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REDE/783: Ilse Aigner im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Kanzlerin, 10.11.09 (BPA)


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Rede der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 10. November 2009 in Berlin


Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Warum das Präsidium die Aussprache über den Themenbereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz an den Schluss dieses Plenartages gesetzt hat, weiß ich nicht. Ich kann nur mutmaßen: vielleicht ja deshalb, weil das Beste immer zum Schluss kommt.

Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sind zentrale Handlungsfelder der Zukunft. Energieversorgung und Klimaschutz sowie eine nachhaltige Lebensqualität für die Menschen in unserem Land ziehen sich wie ein roter Faden durch die Koalitionsvereinbarungen. Sie sind auch ganz entscheidend für mein Haus und die Arbeit meines Hauses. Die Koalition hat dafür die Weichen richtig gestellt.

In diesen Tagen erinnern wir uns an den Mauerfall vor 20 Jahren. In zwei Dekaden kann politisch viel geschehen, denn die Lebenswelten der Menschen ändern sich, und das erfordert Anpassungsbedarf. Ich möchte das am Beispiel des Verbraucherschutzes darstellen. Vor 20 Jahren hatte jeder denselben Telefonanbieter, und kaum einer nutzte intensiv das Internet. Inzwischen ist das Waren- und Dienstleistungsangebot immer breiter geworden. Meines Erachtens ist es ein Ausdruck von Freiheit, eine solche Auswahl zu haben. Es ist auch ein Ergebnis der sozialen Marktwirtschaft. Dafür steht die Bundesregierung. Das breite Angebot bringt aber mit sich, dass man sich in der Vielfalt der Warenwelt zurechtfinden muss, dass man Lockangebote durchschauen und Warnsignale frühzeitig erkennen muss. Für uns steht ein freier, selbstständiger und kompetenter Verbraucher im Mittelpunkt. Wir informieren, begleiten und unterstützen. Wir schützen vor Gefahren und stärken seine Rechte. Aber wir wollen nicht bevormunden. Das gilt für den rechtlichen, den wirtschaftlichen und auch den gesundheitlichen Verbraucherschutz. Wir haben hier in der letzten Legislaturperiode viel erreicht. Ich nenne beispielhaft nur die Kennzeichnung von Allergenen in Lebensmitteln, den Kampf gegen unlautere Telefonwerbung und die Stärkung der Fahrgastrechte.

Aber wir haben auch noch vieles vor uns. Wir werden das Verbraucherinformationsgesetz weiterentwickeln. Die Regelungen sollen sich stärker an den Belangen der Verbraucher orientieren, und sie müssen insgesamt transparenter werden. Ob Kosten oder Bearbeitungszeit, einiges muss auf den Prüfstand gestellt - das werden wir tun - und gegebenenfalls überholt werden.

Wahrheit und Klarheit, das ist auch unser Motto bei der Lebensmittelkennzeichnung. Es muss drin sein, was draufsteht oder abgebildet ist. Wenn Kirschen abgebildet sind, dürfen nicht nur Aromen enthalten sein. Das wollen wir erreichen. Entscheidungsfreiheit durch Information ist dabei unsere Leitlinie. Werbeverbote und Strafsteuern für vermeintlich ungesunde Lebensmittel wollen wir allerdings nicht.

Sichere Lebensmittel haben für uns höchste Priorität. Wir wollen, dass schwarze Schafe öffentlich gemacht werden. Das dient dem Schutz der Redlichen und hilft dem Ruf der gesamten Branche.

Wahrheit und Klarheit sind auch die Währung für das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Bereich der Finanzdienstleistungen. Im Sommer haben wir bereits einen Vorschlag für ein einheitliches Produktinformationsblatt vorgestellt, das Verbraucher schnell und effektiv über Anlageformen informiert. Ich begrüße es sehr, dass nun auch die EU den Weg einer einheitlichen Produktinformation gehen will. Auch wir werden nicht stehen bleiben. Wir werden zeitnah ein umfassendes Paket mit konkreten Umsetzungsvorschlägen vorlegen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Planungssicherheit und Perspektiven sind die Grundpfeiler für die Agrarwirtschaft in unserem Land. Bei uns hat der Agrarstandort Deutschland eine Zukunft und meines Erachtens eine gute Zukunft. In früheren Zeiten hatte die Landwirtschaft die alleinige Aufgabe, die Menschen mit Nahrung zu versorgen. Starke und starre Marktordnungen und Stützungssysteme waren noch vor 20 Jahren Ausweis einer erfolgreichen Agrarpolitik. Die gesellschaftlichen Ansprüche an die Landwirtschaft haben sich aber weiterentwickelt. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft steht für Lebensqualität in Deutschland. Sie sorgt für sichere und hochwertige Lebensmittel, liefert einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung mit erneuerbaren Energien und stärkt die ländlichen Räume. Das alles ist allerdings nicht zum Nulltarif zu haben.

Eine flächendeckende Landbewirtschaftung durch bäuerliche und unternehmerische Betriebsformen ist weiterhin unser Ziel. Das bedeutet aber Verantwortung gegenüber benachteiligten Regionen. Das bedingt auch zielgerichtete Unterstützungen. Unser auf zwei Jahre angelegtes Sonderprogramm bietet flankierende Maßnahmen, um der schwierigen Situation im Milchbereich Rechnung zu tragen und auch um wertvolle Naturräume zu erhalten, die ansonsten unwiderruflich verloren gehen würden. Das hat viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Nachhaltigkeit ist die Ökonomie des 21. Jahrhunderts. Das ist bei der Agrarwirtschaft längst angekommen.

Wir müssen aber auch in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür schärfen, welche entscheidenden Leistungen die Land- und Forstwirtschaft für die Allgemeinheit bereits erbringen. Gleichzeitig gehen wir weg von marktstützenden Maßnahmen und hin zu mehr Marktorientierung. Die gesellschaftlichen Leistungen müssen deshalb auch weiterhin entsprechend honoriert werden. Auf beiden Seiten die Leitplanken für die Agrarwirtschaft zu entfernen, könnte bedeuten, dass sie arg ins Schlingern kommt. Das ist nicht im Interesse unserer Gesellschaft.

Auf europäischer Ebene werde ich mich deshalb intensiv dafür einsetzen, dass bis 2013 verlässliche Rahmenbedingungen bestehen und dass wir nach 2013 weiterhin eine starke erste und eine gut ausgestattete zweite Säule haben werden. Dafür werde ich mich mit aller Kraft einsetzen. Darauf können Sie sich verlassen.

Eine starke Landwirtschaft ist ein zentraler Kern für die ländlichen Räume. Ländliche Räume sind für über die Hälfte der Bevölkerung in unserem Land letztendlich die Grundlage für eine liebenswerte Heimat. Deshalb werde ich mich mit meinem gesamten Haus auch weiterhin als Anwältin für die ländlichen Räume einsetzen.

Um die ländlichen Räume attraktiv zu machen, müssen die Menschen dort ihren Lebensunterhalt verdienen können. Ich will, dass möglichst viel Kaufkraft im ländlichen Raum bleibt. Um das zu erreichen, müssen wir die Weichen dafür stellen, dass die regionalen Wertschöpfungsketten gestärkt werden. Eine gute Infrastruktur ist heute für alle Lebensbereiche von entscheidender Bedeutung. Das gilt besonders für den ländlichen Raum. Nicht vorhandene Verkehrs- oder Internetanbindungen bedeuten weniger Arbeitsplätze, weniger Wertschöpfung und weniger Entwicklungschancen. Ich will keine überdimensionierten Großprojekte. Ich will lediglich, dass Menschen, Waren und Dienstleistungen einfach von A nach B gelangen. Dazu brauchen wir eine entsprechende Infrastruktur.

Die nachhaltige Entwicklung in den ländlichen Räumen hat nicht zuletzt sehr viel mit Lebensqualität für die Menschen und insbesondere für die Familien, die dort leben, zu tun. Lebensqualität ist aber auch eng verbunden mit dem persönlichen Lebensstil. Die älteren Mitbürger unter uns, zum Beispiel auch meine Eltern, wissen, dass die Beschaffung von Nahrungsmitteln nach dem Zweiten Weltkrieg im Mittelpunkt stand; denn damals war eine ausreichende Nahrungsmittelversorgung noch nicht gewährleistet. Dafür zu sorgen, war die größte Aufgabe der Ernährungspolitik. Sie wurde erfolgreich bewältigt.

Heute herrscht in Europa kein Mangel an Nahrungsmitteln mehr. Im Gegenteil: Viele Menschen leiden leider unter Über- und Fehlernährung und an Krankheiten, die durch einen bewussteren Lebensstil vermieden werden könnten. Übergewicht, Diabetes oder Bluthochdruck schränken die Lebensqualität vieler Menschen ein. Die Folgen sind Erkrankungen, die Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Deshalb wollen wir in Zukunft den Präventionsgedanken durch gesunde Ernährung deutlich stärken. Der Wert einer gesunden Ernährung verbunden mit mehr Bewegung, ist mir ein persönliches Anliegen. Die Menschen brauchen Informationen, um selbstbestimmt ihre Entscheidungen treffen zu können. Wir werden nicht jedem einen Menschen an die Hand geben können, der dafür sorgt. Die Entscheidung muss letztendlich im eigenen Kopf stattfinden. Unser Ziel ist es, weiterhin alles zu tun, damit sich das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Menschen dauerhaft verbessert. Das hilft dem Einzelnen, und das hilft letztendlich der Gesellschaft.

Die Politikfelder meines Hauses betreffen in besonderem Maße den Alltag und die Grundbedürfnisse aller Menschen - heute und auch in Zukunft. Sie erfordern daher Einsatz, Verantwortung und Augenmaß. Wir wollen Freiheit, Lebensqualität und auch Sicherheit. Dafür steht meine Politik, dafür steht die Politik der neuen Bundesregierung und der sie tragenden Koalition.


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Quelle:
Bulletin Nr. 112-5 vom 10.11.2009
Rede der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Ilse Aigner, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung
der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 10. November 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2009