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DEMOSKOPIE/554: Studie - Die stabilisierte Mitte, rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014 (idw)


Universität Leipzig - 04.06.2014

Die stabilisierte Mitte - rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014



Im Rahmen der sozialpsychologischen "Mitte-Studie" an der Universität Leipzig werden seit 2002 im Zwei-Jahres-Rhythmus repräsentative Erhebungen zur rechtsextremen Einstellung in Deutschland durchgeführt. Die aktuelle Publikation präsentiert Ergebnisse aus der Befragung im Jahr 2014 und vergleicht sie mit den Studienergebnissen der letzten zwölf Jahre. Dabei wurde ein starker Rückgang bei allen rechtsextremen Dimensionen verzeichnet und somit weniger manifest rechtsextrem Eingestellte.


In der "Mitte-Studie" wurde in allen Bevölkerungsgruppen eine rechtsextreme Einstellung nachgewiesen. Wie schon in den vorangegangenen Erhebungen ist die Ausländerfeindlichkeit die Dimension, die auf die größte Zustimmung trifft: jeder fünfte Deutsche ist noch immer ausländerfeindlich. Die zweithöchsten Zustimmungswerte erreichen mit 13,6 Prozent chauvinistische Aussagen, 5 Prozent der Deutschen sind antisemitisch eingestellt.

Die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen sank allerdings 2014 im Vergleich zu den bisherigen Studien. Der Anteil derjenigen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, ist in ganz Deutschland deutlich zurückgegangen - von 9,7 Prozent im Jahr 2002 auf 5,6 Prozent im Jahr 2014. Die Abnahme ist in allen untersuchten Dimensionen feststellbar: Befürwortung einer Diktatur, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus und Chauvinismus finden in Ost- und Westdeutschland weniger Akzeptanz als noch 2012. "Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich bildlich gesprochen in einer Insellage. Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung ist mit Wirtschaftswachstum und Exportsteigerung so gut wie seit Jahren nicht mehr", erklärt Diplompsychologe PD Dr. Oliver Decker von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig. "Dabei wissen wir schon seit Jahren um den engen Zusammenhang von Wirtschaft und politischer Einstellung. Jetzt ist auch der Kontrast zu allen anderen Ländern in Europa sehr groß: das stabilisiert die Mitte der Gesellschaft."

Hoher Anteil Unentschiedener bei allen rechtsextremen Aussagen

Es gibt weiterhin eine hohe Zustimmung in der Kategorie "teils/teils" (zwischen 12 Prozent und 31 Prozent). "Das weist auf die latente Bereitschaft vieler Menschen hin, rechtsextremen Aussagen zuzustimmen", betont Mitherausgeber der Studie Professor Elmar Brähler. Der Inhalt der Aussagen wird geteilt, doch die Antwort-Skalierung gestattet es, sich abgeschwächt zu äußern.

Bildung wichtigster Schutz vor rechtsextremer Einstellung

Befragte mit Abitur stimmen allen Dimensionen des Rechtsextremismus-Fragebogens signifikant seltener zu als Personen mit einem niedrigeren formalen Bildungsabschluss. Der Effekt der Bildung ist deutlich: beispielsweise sind 6,8 Prozent der Menschen mit Abitur, aber 20,8 Prozent ohne Abitur ausländerfeindlich eingestellt.

Rechtsextrem Eingestellte unter Wählern aller Parteien

Die diesjährigen Ergebnisse dokumentieren erneut, dass rechtsextreme Positionen bei den Anhängern sämtlicher politischer Parteien nachweisbar sind, und dass auch die Wählerschaft der großen Parteien SPD und CDU davon nicht ausgenommen ist. "Es fällt allerdings auf, dass die stärkste Anziehungskraft bei den Wählern mit einer ausländerfeindlichen, antisemitischen und chauvinistischen Einstellung neben den rechtsextremen Parteien die AfD hat", darauf weist der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess hin, der seit 2008 an der Studie mitarbeitet.

Deutliche Ost-West-Differenzen

Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit sind in Ostdeutschland noch immer häufiger zu beobachten als in Westdeutschland. Beim Chauvinismus fällt auf, dass 28,7 Prozent der Ostdeutschen der Meinung sind, Deutschland solle sich endlich wieder Macht und Geltung verschaffen (gegenüber 19,5 Prozent in Westdeutschland). Auch bei der Ausländerfeindlichkeit finden wir in den neuen Bundesländern noch immer höhere Zustimmungswerte als in den alten. "Wo weniger Migranten und Migrantinnen leben, ist die Diskriminierung von "Ausländern" stärker verbreitet", erklärt Elmar Brähler. "Der Kontakt verhindert Vorurteile, darum wissen wir seit einigen Jahren."

Europäische Union skeptisch betrachtet

Die EU wird von den Deutschen auch 2014 immer noch skeptisch betrachtet. Nachdem zunächst eine starke Euphorie festzustellen war, flachte die Begeisterung mit den Jahren ab. "Unsere Ergebnisse aus dem Frühjahr 2014 weisen eine stabile Zustimmung zur EU bei 40 Prozent bis 45 Prozent der Bevölkerung aus", erläutert Johannes Kiess. "Doch bei mehr als 50 Prozent hat sie keine positive Resonanz." Dabei zeigt die Analyse, dass der fehlende Anklang der EU sehr stark mit der antidemokratischen Orientierung der Befragten zusammenhängt: "Wir müssen feststellen, dass Menschen mit rechtsextremer Einstellung und der Bereitschaft, andere Gruppen abzuwerten, die EU deutlich häufiger ablehnen."

Sekundärer Autoritarismus

"Es gibt 2014 eine gute Nachricht: Wie die Ausländerfeindlichkeit so nimmt auch die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen insgesamt ab", stellt Oliver Decker fest. "Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Bestimmte Gruppen von Migrantinnen und Migranten werden umso deutlicher diskriminiert." Im Jahr 2014 geben sich 20 Prozent der Deutschen als ausländerfeindlich zu erkennen. Asylsuchende, Muslime und Musliminnen sowie Sinti und Roma erfahren eine weit höhere Stigmatisierung. Die Abwertung von Asylbewerber/innen ist mit 84,7 Prozent der Befragten in den neuen und 73,5 Prozent der Befragten in den alten Bundesländern sehr groß. Aber auch Sinti und Roma ziehen bei mehr als der Hälfte der Deutschen Ressentiments auf sich und fast die Hälfte der Deutschen lehnen Muslime ab. "Die Empfänglichkeit für die Ideologie der Ungleichwertigkeit ist weiterhin vorhanden", sagt Oliver Decker. "Wir sehen hier eine autoritäre Dynamik: Nicht Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen werden abgelehnt, viele Deutsche denken nun: Die bringen uns was. Aber jene, die die Phantasie auslösen, sie seien grundlegend anders oder hätten ein gutes Leben ohne Arbeit, ziehen die Wut auf sich." Die Wissenschaftler nennen das Phänomen den sekundären Autoritarismus. Die Stellung der Wirtschaft in Deutschland spiele mit hinein. "Sie ist zu so etwas wie einer nicht hinterfragbaren Autorität geworden", so Decker. "Wenn sie stark ist, freuen sich die Menschen. Aber trotzdem müssen sie sich ihr unterordnen und das produziert Aggressionen, die sich dann gegen Abweichende oder Schwächere richten."

Zu dieser Mitteilung finden Sie Anhänge unter der WWW-Adresse:
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Statistikmaterial zur Studie

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Leipzig, Diana Smikalla, 04.06.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2014