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ASYL/674: Klima- und umweltbedingte Flucht (Der Schlepper/Pro Asyl)


Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL

Klima- und umweltbedingte Flucht

Von Dr. Michael Lindenbauer


Auszug aus der Rede "Klima- und Umweltflüchtlinge - eine Frage des Flüchtlingsschutzes - ?" bei den Nürnberger Tagen zum Asyl- und Ausländerrecht 2009


Die international renommierte Organisation "Norwegian Refugee Council" hat in einer Studie darauf hingewiesen, dass bereits im Jahr 2008 aufgrund von durch Klimawandel beeinflussten Naturkatastrophen rund 20 Millionen Menschen zumindest zeitweise ihre Heimatorte verlassen mussten. Nach Aussage von UN-Untergeneralsekretär John Holmes, zuständig für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfe, hat sich die Zahl der weltweit registrierten Naturkatastrophen in den letzten zwei Jahrzehnten von rund 200 auf über 400 verdoppelt. Neun von zehn dieser Katastrophen haben einen klimatischen Hintergrund.

Anhand der Kriterien des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für die Rechte von Binnenvertriebenen, Walter Kälin, sind fünf Szenarios zu unterscheiden, durch die eine erzwungene Migration infolge direkter oder indirekter Auswirkungen des Klimawandels ausgelöst werden kann:

1. Meteorologische Katastrophen
(Überschwemmung, Stürme, Schlammlawinen),

2. (Zwangs-) Umsiedlungen
infolge von Naturkatastrophen,

3. fortschreitende Umweltzerstörung
wie z. B. Versteppung bzw. Versalzung von Küstenregionen und damit einhergehende Wasserknappheit,

4. versinkende Inseln
infolge des ansteigenden Meeresspiegels,

5. Ausbruch gewalttätiger Konflikte,
ausgelöst durch schwindende Ressourcen (landwirtschaftlich nutzbarer Boden, Trinkwasser, Nahrungsmittel).


Bestehende regionale Schutzmechanismen

Die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union (AU) haben im Oktober 2009 eine Konvention zum Schutz und zur Hilfe von Binnenvertriebenen in Afrika unterzeichnet. Dies ist das erste Abkommen auf zwischenstaatlicher Ebene, in dem es gezielt um den Schutz und die Rechte jener Menschen geht, die innerhalb ihres Heimatlandes aufgrund von bewaffneten Konflikten, aber eben auch aufgrund von Naturkatastrophen und Landenteignungen fliehen mussten oder vertrieben wurden.

Auf nationalstaatlicher Ebene lassen sich im finnischen, dänischen und im schwedischen Ausländergesetz Regelungen zum komplementären Schutz finden, die unter bestimmten Bedingungen auch auf Personen, die ihr Heimatland wegen einer Umweltkatastrophe verlassen haben, anwendbar sind.

In den USA wurde bereits im Jahre 1990 ein vorübergehender Schutzstatus eingeführt. Damit können Staaten auf eine Liste gesetzt werden, deren Staatsbürger aufgrund von potentiell gefährlichen Situationen nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, jedoch auch nicht unter den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) fallen. Es können unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich auch Staaten auf diese Liste gesetzt werden, die von einer ökologischen Katastrophe heimgesucht wurden.


Internationale Schutzinstrumente

Die weitaus meisten jener Menschen, die umwelt- und klimabedingt ihre Heimatorte verlassen mussten, blieben in ihrem Heimatland. Trotzdem stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit internationaler Schutzinstrumente auf Menschen, die über die Landesgrenzen fliehen.

Die Genfer Flüchtlingskonvention, wie auch das UNHCR-Mandat, können beispielsweise auf Opfer von Naturkatastrophen anwendbar sein, die außerhalb ihres Heimatlandes Hilfe und Schutz suchen mussten, weil ihre Regierung ihnen gezielt und willentlich jegliche Hilfestellung in Verbindung mit den fünf Tatbestandsmerkmalen der GFK (Religion, ethnische Herkunft, Nationalität, politische Meinung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) verweigert hat. Gute Argumente sprechen dafür, das Kernstück der GFK, das Non-Refoulement-Gebot, nach dem ein Flüchtling nicht in ein Land zurückgewiesen werden darf, in dem ihm Gefahr für Leib und Leben droht, grundsätzlich auf existentielle Bedrohungen durch den Klimawandel anzuwenden. Es ist allerdings offen, wann dieser Grundsatz genau greift, und welche Rechte Schutzsuchende erhalten müssen.

Ökologische Katastrophen werden unzweifelhaft auch soziale Spannungen verstärken, die in gewaltsame Konflikte um lebenswichtige Ressourcen wie Trinkwasser oder landwirtschaftlich nutzbaren Boden münden können. Die Erfahrung zeigt leider, dass in diesen Konflikten gezielte, massive Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Diese erreichen den Grad von Verfolgung, so wie sie im Flüchtlingsrecht definiert wird.

Sollte der Meeresspiegel weiter ansteigen, wird eine besondere Herausforderung der drohende Untergang von Staaten sein, die ausschließlich aus einer Insel bzw. Inselgruppe bestehen. Mangels eines Verfolgungstatbestandes wird in diesen Fällen die GFK nur bedingt weiterhelfen können. Die diesbezügliche Frage ist vielmehr: Droht den betroffenen Menschen damit die Staatenlosigkeit und sind deshalb die entsprechenden internationalen Abkommen anwendbar?

Darüber hinaus kommen möglicherweise Schutzmechanismen aus dem Bereich des subsidiären oder komplementären Schutzes, wie in der EU-Qualifikationsrichtlinie (Artikel 15 ff) oder der Richtlinie zum vorübergehenden Schutz in Massenfluchtsituationen formuliert, in Frage. Gewisse Situationen des Verlassens der Heimat aus Umweltgründen ließen sich unter die darin formulierten Fluchtursachen im Sinne von Menschenrechtsverletzungen und Gewaltsituationen fassen.


Effektive Schutzmechanismen erforderlich

Die Begriffe Umwelt- oder Klimaflüchtling werden zwar in der Öffentlichkeit oft gebraucht, sind jedoch nicht im internationalen Flüchtlingsrecht verankert. In diesem Zusammenhang taucht öfter die Meinung auf, das Einfachste wäre es doch, die GFK entsprechend zu ergänzen, dann würde Rechtsklarheit herrschen. Doch die Realität ist nicht so einfach. Verhandlungen über eine Änderung der GFK würden die Gefahr heraufbeschwören, dass im Endeffekt nicht mehr, sondern weniger Schutz für Flüchtlinge als Ergebnis der Verhandlungen herauskommen würde.

UNHCR ist generell der Auffassung, dass die Konvention - flexibel angewandt, so wie es deren Präambel verspricht - auf die meisten gegenwärtigen Situationen von grenzüberschreitender Flucht und Vertreibung durchaus Anwendung finden kann. Dies gilt auch für Situationen, wo ökologische Zerstörung und Klimawandel Konflikte hervorrufen oder zu ihnen beitragen, in deren unmittelbarer oder mittelbarer Folge Menschen verfolgt werden oder massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.

Trotzdem gibt es dringenden Handlungsbedarf bei der Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene vor Ort und bei der weiteren Entwicklung und wissenschaftlichen Erarbeitung effektiver Schutzmechanismen für Menschen, die bedingt durch Auswirkungen von Klimaveränderungen ihre Herkunftsorte verlassen mussten bzw. verlassen werden müssen. Deutschland hat in den letzten Jahren beim Thema Klimaschutz eine politische Prioritätensetzung vorgenommen, die auch international anerkannt wurde. Aufgrund seiner verfügbaren Kapazitäten in diesem Bereich hat Deutschland eine wichtige und führende Rolle übernommen. Alle Akteure, nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Nichtregierungsorganisationen und die Wissenschaft sind aufgerufen, diese Verantwortung z. B. bei der Fluchtursachenbekämpfung verstärkt umzusetzen und Lösungen zu entwerfen.


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Quelle:
Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52, S. 28-29
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL
http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2010__ab_April_/TdF2010_Homepageversion.pdf
Herausgeber: PRO ASYL - Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
Postfach 160624, 60069 Frankfurt/M.
Telefon: 069/23 06 88, Telefax: 069/23 06 50
E-Mail: proasyl@proasyl.de
Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2010