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KULTUR/329: Die Zerstörung öffentlicher Kultureinrichtungen - kommunale Musikschulen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 16 vom 23. April 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die Zerstörung öffentlicher Kultureinrichtungen: kommunale Musikschulen

Von Friedrich Kullmann


2010 ist Essen mit dem Ruhrgebiet eine von drei europäischen Kulturhauptstädten. Dieses wird von den offiziellen Vertretern der etablierten kommerziellen Event-Kultur zurzeit aufwändig zelebriert und gefeiert. Im Gegensatz dazu, mit achselzuckendem Verweis auf die "normative Kraft" faktisch darniederliegender Haushalte, schicken sich Politiker der bürgerlichen Parteien gleichzeitig an, sich aus ihrer immer "freiwilligen" - d. h. nach der jeweiligen konjunkturellen Lage - Verantwortung für die Alltagskultur der Menschen in unserem Lande davonzustehlen. Kultureller Kahlschlag droht jetzt überall den öffentlich geförderten Kultureinrichtungen. Konzepte für ihren "Umbau" liegen längst vor. Der Staat soll künftig, statt seinen Kultur- und Bildungsauftrag im Sinne öffentlicher Daseinsvorsorge zu erfüllen, das "bürgerschaftliche Engagement" aktivieren - das ist die Kerndoktrin der Handlungsempfehlungen der Kulturenquete, die im Dezember 2007 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde.

So hatte es die Konrad-Adenauer Stiftung bereits 2004 in einem Papier "Kommunalpolitik Nr. 29, Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt im Kulturbereich," vorgedacht: Staatliche Kulturpolitik nehme künftig nicht mehr die Rolle eines Produzenten sondern eine Gewährleistungsrolle ein. Gewährleistungsverantwortung heißt hier, dass der Staat dafür sorgen muss, dass kulturelle Aufgaben erfüllt werden, er muss diese konkreten Leistungen aber nicht mehr selbst erbringen.

Weiter heißt es in dem Papier: "(...) Dies betrifft zum einen die Suche nach alternativen Finanzierungswegen, vor allem durch die stärkere Einbindung nichtöffentlicher Akteure in die Finanzierung und Trägerschaft von Kulturangeboten und Einrichtungen. Hierzu gehören eine stärkere privatwirtschaftliche Kulturförderung, Sponsoring und Mäzenatentum ebenso wie Public-Private-Partnerschaft-Modelle (PPP) und die stärkere Einbindung bürgerschaftlichen Engagements und ehrenamtlicher Mitarbeit (...).

Auch die politischen Definitionsversuche auf der Ebene der GATS - Verhandlungen und der EU-Dienstleistungsrichtlinie, "dass (...) Dienstleistungen des Bildungs- und Kulturbereiches, (...) und Dienstleistungen der Gebietskörperschaften, insbesondere der Kommunen, wie Waren angesehen werden und damit in vollem Umfang den Marktgesetzen unterliegen, ohne dass ihr besonderer Charakter oder ihr gesellschaftlicher Nutzen berücksichtigt würden. Dies gelte insbesondere für Dienstleistungen bei denen ein Entgelt gezahlt werden muss", (Stellungnahme des Deutschen Kulturrat vom September 2004), zielen nachdrücklich auf die Kommerzialisierung noch öffentlich geförderten Kultureinrichtungen der Staaten. Eine möglichst schnelle Umsetzung in diesem Sinne von Seiten nationaler Politik wird von allen (wirtschaftlich) interessierten Seiten seither dringend erwartet.

Im Rahmen des "kommunalen Finanzmanagements" (die Kommune als gewinnorientierter "Konzern" statt Körperschaft öffentlicher Daseinsvorsorge) ist inzwischen ein Drittel der kreisfreien Städte in NRW von der Pleite bedroht. Viele Städte und Kreise stehen bereits unter Haushaltsaufsicht der Regierungspräsidenten, sehen sich gezwungen, die Mittel für Musikschulen, Orchester, Theater, Museen und Bibliotheken drastisch zu kürzen oder ihren Betrieb gleich ganz abzuwickeln.

So planen die Städte Duisburg und Herford die Privatisierung bzw. Schließung ihrer Musikschulen, Oberhausen und Kamen kündigen massive Einschnitte in deren Unterhalt an. In Bochum soll das bestehende Unterrichtsangebot reduziert werden, um das freigesetzte Personal in "JeKi" einzusetzen bzw. "outzusourcen", finanziert zurzeit noch zu 75 Prozent vom Land, der Rest von privaten Sponsoren.

"Jedem Kind ein Instrument", so heißt ein Prestigeprojekt der NRW-Landesregierung im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010, bei der unter dem Anschein einer breit angelegten, alle Kinder erreichenden "Musikalisierungskampagne" hier ein zukunftsweisendes PPP-Modell im Bereich musikalischer Bildung zu Lasten der bestehenden öffentlichen kommunalen Musikschulen vorangetrieben wird.

Über 90 Prozent der Kommunalpolitik besteht heute aus der Durchführung von Gesetzen, Verordnungen und Weisungen übergeordneter Behörden, zu der die Kommunen, sei es durch administrativen Zwang oder Entzug ihrer Finanzmittel, gezwungen werden können. Was darüber hinaus an freiwilligen Leistungen der Kommune für ihre Bürger übrig bleibt, findet enge Grenzen in ihrer ungenügenden Finanzausstattung - eine fortschreitende Austrocknung der Selbstverwaltung, die von den Mächtigen der Erde durchaus gewollt und strategisch betrieben wird.

Dieser desaströse Niedergang kommunaler Selbstverwaltung ist also keineswegs schicksalhaft, sondern absehbare und zwingende Folge einer ideologisch begründeten und medial massenwirksam inszenierten Politik der Privatisierung und Deregulierung ("Senkung der Staatsquote"), die 2008 zu einer historischen Wirtschafts- und Finanzkrise geführt hat, deren Folgelasten nun der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Einerseits wird den Bürgern seit Jahren Sparsamkeit und Verzicht abverlangt, andererseits werden mit plötzlich aus dem Hut gezauberten öffentlichen Geldern vorzugsweise marode Banken saniert, erpresserischen Großkonzernen Steuergeschenke angedient und selbsternannte "Leistungsträger" steuerlich begünstigt.

Die öffentliche Verarmung steht dabei in einem direkten Verhältnis zum wachsenden Reichtum einiger weniger. Noch nie war die Zahl der Millionäre und Multimillionäre in diesem Lande höher als nach der neoliberalen Umverteilungspolitik von unten nach oben, wie sie in den vergangenen 15 Jahren von (fast) allen Parteien betrieben wurde.

Die Folge ist neben dem Verlust von Arbeitsplätzen auch im Kulturbereich eine sich ausweitende öffentliche Kulturlosigkeit. Dabei ist genug Geld vorhanden, die öffentliche Förderung von Bildung, kultureller Bildung und Kultur inhaltlich angemessen, sozial und nachhaltig zu konsolidieren und neu zu organisieren. Statt steigender Ausgaben für mehrheitlich abgelehnte deutsche Militäreinsätze im Ausland, werden Investitionen in vernünftige Schulen gebraucht, in denen kulturelle Bildung nicht lediglich als kümmerliches Feigenblatt dient.

Die flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Musikschulen in unserem Land gilt zu Recht als vorbildliche kultur- und bildungspolitische Errungenschaft, die sich in mehr als 50 Jahren bewährt hat. Öffentlich geförderte Musikschulen sind finanzierbar in einem nach wie vor reichen Land mit weiterhin steigender Produktivität der Arbeit. Der drohende Versuch, sich ihrer sang- und klanglos und unwiederbringlich zu entledigen ist ein Skandal und der Offenbarungseid einer gescheiterten Kultur- und Bildungspolitik.

In Art. 11 Abs. 1 der baden-württembergischen Verfassung heißt es: "Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung oder Ausbildung." Statt aber Defizite und Versäumnisse öffentlicher Einrichtungen bei der Erfüllung ihres Bildungsauftrags inhaltlich zu beheben und diesen Auftrag auszuweiten und zu stärken, wurden diese unter erheblichen ideologischen Legitimationsdruck gesetzt, betriebswirtschaftlich formiert, immer mit der Drohung, sie zu privatisieren.

Das gilt in großem Maße auch für das oben genannte "JeKi-Projekt". Angekündigt als eine großartige Kampagne, die verspricht, jedem Kind praktische musikalische Bildung zugänglich zu machen, entpuppt sie sich mehr und mehr nur als Türöffner für privatwirtschaftliche Interessen. Dabei werden die bestehenden öffentlichen Musikschulen in ihrer Arbeit geschwächt, es werden modellhaft prekäre Arbeitsverhältnisse für die bei "JeKi" Beschäftigten installiert. Dass die selbstgesteckten musikpädagogischen Ziele nicht erreicht werden, ist dabei nur von marginaler Bedeutung. Mit anderen Worten: Es handelt sich bei "JeKi" um eine Mogelpackung.

In Wirklichkeit geht es gar nicht um Qualität, Nachhaltigkeit und sozial gerechte Bildungschancen - wie sie z. B. der venezolanischen Musikalisierungsbewegung "El sistema" in weltweiter Anerkennung zugesprochen werden -, sondern nur um den geforderten marktförmigen "Umbau" kultureller Bildung, legitimiert durch eine dann angeblich größere Zugangschancengleichheit "jedes Kindes" für künftige große und kleine Märkte kultureller Bildung. Herr Rüttgers hat sich 2007 beim landesweiten Start von "JeKi" mit Blick auf die Ausstrahlung der venezolanischen Jugendorchesterbewegung mit seinem Ausspruch "Das können wir auch" in jeder Hinsicht sehr weit zum Fenster gelehnt. Wie weit, werden wir am 9. Mai sehen.

Mit wirklicher Bildungsgerechtigkeit hat das alles nicht viel zu tun. Es ist vor allem Augenwischerei und die Instrumentalisierung musikalischer Bildung zur Produktion von sozialem Kitt unter zunehmend privatwirtschaftlichen Bedingungen in einem mehr und mehr auseinanderdriftenden Gemeinwesen zu produzieren. Besonders wenn "es zu schnell gehen musste und die gesamten Werkzeuge 'während der Fahrt' entstanden sind." (V. Gerland)

Horst Bethge schreibt dazu: "Chancengleichheit wird umgedeutet: gleiche Chancen beim Zugang, nicht im Ergebnis. Das rückt den Blick weg von der Emanzipation der Klasse hin zum Individuum und seiner bestmöglichen Ausstattung für den Markt. Das Ziel, strukturell gleiche Lebenschancen herzustellen, wird ersetzt durch individualistische Instandsetzung des Individuums für die Marktkonkurrenz. Da sind soziales Lernen, kulturelle und musisch-ästhetische Bildung nur ineffektiver Ballast. Ergänzend kommt hinzu, die Funktion der öffentlichen Bildung auf die Auskühlung weitergehender Ansprüche ("to cool out the kids") durch Interpretation sozialer Unterschiede als Leistungsunterschiede und die Aufrechterhaltung eines Minimums an Kohäsion in der Gesellschaft (das ist etwas anderes als Solidarität) zu konzentrieren. Grundbildung und Eliteförderung durch den Staat, alles andere durch Eigenfinanzierung, zukaufbar auf dem Markt, bedient durch Private." (Horst Bethge)

Inzwischen wird in den Kulturprogrammen fast aller Parteien überwiegend von Kultur- und Kreativwirtschaft gesprochen. In einem neueren Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung, (Kommunalpolitik Nr. 32 Kulturwirtschaft - Das unentdeckte Kapital der Kommunen und Regionen, 2006) ist folgendes zu lesen:


Kulturwirtschaft: Kultur schafft Arbeit

Die Kultur braucht Unterstützung dafür, dass sie weiter vom Staat gefördert werden soll; nicht nur die sprichwörtlich finanzielle, mehr noch braucht sie legitimatorische Hilfe. Denn die gesellschaftliche Bewertung der Kultur als eigenständiges Feld, das keiner besonderen Begründung bedarf, ist (nach Ansicht des Autoren) im Schwinden (...) Finanz- und Haushaltspolitiker wollen schließlich überzeugt werden, warum sie der Kultur weiterhin die öffentliche Finanzierung geben, die sie braucht. Das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft hat sich damit noch nicht wirklich verändert, sondern nur die Begründung von Kultur. Nun muss sie sich ökonomisch legitimieren. Ein Lösungsweg richtet sich - neben dem privaten Mäzenatentum - vor allem auf die Unternehmen der Wirtschaft. Wirtschaft leistet mit ihren finanziellen Mitteln 'kulturelle Entwicklungshilfe' (So ist die Bertelsmann Stiftung seit langer Zeit in der musikalischen Bildung sehr aktiv und hat hier schon diverse Projekte an den Start gebracht: Kita macht Musik, musikalische Grundschule, Musikland Niedersachsen, FK) (...) Kultur hat heute keine Angst mehr vor der instrumentellen Vereinnahmung durch die Wirtschaft. Die Annäherung von Kultur und Wirtschaft schreitet voran (...) Es geht darum, wie mit Kunst und Kultur Geld zu verdienen ist (...)"

Diese »neue« Kulturpolitik zielt erklärtermaßen darauf ab, den historischen Prozess der Entwicklung zu einer öffentlichen Trägerschaft für Kultur (staatliche Daseinsvorsorge) zu revidieren; von öffentlich über privat-öffentlich wieder zu privat - wie einst im 19. Jahrhundert. Dabei sollen der Einklang von kulturellen und wirtschaftlichen Interessen der »Bürgergesellschaft« (Bürgerstiftungen) und das Kosten sparende »Ehrenamt« in ihre überkommenen kulturpolitischen Rollen mit entsprechenden Rechten wieder eingesetzt werden:

"(...) Durch bürgerschaftliches Engagement und genossenschaftliche Selbstorganisation entstand (...) die Grundstruktur unserer heutigen Kulturlandschaft (...) die vor allem um die Jahrhundertwende, nach dem Ersten Weltkrieg und im Gefolge der Weltwirtschaftskrise und der Inflation in einem schrittweisen Prozess in die öffentliche Verantwortung überging (Nach dem Zusammenbruch der US-Bank "Lehman Brothers" und dem Verkauf von Merill Lynch konnten 200 von ihnen unterstützte nicht-kommerzielle Kulturstiftungen ihre Arbeit nicht weiter fortsetzen. Es macht also schon Sinn: Kultur braucht öffentliche Daseinsvorsorge!, FK)

(...) Dabei waren Kunst und Kultur Medien der Selbstverständigung und Orte des geselligen Lebens des entstehenden und an die Macht strebenden Bürgertums. Sie dienten dem Bürgertum zur Kritik an Adel und Fürstentum sowie zur Abgrenzung gegenüber den "unteren" Volksschichten. Mit den Kunstvereinen, den öffentlichen Museen, den Bürgerbibliotheken, den Musikschulen und Konservatorien und später den Bildungswerken schuf sich das selbstbewusste Bürgertum des 19. Jahrhunderts jene Orte der Selbstverständigung und des geselligen Lebens, die die traditionellen Kulturinstitutionen, die höfischen Theater, fürstlichen Kunstsammlungen und Klosterbibliotheken ihnen nicht bieten konnten. Es war (...) die Kultur, die das Bürgertum im Inneren zusammenhielt und von anderen Gruppen unterschied: (...) Kultur im Sinn von Selbstverständnis, Weltdeutung und Lebensweise. Bürgerliche Kultur definiert das Bürgertum (...)

Auch die mit dem Bürgertum entstandene Arbeiterklasse entwickelte wie die bürgerliche Klasse eigene Formen und Orte des kulturellen Lebens und der Selbstvergewisserung. Arbeiterbildungsvereine und proletarische Gesangvereine, Volksbühnenbewegung und Volksbibliotheken traten neben die Kultureinrichtungen des Bürgertums und die staatlichen Kulturinstitutionen des alten Regimes (...)

Damals entstand ein Großteil der heutigen Kultureinrichtungen die sich aus der privaten über die privat-öffentliche in die endgültige Trägerschaft der öffentlichen Hände entwickelten. Wenn heute angesichts der deutlichen Grenzen des "Wohlfahrtsstaates" über eine gegenläufige Tendenz nachgedacht wird, scheint dies nur folgerichtig (...)" (KA-Stiftung, Kommunalpolitik Nr. 29, Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt im Kulturbereich, 2004)

Während sich aktuell also die sich ankündigende neue-alte "Bürgergesellschaft" mit einem Kahlschlag öffentlicher Kultureinrichtungen redefiniert und sich ihr "Selbstverständnis, ihre Weltdeutung und Lebensweise" immer mehr auf das totale Geldverdienen in einer ubiquitären Warenwelt konzentriert und sich darin erschöpft, ist breiter gesellschaftlicher Widerstand nötiger denn je: die "unteren" Volksschichten sind in dieser "Bürgergesellschaft" nur mehr als Marktteilnehmer - soweit sie zahlungskräftig sind - vorgesehen. Schleichend werden Gesellschaft, Staat und Geistesleben auf die Absatzinteressen der Unternehmer hin konditioniert.

Vor allem auch die Gewerkschaften sind jetzt gefragt, sich in Fragen der Kultur gesellschaftspolitisch zu positionieren. Dabei ist z.B. ver.di bei den Beratungen über die Kulturenquete des Deutschen Bundestages in 2007 außen vor geblieben und hat dort keine Rolle spielen können.

Allerdings hat inzwischen der DGB im Januar 2010 ein Leitbild zur Kulturpolitik verabschiedet und veröffentlicht:

"Ziel unserer kulturpolitischen Arbeit ist es, möglichst allen Menschen die Teilhabe an Kultur und Kunst zu ermöglichen. Kulturelle Lebensqualität darf nicht das Privileg von Wohlhabenden und Bildungseliten sein."

Aber der Weg dahin wird mit der drohenden Zerstörung öffentlicher Kultureinrichtungen in NRW und andernorts gerade erkennbar beschritten. Unter den Vorzeichen einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in arm und reich. Ein Viertel der Kinder in NRW ist von Armut bedroht. Aber: Für "Jedes Kind ein Instrument" sieht Herr Rüttgers vor. Das ist allerdings so gut, wie es nur eine Täuschung ist.

"Kultur ist die Gesamtheit der durch menschliche Arbeit geschaffenen materiellen und geistigen Werte einer Gesellschaft. Sie prägt und drückt sich aus nicht nur in den Künsten, der Literatur und im Theater, sondern in allen Lebensformen, Traditionen, Glaubensrichtungen und Wertesystemen", unterstreicht der DGB in seinen Leitbild die Bedeutung der Kultur und damit der Kulturpolitik. Während die Bertelsmann-Inhaberin Liz Mohn "die zeitgemäße (!) Förderung der Musikkultur insgesamt für die Entwicklung und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft von einschneidender Bedeutung" ansieht "durch die Vermittlung musikalischer und kultureller Werte, durch die Vermittlung von Zusammengehörigkeitsgefühl und Gemeinsinn, aber auch durch die Vermittlung von Kreativität und Lernbefähigung (...) Gemeinsames Singen und Musizieren als Beitrag für die internationale Verständigung Bedeutung erlange, wobei den "Kunden" aber Abgehobenes und Unverständliches erspart bleiben solle, ist jetzt von den Gewerkschaften gefordert, dass diese "geistigen Werte" praktisch werden zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Mehrheit. Nicht die unter der Käseglocke gehaltenen bürgerlichen geistigen Werte, die bei Bertelsmann in schreiendem Kontrast zu ihren üblichen geschäftlichen Aktivitäten zur Volksverdummung (RTL-Fernsehen) stehen und nur eine Kultur zwischen Eliteförderung und Dummenverwaltung sichtbar machen..

Der DGB fordert: "(...) die Sicherung der ökonomischen Grundlagen für Künstler, Autoren und Publizisten ebenso wie für Kultureinrichtungen, Kulturvereine und freie Träger der Kulturarbeit. Unsere Kulturarbeit zielt auf eine Verbesserung und zukunftsfähige Förderung der kulturellen Infrastruktur unseres Landes. Sie soll dazu beitragen, kulturelle Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, gewerkschaftliches Bewusstsein zu stärken und demokratisches Engagement zu fördern (...)"

Nun ist sowohl diese kulturelle Infrastruktur in großer Gefahr als auch die künftige Vertretung kultureller "Arbeitnehmer"interessen in einer sich neu formierenden "Bürgergesellschaft". Wenn es dem DGB ernst ist mit der Feststellung "Unsere Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik" muss er sich jetzt deutlich äußern und zum Widerstand aufrufen. Das wichtigste gesellschaftspolitische Anliegen des DGB kann nicht die Anpassung an die "Veränderung der Arbeitsgesellschaft" sein: "Wir fragen uns, was wir heute tun können, um Menschen in unterschiedlichsten Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen dabei zu unterstützen, mit dem fortwährenden Wandel unserer Gesellschaft zurecht zu kommen." So formuliert ist das zu wenig und geht in die falsche Richtung.


Unser Autor spricht beim 4. Kulturpolitischen Forum der DKP (Nürnberg 25. bis 27. Juni 2010) zum Thema "Barbarei der Alltagskultur". Anmeldungen zum Kulturforum: Werner Lutz, Nägelsbachstraße 53, 91052 Erlangen, einheiztext@t-online.de


Der Schattenblick veröffentlicht eine aktualisierte Fassung des Artikels.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 41. Jahrgang, Nr. 16, 23. April 2010, Seite 9
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2010