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KULTUR/333: Ein Kunstmuseum wird wegen Kürzungsmaßnahmen vorübergehend geschlossen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 21 vom 28. Mai 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Deutschland unter Schock
Ein Kunstmuseum wird wegen Kürzungsmaßnahmen vorübergehend geschlossen

Von Julia Sastra


Museum werden sowohl die Institutionen als auch Gebäude genannt, in denen bedeutende Produkte der schöpferischen menschlichen Tätigkeit oder der Natur aufbewahrt, wissenschaftlich bearbeitet und, unter verschiedensten Gesichtspunkten geordnet, ausgestellt werden.
(Lexikon der Kunst)


In Hamburg wurde gerade ein staatliches Museum geschlossen. Betroffen ist die 1997 mit viel Medienrummel eröffnete Galerie der Gegenwart, die mit ihrer umfangreichen Sammlung zeitgenössischer Kunst zur Kunsthalle gehört. Eine Sprecherin der Kulturbehörde erklärte, es handle sich um eine dringend notwendige Brandschutzmaßnahme. Kunsthallenleiter Hubertus Gassner widersprach dem. Aus dem Urlaub erklärte er, es sei eine Sparmaßnahme.

Die Galerie der Gegenwart bleibt voraussichtlich bis Oktober dicht. Damit wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein staatliches Kunstmuseum geschlossen, weil für dessen Unterhalt angeblich das Geld fehlt. Die Schließung kommt nicht überraschend. Schließlich begann die "Krise der Kultur" nicht erst im vergangenen Jahr. Die staatliche Kultur in diesem Land steckt seit Gründung der BRD in der Krise: Sie hängt allein ab vom guten Willen der PolitikerInnen. Weder ihre gesellschaftlich notwendige Existenz, noch ihre Finanzierung ist im Grundgesetz verankert. Beides widerspräche auch den herrschenden kapitalistischen Regeln.

So ist z.B. die bundesdeutsche Geschichte staatlicher Museen und Theater auch eine des andauernden Kampfes Kulturschaffender gegen Etatkürzungen und für eine Finanzierung, die statt Mängelverwaltung inhaltliches Arbeiten ermöglicht: Noch 1974 beklagten Museumsdirektoren auf einer Konferenz die anhaltenden Kriegsschäden in ihren Häusern. In den "Nachrichtenbriefen" des Arbeitskreises Bertolt Brecht sind Kürzungen ein Dauerthema: "Theatersterben im Norden", "Der rationalisierte Theaterabbau", "Beschränkungen - Fusionen - Schließungen" sind nur einige der Themen, die die Macher 1972 und 1973 beschäftigten.

Dass Kultureinrichtungen hierzulande einmal etwas mehr als im Schnitt 1 bis 2 Prozent der Haushalte erhielten, war der Existenz der DDR geschuldet: Bürgerliche PolitikerInnen wollten der Öffentlichkeit die Mär vom "Kapitalismus mit menschlichem Antlitz" verkaufen. Doch bereits die erste Kohl-Regierung begann, staatliche Kulturfinanzierung offen in Frage zu stellen. 1989 ließen die PolitikerInnen ihre Masken endgültig fallen: Ihre Zerschlagung sozialer Errungenschaften und Arbeitnehmerrechte ging einher mit der Vernichtung staatlicher Kultureinrichtungen und der radikalen Kürzung örtlicher Kulturetats. Das erste Theater, das in der BRD kurz nach der "Wende" schließen musste, war das renommierte Schiller-Theater in Berlin. Wenig später folgte die Freie Volksbühne. In zahlreichen Städten und Gemeinden wurden seitdem vermehrt unterschiedlichste Kultureinrichtungen geschlossen, kämpfen MuseumsmitarbeiterInnen und andere Kulturschaffende um ihre Einrichtungen. In aller Regel, indem sie sich noch mehr ausbeuten als bisher schon.

Zur Zerstörungsstrategie staatlicher Kultureinrichtungen gehört deren "Verselbstständigung". 1998 wurden z.B. die Museen Hamburgs "verselbständigt". Seitdem werden sie langsam, aber sicher privatisiert: Der Senat kürzt regelmäßig die öffentlichen Zuwendungen, längst decken sie nicht einmal mehr die Personal- und Betriebskosten. Etwa 60 Prozent der jährlich für den Betrieb notwendigen Gelder müssen die MuseumsmitarbeiterInnen selbst erarbeiten: durch besucherträchtige Ausstellungen, Vermietungen, Einwerben von Sponsorengeldern. Weil das nicht zu schaffen ist, liegen die gesetzlich festgeschriebenen traditionellen Aufgaben der Museen - sammeln, bewahren, erforschen - seit Jahren brach. Und: Die Häuser machen Schulden. Prompt fordern PolitikerInnen weitere "Sparmaßnahmen": Ihnen gilt Kultur als x-beliebige Ware, und wenn ein Museum sich nicht selbst finanzieren kann, ist es eben überflüssig.

Aktuell verlangt die Hamburger Kulturbehörde, die Kunsthalle müsse bis Jahresende weitere 210 000 Euro Schulden einsparen. "Dass wir das nicht mehr können, scheint der Kulturbehörde und der Finanzbehörde im Moment egal zu sein", so Hubertus Gassner - und schließt die Galerie der Gegenwart, um Betriebs- und Personalkosten zu sparen. Während nach der Verletzung eines Fußballspielers ganz "Deutschland unter Schock" stand, blieb angesichts der Museumsschließung ein Aufschrei aus. Obwohl in Paris und Mailand Kulturschaffende gegen Kürzungspläne streikten, rührt sich hierzulande nichts. Dabei ist die - vorläufige - Schließung eines Museums ein unvergleichlicher Tabubruch. Er wird weitere Kürzungsforderungen und endgültige Schließungen nach sich ziehen - wenn sich nicht endlich MuseumsmitarbeiterInnen und Öffentlichkeit gegen diese Art des Raubes an gesellschaftlichem Eigentum wehren.

Viele KommunistInnen meinen, bürgerliche Kultureinrichtungen können uns egal sein. Weshalb aber schützten dann die Bolschewiken die adligen Kunstsammlungen und machten sie der Öffentlichkeit zugänglich? Weshalb widmete dann die DDR dem kulturellen Erbe der letzten Jahrtausende zahlreiche Museen? Was wären wir denn ohne die menschlichen Errungenschaften und Erkenntnisse aus vergangenen Zeiten, die Theater, Museen und Archive nun einmal versammeln?

"Da die Kunstmuseen sowohl rationale als auch emotionale Erkenntnis, ästhetischen Genuss, geistige und künstlerische Selbstbestätigung und Eigenbetätigung mitvermitteln bzw. anregen können, sind sie für die sozialistische Persönlichkeitsbildung von großer Bedeutung", heißt es im DDR-Lexikon der Kunst. Bis wir die Überlieferungen vergangener Jahrhunderte (wieder) nach unserer Weltanschauung ordnen können, wird es noch etwas dauern. Bis dahin sollten wir diese Archive der Menschheitsgeschichte nutzen, unser Denken zu schulen, unsere "geistige Eigenbetätigung". Bertolt Brecht formulierte in seinem während des Faschismus geschriebenen Text "Über die Wiederherstellung der Wahrheit": "In Zeiten, wo die Täuschung gefordert und die Irrtümer gefördert werden, bemüht sich der Denkende, alles, was er liest und hört, richtig zu stellen. Was er liest und hört, spricht er leise mit, und im Sprechen stellt er es richtig. Von Satz zu Satz ersetzt er die unwahren Aussagen durch wahre. Dies übt er so lange, bis er nicht mehr anders lesen und hören kann. ... Wenn er hört, dass Kriege nötig sind, dann setzt er hinzu, unter welchen Umständen sie nötig sind, auch: für wen." Nur so können wir uns heute auch eine eigene Haltung gegenüber bürgerlichen Museen, Theatern, Filmen, Romanen usw. erarbeiten. Wer die Einrichtungen und ihre Bestände deshalb jedoch für überflüssig hält, macht sich selbst geschichtslos: Anders als in aktuellen Zeitungen, von denen Brecht schrieb, stecken in ihnen nicht nur die Ansichten der Herrschenden, die unser Gegendenken erfordern, sondern auch die Ansichten der Beherrschten: ihre Fähigkeiten, Erfahrungen, Erkenntnisse, Hoffnungen und Utopien, die uns Traditionen eröffnen, Identitätsbildung ermöglichen - Genuss.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 21,
28. Mai 2010, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2010