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ASYL/907: "Flüchtlingsgipfel" vertagt Probleme (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 44 vom 31. Oktober 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Flüchtlingsgipfel" vertagt Probleme
Flüchtlingsorganisationen üben grundlegende Kritik

von Markus Bernhardt



Ein Flüchtlingsgipfel, der Ende der vergangenen Woche im Bundeskanzleramt in Berlin stattgefunden hat, ist ohne konkrete Ergebnisse beendet worden. Ursprünglich sollten bei der Zusammenkunft Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Flüchtlingen besprochen und erste Lösungsvorschläge unterbreitet werden. Nun jedoch wollen Bund und Länder erste Vorschläge bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz vorlegen, die erst am 11. Dezember stattfindet.

Wenige Tage vor dem Berliner Gipfel waren auch in Nordrhein-Westfalen verschiedene Politiker zu einem Flüchtlingsgipfel zusammengekommen. Als Konsequenz aus dem Skandal um Misshandlungen durch privates Sicherheitspersonal in Asylunterkünften hatte die "rot-grüne" NRW-Landesregierung dort unter anderem beschlossen, dass Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, künftig mehr finanzielle Unterstützung vom Land erhalten sollen. Insgesamt 46 Millionen Euro will das Land in Zukunft investieren. Auch soll die psychologische Betreuung für die Betroffenen ausgebaut und ein dezentrales Beschwerdemanagement aufgebaut werden.

Ein konsequentes Umdenken in Sachen Flüchtlingspolitik wurde hingegen weder in NRW noch auf der Bundesebene beschlossen. Zwar liegt auf der Hand, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in Massenunterkünften weder für die Betroffenen noch finanziell für die Kommunen von Vorteil ist, trotzdem will das Gros der etablierten Politik die Unterbringung der Menschen in eigenen Wohnungen nicht befördern. Dies, obwohl nicht einmal genügend Gebäude und Einrichtungen vorhanden sind, die künftig als Sammelunterkünfte genutzt werden könnten.

So hatte sich etwa der Brandenburger Staatskanzleichef Albrecht Gerber dafür stark gemacht, dass Bundesimmobilien zukünftig als Unterkünfte genutzt werden könnten. Außerdem sollten "Planung und Zulassung von Unterkünften erleichtert werden, um schneller handeln zu können", forderte er.

Kritik an derlei Forderungen des Vertreters der "rot-roten" Landesregierung hatte unterdessen der Brandenburger Flüchtlingsrat geübt. "Da geht es unter anderem auch darum, dass Flüchtlingsheime auch in Gewerbegebieten am Rande der Städte zugelassen werden sollen", monierte Gabi Jaschke vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Jaschke warnte außerdem vor einem "Rückschritt der Politik" hin "zu großen Unterkünften mit Gemeinschaftsküchen und -bädern". "Wenn schon Heime, dann mit wohnungsähnlichen kleinen Einheiten", forderte sie. "Die Menschen brauchen Zugang zu Ärzten, Schulen und Rechtsanwälten, also wie alle Bürger eine vernünftige Infrastruktur", erinnerte Jaschke die offizielle Politik weiter.

Kritik an der aus SPD und Linkspartei bestehenden Landesregierung kam auch vom Geschäftsführer des brandenburgischen Städte und Gemeindebundes Karl-Ludwig Böttcher. Er bemängelte, dass es "kaum Lehrer, die Sprachkenntnisse in Arabisch, in afrikanischen Sprachen oder Tschetschenisch haben" in Brandenburg gebe, obwohl das Erlernen der deutschen Sprache unerlässlich für die Integration von Flüchtlingen sei.

PRO ASYL monierte, dass "aktuell viel Geld für Provisorien ausgegeben wird und vielerorts die Beauftragung privater Betreiberfirmen ohne große Qualitätsanforderungen als billige und schnelle Lösung angesehen wird". Eine zentrale Aufgabe eines Konzeptes der Flüchtlingsaufnahme müsse es jedoch sein, "provisorische Lebensverhältnisse so schnell wie möglich zu beenden und Flüchtlinge in Wohnungen zu vermitteln". "Bundes- und Landesregelungen, die den Auszug aus den Unterkünften verhindern, müssen abgeschafft werden", forderte die Flüchtlingshilfsorganisation, die sich auch dafür aussprach, dass Flüchtlinge "im Rahmen eines notwendigen Programms des sozialen Wohnungsbaus eine Zielgruppe unter anderen werden".

Grundlegende Änderungen im Umgang mit Asylbewerbern forderte auch Sevim Dagdelen, nordrheinwestfälische Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion. "Die Lebenssituation der Flüchtlinge kann nur verbessert werden, indem diese endlich dezentral in eigenen Wohnungen anstatt in Sammelunterkünften untergebracht werden". "Dies würde nicht nur ein respektvolles Zusammenleben der verschiedenen Menschen vereinfachen, sondern die Kosten für Sicherheitsdienste, die zur Bewachung der Unterkünfte eingesetzt werden, einsparen", stellte Dagdelen klar. "Statt in die Bewachung von Flüchtlingen zu investieren, sollte nicht nur die 'rot-grüne' Landesregierung sich vielmehr für den weiteren Ausbau von Betreuungsangeboten und Hilfsangeboten für die oftmals traumatisierten Flüchtlinge stark machen", forderte die Bundestagsabgeordnete. "Solange es zu keinem grundsätzlichen Umdenken von etablierter Politik und den Behörden kommt, wird die Situation von Flüchtlingen nicht verbessert. Vielmehr wird ihrer Ausgrenzung und Diskriminierung weiterhin der Weg bereitet", kritisierte Dagdelen weiter.

Dass die berechtigten Forderungen von Flüchtlingsverbänden und -organisationen jedoch bei den politisch Verantwortlichen in den Landesregierungen und der Bundesregierung tatsächlich auf Gehör stoßen, dürfte jedoch ein frommer Wunsch bleiben.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 44 vom 31. Oktober 2014, Seite 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2014