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REDE/792: Philipp Rösler - Aussprache zur Regierungserklärung der Kanzlerin, 12.11.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 12. November 2009 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Gesundheit ist für die Menschen in Deutschland ein enorm hohes Gut. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP steht dafür, dass jeder, unabhängig von Einkommen, Alter, sozialer Herkunft und gesundheitlichen Risiken, den Zugang zu unserem Gesundheitssystem erhalten kann und dass unsere Gesundheitssysteme auch zukünftig finanzierbar bleiben. Das ist das erklärte Ziel dieser neuen Regierungskoalition.

In den letzten 20 Jahren gab es alle zwei bis drei Jahre eine Gesundheitsreform. Allzu häufig hatten die Menschen das Gefühl, dass es zwar teurer, aber nicht immer besser geworden ist. Wir sind angetreten, genau das zu ändern.

Die meisten Reformen waren der Versuch, die Lohnzusatzkosten, die Beitragssätze zu senken oder wenigstens stabil zu halten. Aber angesichts der demografischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschrittes mussten diese Versuche immer wieder in Kostendämpfungsgesetzen enden.

Wer aber wirklich will, dass die künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem nicht automatisch zulasten des Faktors Arbeit gehen, muss zu einer weitestgehenden Entkopplung von den Krankenversicherungskosten und den Lohnzusatzkosten kommen. Nicht weil wir den Arbeitgebern einen Gefallen tun wollen, sondern weil wir Arbeitslosigkeit verhindern müssen. Deswegen ist es richtig, den sogenannten Arbeitgeberanteil festzuschreiben. Das schafft nicht nur neue Möglichkeiten im Krankenversicherungssystem, sondern sorgt insgesamt für Wachstum und Beschäftigung.

Die Gesundheitsbranche ist mit über vier Millionen Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 250 Milliarden Euro heute schon der größte Arbeitgeber in Deutschland. Es gibt darüber hinaus erhebliche Wachstumspotenziale. Wer diese Potenziale heben will, der braucht ein wettbewerbliches System. Es gibt in Deutschland kaum ein System, das regulierter und mit mehr Bürokratie belastet ist als das deutsche Gesundheitssystem. Das gilt es in dieser Legislaturperiode zu ändern.

Wir brauchen in der Krankenversicherung ein klares System der Ordnung, das sich aber nicht anmaßt, alles ständig lenken zu wollen. Der freie und faire Wettbewerb ist auch in der Krankenversicherung der bessere Weg, besser als der Weg der Einheitskasse und der staatlichen Zwangswirtschaft. Deswegen ist "eine Kultur des Vertrauens" ein wesentlicher Bestandteil in unserem Koalitionsvertrag.

Ich habe angefangen, Medizin zu studieren, weil ich mit Menschen zu tun haben wollte, die sich auch so benehmen. Nach meinem Studium musste ich feststellen, dass Qualitätssicherungsbögen und Arbeitsdokumentationen offensichtlich wichtiger sind als die Qualität und die Arbeit am und mit den Menschen. Da habe ich mich entschieden, in die Politik zu gehen, die Bürokratie zu beenden und endlich mehr Zeit für Menschen zu schaffen.

Wir vertrauen den Menschen, die Leistung in Anspruch nehmen, aber wir vertrauen auch den Menschen, die Leistung erbringen, immerhin mit dem hohen ethischen Ziel, Menschen in Not zu helfen.

Wettbewerb in der Krankenversicherung, im Bereich der Gesundheit heißt Wahlfreiheit für Patienten und Versicherte, aber auch für Leistungserbringer. Wer Kosten wirklich dämpfen will, der braucht keine Gesetze, Verordnungen und Vorschriften, sondern sollte auf den aufgeklärten und mündigen Patienten und auf den eigenverantwortlich Versicherten setzen.

Frau Bundeskanzlerin Merkel hat am Dienstag in der Regierungserklärung für diese Koalition deutlich auf den Zusammenhang zwischen Freiheit und Verantwortung hingewiesen. Verantwortung heißt eben auch, zu erkennen, dass es einen Unterschied zwischen einem freien und wettbewerblichen Gesundheitssystem als Teil eines sozialen Sicherungssystems auf der einen Seite und einem beliebigen wettbewerblichen System auf der anderen Seite gibt. Der Unterschied lässt sich in einem Begriff zusammenfassen: Solidarität. Solidarität und Eigenverantwortung sind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: Wir setzen auf die Eigenverantwortung. Wir wissen aber, dass jeder in eine Situation kommen kann, in der er auf die Solidarität der anderen angewiesen ist. Solidarität heißt: Der Starke hilft dem Schwachen; nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. In Bezug auf das Krankenversicherungssystem heißt das eben, dass die starken Gesunden den schwächeren Kranken helfen müssen. Dieses Ausgleichssystem gehört in die gesetzliche Krankenversicherung. Aber den weiteren Ausgleich, den es dort gibt, den Ausgleich zwischen Arm und Reich, halten wir in der Gesundheitsversicherung für wenig treffsicher und deswegen für sozial ungerecht.

Ich möchte hier ausdrücklich festhalten: Es wird in jeder Gesellschaft einen Ausgleich zwischen Arm und Reich geben müssen, aber eben nicht im Gesundheitssystem. Dieser Ausgleich ist besser aufgehoben im Steuer- und Transfersystem; denn im Gesundheitssystem gibt es einen einheitlichen Beitragssatz von 14,9 Prozent, und die Solidarität endet bei der Beitragsbemessungsgrenze. Im Steuersystem hingegen wird jeder mit all seinen Einkünften nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert, und jeder, übrigens auch die privat Versicherten, wird finanziell für die Gemeinschaft verpflichtet. Für CDU, CSU und FDP enden Solidarität und Gerechtigkeit eben nicht bei einer Beitragsbemessungsgrenze von 3.750 Euro.

Verantwortung heißt aber auch, die Frage zu beantworten, wie wir das bestehende System in ein neues überführen können, ohne dabei die Menschen und die sozialen Sicherungs- und Transfersysteme zu überlasten. Jeder von uns weiß: Das wird nicht von heute auf morgen geschehen. Aber trotzdem muss man den Mut haben, in dieser Legislaturperiode zu beginnen. Angesichts der demografischen Entwicklung stehen wir in der Verantwortung, für mehr als 80 Millionen Menschen ein robustes Krankenversicherungssystem auf den Weg zu bringen. Robust heißt, dass die Menschen die Gewissheit haben können, dass das Geld, das sie heute einzahlen, auch morgen für Vorsorge und Versorgung zur Verfügung steht. Diese Gewissheit ist ein wesentliches Element einer erfolgreichen Gesundheitsreform.

Ebenso müssen wir unsere Pflegeversicherung reformieren. Nicht jeder von uns hat Kinder, aber jeder von uns hat Eltern. Genauso wie Verantwortung in der Gesellschaft heißt, dass Eltern für ihre Kinder Verantwortung übernehmen, müssen auch Kinder eines Tages, in Alter und Pflege, für ihre Eltern Verantwortung übernehmen. Darauf müssen wir unser Pflegeversicherungssystem ausrichten. Die Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 90er Jahre hat vielen Menschen geholfen. Aber jetzt ist es dringend an der Zeit, das Umlageverfahren Pflegeversicherung um eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung zu ergänzen; denn Solidarität in der Pflege heißt, dass die Jungen den Älteren helfen. Aber wir brauchen nicht nur Solidarität, sondern auch Gerechtigkeit. Deswegen ist es richtig, die Pflegeversicherung endlich generationengerechter auszugestalten als bisher.

Die Reformen der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung werden in dieser Legislaturperiode vielleicht nicht die einfachsten Aufgaben für diese Koalition sein. Aber wenn es einfach wäre, dann hätten ja auch Sie regieren können. Der Wähler hat anders entschieden. Das Ziel ist klar. Packen wir es an.


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Quelle:
Bulletin Nr. 114-1 vom 12.11.2009
Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler, im Rahmen
der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem
Deutschen Bundestag am 12. November 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2009