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MILITÄR/891: Abgereichertes Uran - Die Waffe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt (StWC)


Stop the War Coalition, VK - 24.03.2011

Abgereichertes Uran: Die Waffe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt

Von David Wilson

"Für Raketen mit DU-Sprengkopf trifft die Beschreibung 'schmutzige Bombe' in jeder Hinsicht zu ... Ich würde sagen, es ist die perfekte Waffe dafür, sehr viele Menschen zu töten." - Marion Falk, Expertin für chemische Physik (i.R.) am Lawrence Livermore Lab, Kalifornien, USA


Bis zum heutigen Tag hat der tödliche DU-Staub bereits eine furchtbare Reise zurückgelegt: vom Irak (im ersten Golfkrieg 1990/91) über den Balkan (mit dem NATO-Angriff auf Serbien 1999) nach Afghanistan (2001-...) und wieder zurück in den Irak (2003-...). Jetzt gibt es den Angriff auf Libyen, und ich werfe die Frage auf, ob abgereichertes Uran in diesem jüngsten 'Krieg' von neuem zum Einsatz kommt, ob dieser 'atomare Müll mit Flügeln' seine Reise fortsetzt und den kurz- und den langfristigen Tod mit sich bringt. Die einzigen Menschen, die Antwort auf diese Frage geben können, sind das Verteidigungsministerium im Vereinigten Königreich und/oder das Verteidigungsministerium in den USA. Es wäre eine gute Idee, sie ganz direkt oder über Ihre/n Abgeordnete/n, Senator/in oder Vertreter/in im Kongreß zu fragen. Wenn mein Artikel diesen Prozeß unterstützt, dann habe weder ich meine Zeit verschwendet, noch werden Sie die Ihre verschwendet haben, wenn Sie Ihre Fragen an jene richten, die in der Lage sind, darauf zu antworten.


In den ersten 24 Stunden des Angriffs auf Libyen warfen die B2-Kampfjets der USA 45 2000-Pfund-Bomben ab. Wir wissen nicht, ob diese schweren Bomben sowie die Marschflugkörper, die von britischen und französischen Flugzeugen und Schiffen abgefeuert wurden, mit DU-Sprengköpfen bestückt waren [1]. Aber wenn frühere Beweise, daß sie vom US- und vom britischen Militär eingesetzt wurden, hier irgendeine Orientierung bieten können, könnten sie sehr wohl ein Teil der Bombenangriffe sein, die Libyen jetzt erlebt.

DU ist ein Abfallprodukt, das bei der Anreicherung von Uranerz anfällt. Es wird für Atomwaffen und -reaktoren genutzt. Da es sich um ein sehr schweres Material handelt - 1,7 mal dichter als Blei - wird es vom Militär aufgrund seiner Fähigkeit geschätzt, gepanzerte Fahrzeuge und Gebäude zu durchschlagen. Trifft ein Geschoß mit DU-Sprengkopf auf ein festes Objekt wie die Seitenwand eines Panzers, schlägt es glatt durch und explodiert dann zu einer brennenden Gaswolke. Das Gas fällt als Staub zu Boden, der nicht nur giftig, sondern auch radioaktiv ist.

Eine aufschlagende DU-Rakete verbrennt mit 10.000 °C. Wenn sie auf das Ziel auftrifft, zerfallen 30 Prozent in Schrapnellsplitter. Die restlichen 70 Prozent gehen in gasförmigen Zustand zu drei hochgiftigen Oxyden, unter anderem zu Uranoxyd, über. Dieser schwarze Staub schwebt weiter in der Luft und kann je nach Wind- und Wetterbedingung weite Strecken zurücklegen. Wenn man meint, der Irak und Libyen lägen weit entfernt, sollte man sich daran erinnern, daß die Tschernobyl-Strahlung Wales erreichte.

Partikel mit einem Durchmesser unter 5 Mikrometern werden leicht eingeatmet und können jahrelang in der Lunge oder in anderen Organen lagern. In den Körper aufgenommenes DU kann Nierenschäden, Lungen- und Knochenkrebs, Hautkrankheiten, neurokognitive Störungen, Chromosomschäden, Immunschwäche sowie seltene Nieren- und Darmkrankheiten verursachen. Schwangere Frauen, die mit DU in Kontakt gekommen sind, können genetisch geschädigte Kinder zur Welt bringen. Wenn der Staub erst einmal in gasförmigen Zustand übergegangen ist, sollte man nicht davon ausgehen, daß das Problem damit schnell verschwindet. Als Alphastrahler hat das DU eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren.

Während des "Shock and Awe"-Angriffs [2] auf den Irak wurden über 1.500 Bomben und Raketen allein auf Bagdad abgeworfen. Seymour Hersh berichtet, daß allein die 'Third Marine Aircraft Wing'-Einheit der USA [3] mehr als "500.000 Tonnen Geschosse" abfeuerte. Alle besaßen DU-Köpfe.

Al Jazeera berichtete, die einrückenden US-Streitkräfte hätten 200 Tonnen radioaktives Material auf Gebäude, Wohnhäuser, Straßen und Gärten Bagdads abgefeuert. Ein Reporter des Christian Science Monitor nahm einen Geigerzähler in einige der Stadtteile mit, die unter besonders schwerem Beschuß durch die US-Truppen gestanden hatten. Er fand Strahlenbelastungen, die 1.000 bis 1.900 mal so hoch waren wie die für Wohngegenden normalen Werte. Gemessen an der Bevölkerungszahl von 26 Millionen wurde auf 52 Iraker eine Bombe mit 1-Tonnengewicht abgeworfen oder 40 Pfund Munition auf jeden Menschen.

In den ersten 24 Stunden ihres Angriffs haben die USA und ihre Alliierten Geschosse im Wert von 100 Millionen britischer Pfund [4] gegen Libyen zum Einsatz gebracht. Zweifelsohne zerstörte ein Großteil davon Rüstungsgüter und militärische Einrichtungen, die von genau denselben Ländern an Libyen verkauft worden waren, die jetzt die Bombenangriffe führen. Der Waffenkontrollbericht der Europäischen Union besagt, daß die Mitgliedstaaten im Jahr 2009 Genehmigungen für den Verkauf von Waffen und Waffensystemen an Libyen im Wert von 232,2 Millionen britischen Pfund erteilt haben. Britannien hat Rüstungsunternehmen Genehmigungen für den Verkauf von Waffen an Libyen im Wert von 21,7 Millionen britischen Pfund erteilt und wurde von Oberst Gaddafi auch dafür bezahlt, die SAS zur Ausbildung seiner 32. Brigade zu schicken.

Im Irak geht man weitgehend davon aus (wenn auch nicht in der Regierung oder beim Militär), daß ein ausgiebiger Gebrauch radioaktiver Waffen wie solchen mit abgereichertem Uran stattgefunden hat. Das zeigt sich höchst deutlich durch die dramatische Zunahme von Kindern, die mit genetischen Schäden auf die Welt kommen, und von Menschen, die an Krebs und anderen Leiden erkranken. Wir können nur hoffen, daß das Schweigen, in das sich alle Regierungen in Bezug auf diese Frage hüllen, bedeutet, daß DU-Waffen nicht zum Einsatz gekommen sind.

Tragisch daran ist, daß wir es erst Jahre nach dem Ende der Bombenangriffe wissen werden, wie jetzt die Menschen in Falludscha, im Irak, die gerade dabei sind, es aufgrund der schrecklichen Folgen der Waffen mit abgereichertem Uran und weißem Phosphor, die von den USA gegen die Stadt im Jahr 2004 eingesetzt wurden, zu entdecken.(1)


Eine Anmerkung überQuellen:

Militär und Politiker sind sehr zurückhaltend, wenn es um den Einsatz von abgereichertem Uran geht, aber wir wissen, daß DU in den folgenden Waffensystemen zum Einsatz gekommen ist oder kommt. Die Liste ist nicht vollständig:

M919 25mm-Munition des 'Bradley Fighting Vehicle 141' [US-Panzergattung]
PGU-14 30mm-Munition der 'A-10 Thunderbolt II' [US-Kampfjet für die Luft-Nah-Unterstützung von Bodentruppen]
M900 105mm-Panzergeschosse, verwendet von der US-Armee und dem -Marineinfanteriekorps
M829A1/M829A2 120mm-Munition, mit der die M1 Abrams-Kampfpanzer bestückt sind [US-Kampfpanzergattung]
Tomahawk Cruise Missiles [US-Marschflugkörpergattung]
GBU-28 'Bunker Buster' [lasergeleitete, schwere, freifallende bunkerbrechende Bombe]
CHARM 3 APFSDS L27-Munition, in Gebrauch bei der britischen Armee
5000 Pfund BLU-122/B A/B Sprengkopf [für harte und tief im Boden liegende Ziele]
4700 Pfund BLU-113 A/B Sprengkopf [für harte und tief im Boden liegende Ziele] Quelle... (2)

Der einzige Hinweis auf eine Abkehr vom DU-Einsatz bezieht sich auf die MK149 20mm-Munition, die früher vom Seezielflugkörperabwehrsystem Phalanx der US-Marine verwendet wurde, die man durch eine Version mit Tungsten-Sprengkopf [5] ohne abgereichertes Uran ersetzt hat.

Die Verteidigungsministerien des Vereinigten Königreichs und der USA nehmen sich in Acht, auf welche Weise sie auf DU Bezug nehmen und ziehen es vor, keine Fragen über seine Verwendung zu beantworten. Aber durch die 'offiziellen' Dokumente, die wir durchsehen konnten, ist klar, daß DU aufgrund seiner hervorragenden Durchschlagskraft empfohlen wird, und wir müssen davon ausgehem, daß das, was als von hohem militärischen Wert angesehen wird, insbesondere dann zum Einsatz kommt, wenn die politischen Sprecher für das Militär sich eifrig bemühen zu bestreiten, daß DU schädliche Auswirkungen auf Menschen hat.

Wenn es harmlos und effektiv ist, warum soll man es nicht benutzen? So erklärte der Verteidigungsminister des Vereinigten Königreichs, Liam Fox, in seinem Briefwechsel mit Bill Wilson, einem Mitglied des Schottischen Parlaments, im Februar 2011:

"Das Vereinigte Königreich unterstützt Resolutionen nicht, die von vornherein davon ausgehen, daß DU schädlich ist... Es bleibt die Politik der Regierung, daß DU in Waffen Verwendung finden darf; es ist unter den aktuellen oder anzunehmenden künftigen internationalen Abkommen nicht verboten. Die Streitkräfte des Vereinigten Königreichs setzen DU-Munition in Übereinstimmung mit internationalem humanitären Recht ein. Es wäre sehr falsch, unseren Soldaten im aktiven Dienst eine rechtlich zulässige Möglichkeit vorzuenthalten."

Liam Fox wiederholt die Auffassungen früherer Verteidigungsminister des Vereinigten Königreichs. Dies ist ein Auszug aus einem Brief des seinerzeitigen Verteidigungsministers, Des Brown, an Tony Benn mit Datum vom 21. April 2008:

"Abschließend bleiben wir bei unserer Ansicht, daß die DU-Nutzung in Waffen rechtlich zulässig ist und daß es sehr falsch von der Regierung des Vereinigten Königreichs wäre, unseren Truppen eine legale Möglichkeit vorzuenthalten, die ihnen in bewaffneten Auseinandersetzungen den besten Schutz gewährleistet."

Meiner Ansicht nach müssen wir davon ausgehen, daß DU bei den oben aufgelisteten Waffensystemen weiter in Gebrauch bleibt und daß die Liste wahrscheinlich nicht vollständig ist. Da man uns erzählt, wenn man uns überhaupt irgendetwas erzählt, daß DU nicht gefährlich ist und ein wirksames Instrument für die Kriegführung, warum sollten sie es nicht weiterhin verwenden? Solange das die offizielle Meinung von Militär und Politikern ist, müssen wir davon ausgehen und sie zwingen zu belegen, daß wir im Unrecht sind und DU nicht länger zum Einsatz kommt.

Ich würde sehr gern eines besseren belehrt werden, und ungleich lieber noch wäre das den Menschen, die unter Bombardement stehen. Militär sowie Politiker geben uns allen Grund, vom schlimmsten auszugehen.

Anmerkung:

Wenn man offizielle Dokumente über Waffen sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich prüft, findet man wenig Hinweise auf die DU-Nutzung. Man zieht es vor, von "Verbesserungen" und "Modifikationen des Designs" zur Erhöhung der "Durchschlagsleistung" zu sprechen, wie hier:

"Die Luftwaffe verbessert ihre Fähigkeit, gehärtete und/oder tief im Boden befindliche Ziele unter widrigen Umweltbedingungen anzugreifen. Die Leistung der aktuellen 4.700-Pfund BLU-113, die in der GPS/lasergeleiteten Bombe GBU-28 Verwendung findet, wurde durch die Konstruktionsmodifikation des BLU-122-Sprengkopfes, die seine Durchschlagsleistung, Letalität und Überlebensfähigkeit verbessert, deutlich erhöht. Diese Modifikation wird die Zahl der tief im Boden befindlichen Ziele erhöhen, die bedroht werden können. Darüber hinaus werden einige der zu bedrohenden Ziele weniger Waffen erfordern und auf diese Weise die Zahl der Missionen reduzieren, die erforderlich sind, um ein Ziel zu vernichten."

Wie auch immer, der in Washington ansässige Thinktank Global Security stellt eine einzigartige Geschichte der militärischen Nutzung von abgereichertem Uran zur Verfügung.(3)


(1) http://stopwar.org.uk/content/view/2216/27/
(2) http://www.risq.org/modules/Upload/banking.pdf
(3) http://www.globalsecurity.org/military/systems/munitions/du-history.htm


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick:

[1] DU: depleted uranium = abgereichertes Uran

[2] "Shock and Awe": US-Militärstrategie (massive Hi-Tech-Luftangriffe), die den Gegner weniger direkt militärisch als psychologisch schwächen soll - Schock(starre) und Einschüchterung

[3] eine US-Marineinfanterieeinheit

[4] 1 brit. Pfund entspricht etwa 1,13 Euro

[5] sogenannte 'Tungsten'-Legierung: kinetisches bzw. 'Wuchtgeschoß' aus Hartmetall einer speziellen Legierung


Von Stop the War Coalition veröffentlichtes englisches Original des Artikels einsehbar unter:
http://stopwar.org.uk/content/view/2321/27/


*


Quelle:
Stop the War Coalition, VK - 24.03.2011
Depleted Uranium: The weapons that dare not speak their name
(in der Autorenfassung)
231 Vauxhall Bridge Road, London SW1 1EH
Tel.: +44 171 / 020 7801 2768
Email: office@stopwar.org.uk
Internet: www.stopwar.org.uk
mit freundlicher Genehmigung des Autors Paul Wilson
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2011