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MENSCHENRECHTE/259: El Salvador - Dossier aus dem 'schmutzigen Krieg' beweist Menschenrechtsverbrechen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juni 2013

El Salvador: Opferdossier aus dem 'schmutzigen Krieg' beweist Menschenrechtsverbrechen

von Edgardo Ayala


Bild: © Edgardo Ayala/IPS

Cunegunda Peña mit dem Foto ihres 1977 verschwundenen Sohnes Manuel Martínez Peña
Bild: © Edgardo Ayala/IPS

San Salvador, 24. Juni (IPS) - In El Salvador hat die Armee akribisch Buch über fast 2.000 linke Aktivisten geführt, die sie im Verlauf des Bürgerkrieges von 1980 bis 1992 festgenommen, gefoltert und meist ermordet hat. Das vor drei Jahren in einem Keller gefundene Dossier ist das erste militärische Beweismittel für die unmittelbare Beteiligung der Sicherheitskräfte am Verschwindenlassen politischer Gegner und anderer Menschenrechtsverbrechen.

Wie Aktivisten gegenüber IPS erklärten, bestätigt das sogenannte 'Gelbe Buch' auch das damalige Zusammenspiel von Armee und paramilitärischen Todesschwadronen. Viele der in dem Dokument geführten Personen waren zuvor von den ultrarechten Gruppen verschleppt worden.

Insgesamt enthält das Gelbe Buch die Namen und Fotos von 1.975 "terroristischen Delinquenten". Offenbar wurde die Liste von der militärischen Führung angelegt: denn auf allen 270 Seiten erscheint die Abkürzung des Gemeinsamen Generalstabs der Streitkräfte (EMCFA).

"Das Buch zeigt, das wir mit unseren Vorwürfen recht hatten, dass Polizei und Armee hinter den Fällen von Verschwindenlassen steckten und ähnlich wie die Todesschwadronen operierten", sagte die Vorsitzende des Komitees der Angehörigen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen (Codefam), Guadalupe Mejía. "Bevor sie ihre Gefangenen ermordeten, fotografierten sie sie."

Das Dokument war vor drei Jahren in einem Versteck im Rahmen eines Umzugs in einem Haus der Hauptstadt San Salvador entdeckt worden. Die mexikanische Tageszeitung 'La Jornada' und IPS sind im Besitz einer Kopie.


Verdacht bestätigt

Nach Aussagen von Carlos Santos, Vorsitzender der Salvadorianischen Vereinigung der Überlebenden von Folter (ASST), tauchen rund 250 Personen, die von der Wahrheitskommission der Vereinten Nationen als Verschwundene registriert wurden, in dem Gelben Buch auf. "Wir wussten längst, dass die Armee hinter den Verbrechen stand, doch konnten wir das lange nicht beweisen", betont Santos.

Zeugenaussagen und verschiedene Dokumente hatten einen solchen Zusammenhang bereits in den 80er Jahren hergestellt. Doch ein offizielles Militärdokument lag damals noch nicht vor.

Der "vertrauliche" Bericht vom Juli 1987 enthält vorwiegend Namen von Personen, die in den 20 Jahren zuvor festgenommen worden waren. Deshalb gehen Menschenrechtsaktivisten davon aus, dass die Liste 1987 zuletzt aktualisiert wurde.

El Salvador war damals Schauplatz eines blutigen Bürgerkriegs, der nach zwölf Jahren durch ein Abkommen zwischen der damaligen Rebellenorganisation Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí und der Regierung des rechtsgerichteten Präsidenten Alfredo Cristiani beendet wurde.

Schätzungen zufolge starben in dem 'schmutzigen Krieg' 75.000 Menschen. 8.000 'verschwanden'. In vielen Fällen fielen sie den gefürchteten Todesschwadronen zum Opfer, die das Vordringen der Guerilla mit Morden, Entführungen und Folter aufhalten wollten.

Viele Fotos in dem Dossier waren offensichtlich in Militärkasernen oder Polizeistationen aufgenommen worden. Sie zeigen angstvoll in die Kamera blickende Menschen vor einer Mauer. Einige der Opfer waren offensichtlich zuvor misshandelt worden. Andere Bilder stammen aus Einwohnermeldeämtern. Dass andere Bilder offenbar mit Teleobjektiven geschossen worden waren, legt nahe, dass man die Betroffenen vor ihrer Festnahme überwacht hatte.


"Terroristen"-Hatz

Der Militärbericht beinhaltet die Namen und Fotos von FMLN-Anführern, linken Intellektuellen, Bauern, Gewerkschaftsführern und anderen Sozialaktivisten jener Zeit, die von der früheren Regierung als "Terroristen" verfolgt wurden.

Wie der Leiter der unabhängigen Salvadorianischen Menschenrechtskommission, Miguel Montenegro, erklärt, zog man es damals vor, die Opfer zu beseitigen und deren Leichen verschwinden zu lassen. "Insofern ist das Gelbe Buch ein Beweis für die summarischen Hinrichtungen der Armee, die wie Todesschwadronen operierten", meinte auch Carlos Santos.

In dem Dossier erscheint unter anderem der Name von Abel Enrique Orellana, den auch Codefam auf seiner Liste der Verschwundenen führt, Der Medizinstudent war am 18. August 1981 im Alter von 25 Jahren von Einheiten der Nationalgarde festgenommen worden. Orellana ist einer von vielen Verschwundenen, die sowohl auf der Codefam-Vermisstenliste als auch in dem Gelben Buch erscheinen.

Einige der aufgelisteten Gefangenen haben überlebt. Die inzwischen 77-jährige Cunegunda Peña war am 9. März 1977 von Mitgliedern der Nationalgarde und Nationalpolizei abgeführt worden. Beide Einheiten und die Finanzpolizei wurden nach dem Ende Bürgerkriegs aufgelöst.

"Da deine Kinder nicht da sind, wirst du mitkommen", erinnert sich Peña, deren Söhne den Volksbefreiungskräften angehörten, einem der fünf Guerillaverbände der FMLN, die nach dem Bürgerkrieg in eine legale Partei umgewandelt wurde und die Regierung von Staatspräsident Mauricio Funes stellt.

Im Hauptquartier der Nationalpolizei wurde die Mutter abgelichtet und nach sechs Monaten Haft freigelassen. Sie berichtet von furchtbaren Schreien, die sie in ihrer Zelle gehört hatte. Ihr Sohn Manuel Martínez Peña ist seit 1980 verschollen. Sie nimmt an, dass er am Ende den Sicherheitskräften doch noch ins Netz gegangen ist.

Die Amnestie von 1993 verbietet zwar in El Salvador die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen während des zwölfjährigen Bürgerkriegs. Doch gibt es einige wenige Präzedenzfälle, in denen verantwortliche Militärchefs im Ausland verurteilt worden sind.

2002 wurden die beiden Generäle im Ruhestand, Eugenio Vides Casanova und José Guillermo García, beides Verteidigungsminister in den 1980er Jahren, von einem US-Tribunal wegen Folter durch ihnen unterstehende Militäreinheiten gegen drei Salvadorianer zu Geldstrafen in Höhe von insgesamt 54,6 Millionen Dollar verurteilt. (Ende/IPS/kbs2013)


Links:

http://www.codefam.com/
http://cdhes.org.sv/
http://www.ipsnews.net/2013/06/salvadoran-military-list-of-victims-a-smoking-gun/
http://www.ipsnoticias.net/2013/06/fotos-de-victimas-de-guerra-revelan-represion-ilegal-salvadorena/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2013