Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

MENSCHENRECHTE/216: Das Recht sich zu ernähren (frauensolidarität)


frauensolidarität - N r. 107, 1/09

Das Recht sich zu ernähren
Strategien zur Einforderung eines Menschenrechts auch für Frauen

Von Elisabeth Freudenschuß


Im Rahmen des Welternährungstages am 16. Oktober 2008 fanden sich in Wien VertreterInnen der Organisation FIAN(1) zusammen, um die Ergebnisse des Berichts "Right to Food and Nutrition"(2) vorzustellen. Drei Mitarbeiterinnen von FIAN aus Indien, Kenia und den Philippinen und Helga Neumayer von der Frauensolidarität diskutierten über die Arbeit von FIAN, über die Auswirkungen der Lebensmittelkrise auf die Lebenssituationen von Frauen sowie über Strategien, um diesen globalen Ungleichheiten entgegenzuwirken.


*


Jede Münze hat zwei Seiten. Die eine Seite der Münze: Das Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht, das im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verankert ist. Die andere Seite der Münze: 850 Millionen Menschen leiden weltweit unter Hunger. 20.000 Menschen sterben jeden Tag an den Folgen von Hunger und Unterernährung. Die meisten dieser Menschen leben in den so genannten Ländern des Südens. Vor allem Frauen in den Ländern des Südens sind die am meisten Betroffenen dieser globalen Ungleichheit im Zugang zu Nahrungsmitteln. Gleichzeitig sind es Frauen, die im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion den Großteil der Arbeit verrichten.

Die internationale Organisation FIAN versucht durch ihre Arbeit und ihr Engagement den Widerspruch, der sich aus der Betrachtung dieser Münze, die sich Welt, Lebensrealitäten oder globale Ungleichheiten nennt, zu bearbeiten. FIAN setzt beim Menschenrecht auf Ernährung an und fordert, dass das Recht auf Nahrung von den Regierungen geschützt und gewährleistet wird. Durch verschiedenste Kampagnen, durch Advocacy-Arbeit(3) und Lobbying auf internationaler und lokaler Ebene fordert FIAN die Einhaltung des rechtlichen Rahmens innerhalb und außerhalb der Staatsgrenzen und führt konkrete Interventionen im lokalen Bereich durch.


...does the world feed the women?

Die im landwirtschaftlichen Bereich tätigen Frauen produzieren den größten Anteil an Nahrungsmitteln. Trotzdem wird ihre Arbeit nicht anerkannt. Die Rolle der Frauen als Lebensmittelproduzentinnen wird durch strukturelle Ungleichheiten in den Schatten gedrängt. Ein geringer Zugang zu Lebensmitteln, mangelnde Rechte, fehlender Zugang zu Landbesitz und fehlende Erbrechte sind Kernelemente dieser Ungleichheiten. Es sind hauptsächlich Männer, denen der Zugang zu Ressourcen und Infrastruktur vorbehalten ist.

Frauen haben des Weiteren geringere Chancen in den Genuss einer Ausbildung zu kommen als Männer. Dies hat wiederum eine ungleiche Beteiligung an wirtschaftlichen und politischen Prozessen zur Folge. In einem sind sich Ujjaini Halim (FIAN-Indien), Abigail Booth (FIAN-Kenia) und Zenaida Pangilinan Pineda (FIAN-Philippinen) einig: Ein zentrales Problem besteht darin, dass Frauen sich ihrer Rechte nicht bewusst sind und daher auch keine Möglichkeiten haben diese Rechte einzufordern. Die Diskutantinnen betonten, dass es in Ländern des Südens aktive Frauenbewegungen gibt, die allerdings wenig sichtbar und in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Um für ihre Rechte einstehen zu können, braucht es eine Intervention an der Basis im Bereich des Empowerment von Frauen sowie eine Stärkung bestehender Frauenorganisationen.

Durch den Fokus auf Menschenrechte und durch die Arbeit mit Grassroot-Organisationen kommt FIAN dabei eine zentrale Rolle zu. FIAN stellt eine Schnittstelle zwischen der lokalen und der internationalen Ebene dar.

Auch wenn aktuelle Entwicklungen zeigen, dass schrittweise Veränderungen im Bereich des Landbesitzes passieren und Frauen mehr Möglichkeiten und Rechte besitzen ihr eigenes Land zu erwerben, führt dies nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Lebenssituation von Frauen.


Bildung, Aktivismus, politische Partizipation

Es muss nun also um die Frage gehen, welche Strategien zielführend sind, um das Recht auf Ernährung gewährleisten zu können. Das Zusammenspiel gesetzlicher Verankerungen von Rechten und aktivistischer Interventionen muss dabei im Zentrum stehen. Durch Bildungsarbeit soll ein bewusster Umgang mit einer gleichberechtigten Lebens- und Arbeitssituation von Frauen und Männern geschaffen werden. Abigail Booth meint, dass dieser gleichberechtigte Zugang zu Landbesitz sowohl für Männer als auch für Frauen von Vorteil ist. Dies zu vermitteln, so Booth, bedeutet jedoch einen intensiven und langwierigen Arbeitsprozess. Es geht hier also um die Verbindung der unterschiedlichen Strategien, die ineinandergreifend wirksam werden müssen.

Ein weiteres Beispiel, welches Ujjaini Halim gibt, um auf die Bedeutung der Verbindung von Aktivismus und gesetzlichen Veränderungen hinzuweisen, bezieht sich auf die politische Partizipation von Frauen. In Indien besteht eine gesetzliche Regelung, dass 30% der Sitze in parlamentarischen Strukturen für Frauen reserviert werden müssen. Diese Regelungen bestehen auf lokaler Ebene bis hin zum nationalen Parlament. Eine effektive Beteiligung von Frauen ist jedoch nicht zu erkennen. Oft stehen ihre Namen zwar offiziell in den Listen, ihre Position wird jedoch von männlichen Familienangehörigen ausgefüllt. Gesetzliche Bestimmungen alleine sind also nicht ausreichend. Männer und Frauen müssen sich, so Halim, in einer starken und bewussten Bewegung organisieren und von der Basis ihre Rechte einfordern.

FIAN versucht diese Verbindung über gezielte Kampagnen zu Agrarreformen, die, wie beispielsweise in Indien, auf lokaler und nationaler Ebene durchgeführt werden. Diese Kampagnen hängen mit einer weltweiten Kampagne zusammen, die seit 1999 eine Reform auf globaler Ebene fordert. Diese bewusste Verbindung von lokal und global bekräftigt die Forderungen von FIAN, dass sich Staaten der Auswirkungen ihrer Politiken über Staatsgrenzen hinweg bewusst werden. Darüber hinaus arbeitet FIAN mit internationalen Bewegungen wie La Via Campesina zusammen und beteiligt sich gleichzeitig am UN-Prozess zur Ernährungssicherung. FIAN verknüpft damit zivilgesellschaftliche Anstrengungen mit solchen auf politischer Ebene.


Gedämpft optimistische Aussichten

Die drei Mitglieder von FIAN stehen der aktuellen Situation beunruhigt, aber doch optimistisch gegenüber. Beunruhigt vor allem aufgrund des mangelnden Zugangs von Frauen zu Ressourcen und Infrastruktur sowie der aktuellen Problematik von Agrotreibstoffen. Hektarweise wird fruchtbares Land dazu verwendet, um Pflanzen und Lebensmittel anzubauen, aus deren Öl Treibstoff gewonnen wird. Bäuerinnen und Bauern werden von ihrem Land verdrängt, Preise für Nahrungsmittel steigen und Böden werden aufgrund des nicht nachhaltigen Monokulturanbaus stark beeinträchtigt. Dieses brisante Thema hat also wirtschaftliche, soziale und ökologische Auswirkungen. Ebenso zeigen sich negative Auswirkungen des Klimawandels in Hinblick auf sinkende Erträge.

Optimistisch sind Abigail Booth und Ujjaini Halim trotz der düsteren Situation, da sich auch Verbesserungen abzeichnen. Energie schöpft Halim vor allem aus der Vernetzung der unterschiedlichen Bewegungen, die gemeinsam für eine grundlegende Veränderung kämpfen. Es geht dabei nicht um das Streben nach einer erhöhten Nahrungsmittelproduktion, sondern um eine grundlegende strukturelle Veränderung: Eine Landreform soll den Zugang zu Nahrungsmitteln und zu Land sowie eine gerechte Verteilung sichern.

Es bedarf vieler Arbeit und einer veränderten Haltung der internationalen Gemeinschaft, um weiterhin optimistisch in die Zukunft sehen zu können. Es bedarf vor allem der Einsicht, dass Menschenrechte nicht ökonomischen Vorteilen weichen dürfen, sondern im Zentrum wirtschaftlicher und politischer Strategien und Vorgehensweisen stehen müssen.


*


Anmerkungen:

(1) FIAN - FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk:
www.fian.org (international), www.fian.at (Österreich).

(2) Der Bericht zur Nahrungsmittelkrise, herausgegeben von Brot für die weit, ICCO und FIAN, betrachtet das Vorgehen von Staaten hinsichtlich der Erfüllung des Rechts auf Nahrung.

(3) Advocacy = Anwaltschaft.


Zur Autorin:
Elisabeth Freudenschuß studiert Internationale Entwicklung mit Studienschwerpunkt Gender. Sie lebt in Wien.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 107, 1/2009, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-355
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Inland 20,- Euro; Ausland 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2009