderes Interesse kristallisierte sich die Entwicklungszusammenarbeit zwischen reichen und armen Ländern heraus, was ihn unter anderem auch für eineinhalb Jahre zur Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Frankfurt am Main führte. Im Jahr 2003 begann er mit seiner Promotion in Freiburg bei Prof. Günther Schulze, für den er schon an der Uni Konstanz als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet hatte.


Grösste Flüchtlingsströme innerhalb eines Landes

Der sozial-karitative Blick allein freilich tauge nicht für eine wissenschaftliche Arbeit über die Wanderungsbewegungen von Flüchtlingen und das strategische Instrumentarium, mit dem sie staatenübergreifend beeinflusst werden, sagt Czaika. Wenn sich vor dem inneren Auge die Bilder überfüllter Boote mit afrikanischen Flüchtlingen vor der italienischen Insel Lampedusa oder dem spanischen Tarifa einstellen, fallen dem 33-Jährigen ganz andere Szenarien ein: "Es sind die wenigsten, die auf einen anderen Kontinent fliehen, und sie sind noch nicht einmal die Ärmsten." Die größten Flüchtlingsströme entstehen oft innerhalb eines Landes, etwa bei dem im Jahr 2005 mit einem Friedensabkommen beendeten indonesischen Aceh-Konflikt. Eine Separatistenbewegung hatte dort um mehr Autonomie gekämpft. Die Bevölkerung hatte sich in andere Landesteile in Sicherheit gebracht oder war in unmittelbar angrenzende Nachbarländer geflohen. Sie allein als politische Flüchtlinge einzuordnen, würde zu kurz greifen, wie Czaika herausgefunden hat. Die pauschale Kategorisierung von Flüchtlingen, die vor politischer oder religiöser Verfolgung oder einer kaputten Umwelt fliehen, ist für ihn zu einfach. "Bei der Entscheidung zu fliehen, spielen fast immer auch ökonomische Aspekte eine Rolle." Viele Flüchtlinge sind oft über Jahre auf Wanderschaft, vom Land in die nächstgelegene Stadt, von dort in die Metropole, weiter über die Grenze bis in ein westliches Land - immer auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Sie allein in die Schublade "Wirtschaftsflüchtlinge" zu stecken, würde ihnen aber auch nicht gerecht.


Für eine "proaktive Migrationssteuerung"

Derlei Wanderungsbewegungen ganz zu vermeiden, hält der Wissenschaftler für illusorisch. "Für die Menschen sind das überlebenswichtige Anpassungsstrategien." Sie führen allerdings zu äußerst ungleichen Belastungen in den unterschiedlichen Weltgegenden. Der afrikanische Kontinent etwa ist von Flüchtlingsbewegungen überproportional stark betroffen. Aber auch in Europa sind die Lasten ungleich verteilt. Mathias Czaika hat sich Gedanken gemacht, wie die politischen Akteure am besten damit umgehen sollten. Sich gegenseitig in restriktiver Asylpolitik zu überbieten, wie dies vor allem in den 90er-Jahren zu beobachten war, hält er jedenfalls für keine gute Idee. Die Folge sei eine Zunahme der illegalen Migration gewesen, die letztlich die Asylsysteme aushöhle. Stattdessen plädiert er für eine "proaktive Migrationssteuerung": über Hilfen bei der Reintegration im Ursprungsland, über eine Unterstützung in dem Land, in dem zuerst Asyl gesucht wurde sowie über eine eigene liberalere Asylpolitik. "Wir müssen uns das was kosten lassen, beispielsweise über mehr finanzielle und technische Hilfen für die Aufnahme- und Ursprungsländer." Staaten mit ähnlicher sozio-ökonomischer Ausgangslage haben es leichter, in der Asylpolitik zu kooperieren als heterogene Staaten. Das Europa der 15, so Czaika, war noch einigermaßen homogen. Mit 27 Staaten sei es heterogener und eine Kooperation in der Asylpolitik damit schwieriger geworden. Für eine gerechte Lastenverteilung bedürfe es eines ausgetüftelten Ausgleichsinstrumentariums wie dem schon existierenden europäischen Flüchtlingsfonds, den Czaika allerdings in seiner jetzigen Form für noch nicht ausreichend hält. Aber "man sollte solche Ideen weiter verfolgen".


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Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 6/Dezember 2009, Seite 8-9
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (verantwortlich)
Kommunikation und Presse
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2010