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MENSCHENRECHTE/212: Menschenrechte und der Kampf gegen den Terrorismus (IPPNWforum)


IPPNWforum | 113 | 08
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Menschenrechte und der Kampf gegen den Terrorismus
Der "Kampf gegen den Terror" untergräbt das absolute Folterverbot

Von Barbara Lochbihler


Der internationale Terrorismus wird gemeinhin als neue Art der globalen Gefahr beschrieben. Dieser Logik folgend bedarf die Bekämpfung neuer Abwehr- und Bekämpfungsmethoden, neuer Sicherheitsmaßnahmen, neuer Vorbeugemechanismen, neuer Überwachungssysteme, neuer strafrechtlicher Regelungen und neuer Kriege. Zu diesen Instrumentarien gehören auch neue Verhörmethoden, die eigentlich uralt sind. Der "Krieg gegen den Terror" wird häufig von Regierungen als Rechtfertigung benutzt, um Menschenrechtsstandards zu untergraben und rechtsstaatliche Prinzipien zu ignorieren.


Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York haben zahlreiche Regierungen mit dem Argument, die bestehende Rechtslage biete ihnen keine ausreichenden Mittel, den Bedrohungen zu begegnen, weit reichende Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus erlassen. Dies geht soweit, dass der amerikanische Präsident Bush Waterboarding, also das simulierte Ertränken während des Verhörs, als legitim erklärt. Zwar hatte das US-Repräsentantenhaus diese Technik verboten, doch Präsident Bush hatte im März 2008 sein Veto dagegen eingelegt. Bush hatte erklärt, das Waterboarding, sei eines der nützlichsten Werkzeuge im Kampf gegen den Terror. Soldaten werden so zu unmenschlichen Behandlungsweisen motiviert; die Bilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib vom Mai 2004, wo amerikanische Soldaten ihre Gefangenen in nie gekannter Art und Weise z.T. zu Tode folterten, machen die Folgen solcher Befehle sichtbar.

In Guantánamo werden seit Anfang 2002 Hunderte willkürlich ohne Anklage und Gerichtsverfahren unter unmenschlichen Bedingungen in Haft gehalten. All dies sind schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht. Folter ist nicht mehr nur auf Militärdiktaturen beschränkt, sondern wird in demokratischen Staaten oder durch sie in Drittländern gleichfalls angewendet.

Die Statistiken zu Folter und Misshandlungen zeichnen ein düsteres Bild. Zwar wurde im Kampf gegen die Folter in den vergangenen 25 Jahren viel erreicht und eine weltweite Menschenrechtsbewegung entstand. Deren Anstrengungen ist es in weiten Teilen zu verdanken, dass etliche neue internationale Standards entwickelt wurden, die die Folter verbieten und Regierungen verpflichten, Folterungen zu verhüten. Das vor 60 Jahren mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 5 abgegebene Versprechen der Regierungen "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterzogen werden" wurde dennoch nicht überall eingelöst. Der für die Abschaffung der Folter notwendige internationale rechtliche Rahmen existiert. Woran es mangelt, ist der politische Wille von Regierungen, die Folter konsequent zu ächten. Auch untergräbt die vielerorts bestehende Straffreiheit der Täter das über Jahre hinweg aufgebaute Schutzsystem gegen die Folter.

Die häufigsten Methoden der körperlichen Folter sind Elektroschocks, sexuelle Gewalt und Schläge. Unter systematischem Schlagen auf die Fußsohlen versteht man die Art der Misshandlung, die man "Falanga" nennt: Dem Opfer wird mit Stöcken oder Draht auf die nackten Fußsohlen geschlagen. Bei elektrischen Folterungen werden die Elektroden an den empfindlichsten Körperteilen befestigt: Ohren, Zunge, Fingerkuppen, Brustwarzen oder Genitalien sind die bevorzugten Stellen.

Die körperlichen Misshandlungen können Schmerzen zufügen, in der Kombination mit der psychologischen Folter wird die Persönlichkeit des Opfers gebrochen. Psychologische Folter hinterlässt keine äußerlich sichtbaren Spuren. Diese Formen der Folter werden daher auch "weiße Folter" genannt. Durch Isolation von jeglichem sozialen Umfeld in kleinen Gefängniszellen ohne irgendwelche Geräusche beginnt die tiefe Verunsicherung. Elementare Bedürfnisse - Schlaf, Wasser und Essen - werden entzogen. Es kommt zu Wahrnehmungsstörungen und Orientierungsverlust in Zeit und Raum. In der Folge werden die Opfer gezwungen, die verschiedensten Demütigungen zu erleben: Wie Tiere zu essen, Zeuge zu sein bei der Quälerei oder Vergewaltigung von Mitgefangenen oder deren Schreie während dieser Torturen zu hören. Andere Quellen der Demütigung sind die völlige Gleichgültigkeit der Folterer gegenüber den Schmerzen der Gefolterten und das Ausbleiben einer Behandlung der Verletzungen. Gleichzeitig bekräftigt sich die Meinung der Folternden, dass die Opfer minderwertige Personen sind. Diskriminierung ist der Wegbereiter der Folter. Das Opfer wird nicht als vollwertiger Mensch anerkannt, seine Rechte werden aberkannt. Der Kreislauf weiterer und noch brutalerer Qualen schließt sich an dieser Stelle.

Folter bewirkt, dass Menschen unerträgliche Schmerzen zugefügt werden, dass ihr Wille gebrochen und ihre Persönlichkeit zerstört wird. Opfer und Täter werden brutalisiert. Es gibt einen Zeitpunkt, wo das Opfer alles sagt, was der Folterer hören will, damit die Schmerzen aufhören. Folter schürt neuen Hass, Bevölkerungsgruppen werden gegeneinander aufgebracht. Moralische Maßstäbe gehen verloren.

Die Folgen der Misshandlungen sind vielfältig: Überlebende Opfer weisen somatisierte Schmerzzustände und Depressionen auf. Angstzustände, Verfolgungsparanoia und mangelnde Aggressionskontrolle sind Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Gehen solche Patienten zu einem Arzt, werden oft nur wenige der tatsächlichen körperlichen Beschwerden gefunden. Von den seelischen Störungen ganz zu schweigen. Denn Folteropfer sprechen in der Regel von sich aus nicht ihre erlittenen Qualen an. So werden nur die Symptome kuriert, ohne je einen Einblick in die tief verletzte Psyche zu erhalten. Folter hinterlässt tiefe Spuren in Körper und Seele der Menschen, die dringend behandelt werden müssen.

Folter darf nicht straffrei bleiben. Genauso wenig darf Folter in Ausnahmefällen erlaubt werden. Jede Legalisierung von Folter trägt dazu bei, Folter zu verbreiten. Die Gewinnung von Informationen durch Geheimdienste zur Gefahrenabwehr darf nicht unter Aufweichung des absoluten Folterverbots erfolgen. Auch in Zeiten erhöhter Terrorgefahr darf Folter nicht legitimiert werden. Sie muss verhindert und geahndet werden. Gerade in Anbetracht neuer Gefahren dürfen wir uns unter keinen Umständen auf Rückschritte im Rechtssystem einlassen. Verletzungen von Menschenrechten wurden und werden solange begangen und wiederholt, wie die internationale Gemeinschaft sie toleriert.

Der Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Europarats von 2007 kommt zu dem Schluss, dass es genügend Anhaltspunkte dafür gebe, dass die CIA von 2003 bis 2005 in Europa, insbesondere in Rumänien und Polen, Geheimgefängnisse unterhalten habe. Die EU muss daher wirksame Maßnahmen ergreifen, um in Zukunft die Errichtung geheimer Hafteinrichtungen in Europa verhindern. Diese Maßnahmen ergeben sich unter anderem aus Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Terrorismusverdächtige dürfen nur an Orten festgehalten werden, die offiziell als Hafteinrichtung anerkannt sind. Terrorismusverdächtige, die in Gewahrsam genommen werden, müssen unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Amtsperson vorgeführt werden. Es muss ein Anspruch darauf bestehen, gerichtlich gegen die Inhaftnahme vorzugehen. Der Festgenommene und der Rechtsbeistand seiner Wahl müssen unverzüglich über die Gründe der Festnahme unterrichtet werden. Die Internationale Konvention zum Schutz aller Personen gegen das "Verschwindenlassen" muss von allen europäischen Staaten vorbehaltlos ratifiziert und umgesetzt werden.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention sind verpflichtet, geheime Inhaftierungen und Überflüge mit Gefangenentransporten, bei denen die Gefahr von Folter oder erniedrigender Behandlung besteht, zu verhindern. Amnesty International hat als eine der ersten Menschenrechtsorganisationen die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo und die Rückkehr zu Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit im "Kampf gegen den Terrorismus" gefordert. Guantanamo ist die Spitze eines Eisbergs und Symbol für die Gesetzlosigkeit im "Krieg gegen den Terror". Die Verantwortung, eine völkerrechtskonforme Lösung für die Gefangenen in Guantanamo zu finden, liegt bei den USA.

Wahre Sicherheit entsteht erst, wenn Menschenrechte respektiert und geachtet werden. Die Herausforderung für die Staaten besteht darin, die Sicherheit der Bürger nicht auf Kosten der Menschenrechte zu verbessern, sondern vielmehr sicherzustellen, dass alle Menschen in den Genuss des gesamten Spektrums ihrer elementaren Rechte gelangen. Bisher hat die Einschränkung der Menschenrechte im "Kampf gegen den Terror" nicht zu mehr Sicherheit geführt. Vielmehr hat ein Imageverlust der westlichen Länder stattgefunden, die bereitwillig Menschenrechte aufgeben bzw. deren Verletzung bei einigen Ländern kritisieren und bei anderen akzeptieren. Die Aushöhlung des absoluten Folterverbots ist dafür ein Beispiel.


Auszug aus dem Vortrag vom 13. September 2008


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Quelle:
IPPNWforum | 113 | 08, S. 22-23
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009