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ASYL/671: Wer sind die Geduldeten? (Der Schlepper/Pro Asyl)


Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL

Wer sind die Geduldeten?


Viele Geduldete kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, dem Irak oder aus Syrien und sind zum Teil durch Kriegserlebnisse schwer traumatisiert. Sie wurden im Asylverfahren abgelehnt oder ihr Asylstatus wurde widerrufen. Eine Rückkehr in unsichere Verhältnisse oder in die vom Krieg zerstörten Länder ist dennoch auch in absehbarer Zeit für viele Geduldete nicht möglich.


Ehemaliges Jugoslawien

Hinter dem Sammelbegriff "Ehemaliges Jugoslawien" verbergen sich die Opfer von Krieg und Verfolgung während der Kriege auf dem Balkan in den 1990er Jahren, insbesondere Angehörige von Minderheiten wie der Roma. Hunderttausende mussten damals ihre Heimat verlassen. Faktisch heimatlos wurden viele, die sich als Bürger des ehemaligen Jugoslawiens verstanden und sich den sich neu herausbildenden Staaten und den propagierten neuen "Identitäten" nicht zuordnen konnten. Dennoch verfolgte die deutsche Politik das Ziel, dass nach Ende der militärischen Auseinandersetzungen möglichst alle wieder in "ihre Herkunftsländer" zurückkehren sollten. Es dauerte jedoch viele Jahre, bis sich die Region von den Kriegsfolgen erholen konnte. Nach oftmals jahrzehntelangem Exil ist für viele Betroffene eine Rückkehr undenkbar. Nicht nur für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder ist die Abschiebung in ein unbekanntes Land unzumutbar, auch für die anderen gibt es kaum Lebensperspektiven in den immer noch von ethnischen Spannungen gezeichneten Ländern.


Türkei

Trotz vieler Absichtserklärungen der Regierung und einer Vielzahl von gesetzlichen Reformen ist die menschenrechtliche Situation in vieler Hinsicht weiterhin schwierig. Politisch aktive Kurden und auch Gewerkschaftsmitglieder stehen weiterhin unter Druck. Pro kurdische oder politische Versammlungen bestimmter linker Gruppen werden durch extreme Auflagen behindert oder mit Verboten belegt. Obwohl die Regierung seit einiger Zeit offiziell einen Kurs der Versöhnung mit den Kurden angekündigt hat, wurde im Dezember 2009 erneut die pro kurdische Partei DTP, die 21 Abgeordnete im türkischen Parlament stellt, verboten. Trotz der von der Regierung verkündeten "Null-Toleranz-Politik" in Bezug auf Folter werden immer wieder Folterfälle bekannt. Besonders bedenklich ist, dass die Folterer (Polizei, Soldaten, Sicherheitsbeamte) fast immer straflos bleiben. Vielen Flüchtlingen wurde in der Vergangenheit ihr Schutzstatus in Deutschland mit dem Hinweis auf die verbesserte Menschenrechtslage entzogen. 6.700 Menschen aus der Türkei leben mit einer Duldung in Deutschland.


Irak

Seit dem Sturz des Saddam-Regimes haben es irakische Flüchtlinge schwer, in Deutschland Asyl zu bekommen. Erst 2007 änderte sich diese Entscheidungspraxis. Allerdings wurden nach 2003 massenhaft Widerrufsverfahren bei irakischen Flüchtlingen eingeleitet. Die Begründung: Nach dem Sturz des Saddam-Regimes seien die seinerzeit Geflohenen heute keiner Verfolgung mehr ausgesetzt. Die Realität des vom Krieg gebeutelten Landes macht jedoch eine Rückkehr für viele Betroffene immer noch unmöglich. Obwohl bisher Abschiebungen in den Irak (bis auf vereinzelte Abschiebungen in den Nordirak) gar nicht möglich sind, werden nahezu 7.000 Iraker in Deutschland nur geduldet. Dies ist vor dem Hintergrund der Aufnahme von 2.500 irakischen Flüchtlingen aus den Erstzufluchtstaaten Syrien und Jordanien paradox.


Syrien

Willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Anklage, Verschwindenlassen und systematische Folter sind seit Jahrzehnten Alltag in Syrien. Der Opposition Verdächtigte geraten schnell in das Fadenkreuz des Baath-Regimes. Staatenlose Kurden werden seit Jahrzehnten systematisch entrechtet. Ihnen werden zum Beispiel Staatsbürgerschaft und Wahlrecht verweigert. Trotzdem werden nur wenige syrische Flüchtlinge im Asylverfahren anerkannt und müssen mit einer Duldung in Deutschland leben. Seit der Unterzeichnung des Rückübernahmeabkommens 2008 sind fast 5.000 geduldete Syrer zudem akut von Abschiebung bedroht.


Herkunftsländer von Personen mit Duldung



Duldungen gesamt


davon mit einem
Aufenthalt von mehr
als 6 Jahren
Serbien (inkl. Vorgängerstaaten)
Türkei
Irak
Syrien
Kosovo
Libanon
China
Russische Föderation
Iran
13.205       
6.725       
6.704       
4.481       
4.442       
4.025       
3.190       
3.068       
2.980       
9.620           
4.707           
4.648           
3.272           
3.060           
2.688           
2.121           
1.697           
2.075           

(Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Daen, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 17/764 -)


*


Quelle:
Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52, S. 20
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL
http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2010__ab_April_/TdF2010_Homepageversion.pdf
Herausgeber: PRO ASYL - Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
Postfach 160624, 60069 Frankfurt/M.
Telefon: 069/23 06 88, Telefax: 069/23 06 50
E-Mail: proasyl@proasyl.de
Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2010