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MENSCHENRECHTE/240: Die Zukunft des Wassers (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2011

Die Zukunft des Wassers
Vom Umgang mit dem wichtigsten Element unseres Lebens

Von Marleen Stoessel


Jährlich werden die Menschen an einem "Weltwassertag" zum Nachdenken über ihr wichtigstes Lebensgut aufgerufen. Die Wasserressourcen auf der Erde schwinden, wie die derzeitige Dürre und Hungerkatastrophe in Ostafrika zeigt. Der globale Klimawandel, aber auch Misswirtschaft und Umweltschäden sind die Ursache. Noch haben 1 Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 2,6 Milliarden verfügen über keine ausreichenden sanitären Anlagen.


Vor über einem Jahr, im Juli 2010 wurde Wasser von den Vereinten Nationen zu einem Menschenrecht erhoben, genauer: der Zugang zu sauberem Wasser. "Alle dreieinhalb Sekunden", so führte Boliviens UN-Botschafter Pablo Solón aus, "alle dreieinhalb Sekunden stirbt ein Kind, nur weil es kein sauberes Wasser hat". In Haiti wütete die Cholera, als Folge von verseuchtem Wasser; am Baikal-See, dem ältesten, tiefsten und größten Süßwasser-See der Erde, 1996 zum "Weltnaturerbe" ernannt, konnte eine Papier- und Zellstofffabrik wiedereröffnen, die erst 2008 wegen Umweltbedenken geschlossen worden war. Jahrzehntelang hatte sie ihre giftigen Abwässer teilweise ungefiltert in den See geleitet - nun darf das Unternehmen erneut wie früher arbeiten ... Aber auch hierzulande ist der Nitrat-Gehalt des Grundwassers infolge mangelnder Umwelthygiene noch vielfach zu hoch. Wie selbstverständlich indessen begleitet Wasser unseren Alltag: Wasser zum Zähneputzen, zur Kühlung, zum Kochen, zum Trinken. Es ist Natur- und zugleich Kulturgut, es ist der Ur- und Lebensstoff des Alls.

Am Anfang, so erzählt es die Bibel, schwebte der Geist Gottes über den Wassern. Auch wenn man nicht daran glaubt, ein wundervolles Bild. Wasser ist Quelle, Beginn, Schöpfung des Lebens, weshalb man heute auch auf Mond und Mars und selbst im Dunstkreis "schwarzer Löcher" nach ihm forscht. Greift man hinein, flieht es wie eine Nixe, man fühlt es zwar, kann es aber nicht fassen - außer dem feuchten Glanz auf der Haut hinterlässt es keine sichtbare Spur. Das Element, welches wesentlich für alles Leben ist, das zu 71% unseren Planeten, den blauen Planeten, durchfließt und zu knapp zwei Dritteln den Körper eines erwachsenen Menschen - dieses Element, das selbst Steine erweicht und besiegt, entzieht sich aller Greifbarkeit. Und kann zugleich doch, anders als der Wind, transportiert, gestaut und gewichtet werden. Entsprechend nüchtern beschreibt es die Wissenschaft: Am Anfang war nicht der Geist oder das Wort: logos, sondern ein Wasserstoffatom, woraus im Verlauf von Milliarden von Jahren, dank des Heliums als Mittler, das Wassermolekül bildete: als Verbindung zweier Wasserstoffatome mit einem Sauerstoffatom: H2O.

Keiner, der nicht je in Berührung käme mit diesem Element unseres Daseins. Wasser löscht den Durst und das Feuer, es löscht wie Lethe die Erinnerung - und vergisst doch nichts. Vergisst nicht die Gesteinsschichten, die es durchfließt und als Spuren von Metallen, Mineralien und Kalken mit sich schwemmt, vergisst nicht die Schäden, die man ihm zufügt, so wenig wie die heilsamen Substanzen. Als Spiegel, glatt oder launisch gewellt, nimmt es alle Farben seiner Umgebung an. Narziss spiegelte sich, liebestrunken von seinem eigenen Bild, in ihm, stürzte sich voller Sehnsucht hinein, konnte nicht schwimmen - und begründete neben Ödipus den zweiten Hauptstrang moderner Psychologie. Oder auch: die zweite Hauptkränkung der menschlichen Seele, Narzissmus genannt. Denn Wasser, das Symbol für Leben schlechthin, bringt auch den Tod.

"Lebendiges Wasser" wiederum nennt es bei Johannes und Jeremias die Bibel, als "heilignüchtern" hat es Hölderlin apostrophiert. So wird es verherrlicht als "Quelle ewigen Lebens", als Jungbrunnen, erfreut uns ungetrübt noch als Wässerchen, und ein Arzt namens Sebastian Kneipp hat mit ihm eine der erfolgreichsten Heilkuren entwickelt. Goethe und Schubert haben es besungen, Maler aus ihm das Aquarell erzeugt und mit dieser kunstvollen "Technik" eben jene Wirkung, das bewegte Wechselspiel von Licht und Farbe geschaffen, die Wasser natürlicherweise hervorbringt. Die australischen, die Wüste durchstreifenden Aborigines bewahren in ihren Liedern wie auf einer tönenden Landkarte die Orte auf, an denen sie das kostbare Lebenselixier finden, ja förmlich ersingen können. Kamele speichern es in ihren Eingeweiden, Wünschelrutengänger ertasten seine unterirdischen Adern. Wo Wüste ist, wird sein Vorkommen zur nährenden Oase für Mensch und Tier, wo es überfließt und mit seinen Fluten überschwemmt, wirkt es als Zerstörung und unzähmbare Gewalt - nicht nur in Mythen und Legenden von der Sintflut bis Atlantis, sondern in seiner ganzen Geschichte von Anbeginn bis heute: todbringend und lebenspendend zugleich. Weshalb der griechische Philosoph Heraklit an seinem ewigen Wandel die Befindlichkeit des Menschen ablas und "Sein" als das ewig Wechselnde, Fließende bestimmte: Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss. Panta rhei. Alles fließt.


Ein gemeinschaftliches Gut

Mehr als in jedem anderen Lebensstoff spiegelt sich in der Geschichte des Wassers die Geschichte von Zivilisation und Kultur. Noch heute überbrücken steinerne Aquädukte aus römischer Zeit auch deutsche Täler und Klüfte, schon im frühen Altertum gab es Entwässerungssysteme, doch erst im 19. Jahrhundert entstanden mit der Industrialisierung WC sowie die Techniken moderner Wasserversorgung und Kanalisation. Aber erst heute beginnen wir wieder über dieses wertvolle Gut, das manche als Ware, andere als Naturgeschenk ansehen möchten, nachzudenken - jetzt, wo seine Ressourcen auf der Erde bedroht sind. Mehr als eine Naturgabe aber ist Wasser ein Kulturgut, in dem sich der Entwicklungsstand unserer weltweiten Solidargemeinschaft spiegelt. Denn Wasser ist ein gemeinschaftliches Gut, dessen Aufbereitung zum Trinkwasser und dessen Verteilung, aber auch dessen Entsorgung eine große soziale respektive politische Verantwortung auferlegen. Sein Schutz, wie der von Natur und Umwelt überhaupt, ist Teil, wenn man so will, jenes Menschenrechts, dem er zugleich dient. Anders ausgedrückt: auch die Natur, wie alles Leben, ob Tier, Wasser oder Mensch, haben Anspruch auf dieses Grundrecht von Schutz, Bewahrung und "Würde".

Von den riesigen Wasservorkommen auf der Erde fallen 97% auf das Salzwasser der Meere, 2% liefern Polareis und Gletscher, und nur 1% ist Süßwasser, das wir zum Trinken benötigen. Wasser, ob als Nutz- oder Trinkwasser, muss also aufbereitet, entsalzt und geklärt werden. Gletscher und Polareis aber schmelzen infolge der Klimaerwärmung mit zunehmender Geschwindigkeit. Dies stört den Kreislauf, den das Wasser beschreibt: von seiner Verdunstung aufwärts über die Niederschläge wieder hinab bis zum Rückfluss in Meere, Flüsse und Grundwasser. Die Folgen sind: Überschwemmungen, Einbrüche und Erosionen auf der einen Seite; Trockenheit, ausgelaugte, zwecks Viehfutter kaputt gerodete Böden und zerstörte Bioreservate auf der anderen Seite. Für die Produktion von Fleisch wird im Unterschied zu Getreide die 5-fache Menge an Wasser verbraucht. Es wird auch "virtuelles" Wasser genannt, da es zu Anbau, Herstellung und nicht zuletzt für den Transport gebraucht wird, ob Fleisch, ob Soja oder Tomaten. Der durchschnittliche Tagesverbrauch von Wasser für einen erwachsenen Menschen beträgt rund 125 Liter. Ein kleines Frühstück mit Ei enthält dagegen etwa 365 Liter virtuelles Wasser. Nicht zuletzt auch wegen des maßlosen Verbrauchs dieses nicht mehr sichtbaren Wassers werden die realen Ressourcen so bedrohlich knapp.


Menschenrecht Wasser

"Wasser", so heißt es in der Europäischen Wasserrichtlinie, "ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss." Dieses ererbte naturgegebene Kulturgut hat indessen seinen Preis. Gott habe vielleicht das Wasser gemacht, aber nicht die Leitungen! So konstatiert der französische Ökonom und Schriftsteller Erik Orsenna in seiner 2010 erschienenen Reportage "Die Zukunft des Wassers". Ein schwieriger Spagat: Wasser ist nicht gratis da und darf zugleich auch nicht zu einer Ware werden, deren profitträchtige Vermarktung die skrupellose Ausbeutung der Ressourcen bedeutet, gar sie legitimiert. Den europäischen Verträgen zufolge soll bis 2015 für Grundwasser und oberirdische Gewässer ein, wie es heißt: "guter ökologischer chemischer Zustand" erreicht sein. Zum selben Zeitpunkt sollen auch die seinerzeit von 189 Ländern proklamierten Millenniumsziele umgesetzt werden, das heißt: Bis dahin soll die Zahl der Menschen ohne Zugang zu Trinkwasser und sanitären Anlagen halbiert sein.

Derweil aber schmelzen die Gletscher weiter, brechen neue Tsunamis aus, werden weitere Biotope für falsche Ernährung für falsche Zwecke an falschem Ort austrocknen, wird nicht nur am Baikalsee weiterhin die Umwelt versaut, werden weiter viele dehydrierte Kinder sterben. Wir alle müssen endlich begreifen: Wasser ist ein gemeinschaftliches Gut, das geteilt und gerecht verteilt werden muss - ein Kulturgut, an dessen Wertschätzung sich der humane Fortschritt der menschlichen Gesellschaft bemisst. Und er wird sich zugleich daran bemessen, wie weit der Mensch bereit ist, die Rechte von Umwelt, Tieren und Natur, deren Teil er selber ist, so anzuerkennen wie jene, die er für sich selbst proklamiert.

Jeder hat ein Recht auf sauberes Wasser. Ein Menschenrecht. Bis dieses aber eingelöst ist für alle - wie viel an Leiden, Leidenschaften wird Wasser täglich noch mit sich fortschwemmen, löschen, verzeihen, erinnern? Wie viel von seiner Kraft uns noch spenden? Von jener Kraft, deren Weisheit sich in Brechts Versen über Laotse spiegelt: "Daß das weiche Wasser in Bewegung / Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt. / Du verstehst, das Harte unterliegt." Du verstehst? Nur so könnte Wasser statt neuer Kriege auch Frieden stiften. Mit sanfter Gewalt - wie einst Gandhi, der fast lebenslang nur Wasser trank. Nicht Öl, sondern Wasser wird das Gold der Zukunft sein.


Marleen Stoessel lebt als freie Autorin, Essayistin und Kulturpublizistin in Berlin. Letzte Buchveröffentlichung: Lob des Lachens. Eine Schelmengeschichte des Humors (Insel Verlag, 2008).


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2011, S. 63-66
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Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2011