Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

REDE/855: Minister zu Guttenberg zum Haushaltsgesetz 2011, 24.11.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich begrüße auf der Tribüne Soldatinnen und Soldaten des Fachsanitätszentrums in Kiel. Ich begrüße sie gerne, und ich frage mich ein wenig, was diese Soldatinnen und Soldaten vorhin dachten, als Sie, Frau Höger, hier Ihren Redebeitrag geleistet haben. Unabhängig vom grundsätzlichen Niveau dieser Rede, auf das ich gar nicht eingehen möchte, ist es schon erstaunlich, wie man sich die Freiheit nehmen kann, Menschen, die sich grundsätzlich bereit erklären, für den Dienst an dieser Gesellschaft Leib und Leben zu riskieren, so pauschal zu beleidigen. Das ist unglaublich. Man kann ja einen harten Streit über viele Punkte führen, über die wir zu Recht diskutieren und diskutieren müssen, aber ein Restmaß an Anstand im Umgang darf, glaube ich, schon noch gepflegt werden. Deswegen war mir dieser Hinweis wichtig.

Herr Kollege Koppelin, zunächst einmal danke für die Erwähnung: 20 Jahre Armee der Einheit. Ich glaube, dass dieser Aspekt gar nicht stark genug hervorgehoben werden kann. Ich würde in diesen Kontext gerne noch jene einbeziehen, die damals neben den großen, von der Öffentlichkeit so beachteten und zu Recht gelobten Köpfen, die das gewährleistet haben, dabei mitgeholfen haben - im zivilen Bereich und auf allen Ebenen der Dienstgrade -, dass diese Armee der Einheit so entstehen konnte. Hier ist ein großartiges, ein wunderbares Werk gelungen. Ich glaube, wir können hier allgemein dafür danken.

Von nahezu allen wurde auf die Verpflichtung hingewiesen, die wir gegenüber den Soldatinnen und Soldaten haben. Ein Aspekt, der eine zunehmend wichtige Rolle spielt, ist: Wie können wir Grundvoraussetzungen schaffen, um nicht nur den sichtbaren körperlichen Verwundungen unserer Soldatinnen und Soldaten, die aus den Einsätzen heimkehren - solche sind ebenso wie Gefallene leider immer wieder zu beklagen -, sondern auch den seelischen Verwundungen, die zunehmend eine Rolle spielen, gerecht zu werden? Hier ist der Hinweis wichtig, dass wir in dieser Frage nicht nachlassen dürfen und können.

Herr Koppelin, Sie haben erwähnt, dass man teilweise durch einen unsäglichen Wust von Bürokratie muss, bis einem überhaupt eine Anerkennung zuteil wird. Diesen Punkt haben wir aufgegriffen. Wir haben jetzt - wohl wissend, dass wir in der Strukturreform noch besser werden müssen - unter der Federführung von Staatssekretär Koppelin eine Anlaufstelle geschaffen, die helfen soll. - Ich meinte Staatssekretär Kossendey. Habe ich Koppelin gesagt? Das war ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk, Herr Koppelin. - Wenn wir die Federführung so aufteilen könnten, wäre das natürlich gut; aber da müsste man auch die Finanzen beachten. Herr Kossendey macht das jedenfalls in Federführung.

Ich glaube, es ist gut, dass eine Anlaufstelle geschaffen wurde, die gerade jenen helfen soll. Aber, wie gesagt, wir müssen hier besser werden; wir müssen hier sicherlich noch einiges nachlegen.

Ich habe in Dresden deutlich gemacht, was die Bundeswehr der Zukunft und in Zukunft leisten soll. Ich habe auch noch einmal deutlich gemacht, welche nächsten Schritte anstehen, welche Entscheidungen der Bundesregierung anstehen. Die Frage wurde hier ja gestellt - Herr Brinkmann, Sie haben auch noch einmal darauf hingewiesen -: Wann werden die nächsten Schritte als Ausgangspunkt für die Umsetzung gemacht?

Das Bundeskabinett wird sich noch im Dezember dieses Jahres mit diesem Thema beschäftigen. Mit den ersten Grundfragen werden wir uns auch im Koalitionsausschuss befassen, und zwar, wie Sie gefordert haben, so zeitnah wie möglich. Anderen geht es manchmal etwas zu schnell, nicht wahr, Herr Arnold? Dazu werden Sie gleich wahrscheinlich noch etwas sagen. Dann werden wir sehen, ob das zusammenpasst: Dem einen geht es zu schnell, der andere möchte, dass man sich so zeitnah wie möglich damit beschäftigt. Ich glaube, wir müssen, um zu einer möglichst sinnvollen Lösung zu kommen, verantwortungsvoll handeln und dabei das Momentum nutzen.

In diesem Jahr haben wir eine Debatte geführt - es war gottlob eine öffentliche Diskussion, die mit und in der Gesellschaft stattfand -, in der es um folgende Fragen ging: Was ist die Bundeswehr? Wie hat sie zukünftig auszusehen? Wie können wir die so wichtige Brücke zwischen Bundeswehr und Gesellschaft aufrechterhalten?

Es ist hocherfreulich, dass der Ausfluss dieser Debatte über die Parteigrenzen hinweg spürbar wurde. Dadurch dass ich in einer zugegebenermaßen sehr provozierenden Rede in Hamburg in diesem Jahr einen Bezug zum Budget hergestellt habe, wurde diese Debatte mit ausgelöst. Mittlerweile besteht nahezu Einigkeit darin, dass wir künftig keine Bundeswehr nach Kassenlage haben wollen, sondern eine Bundeswehr, die sich über die sicherheitspolitischen Herausforderungen und Erfordernisse definiert. Deswegen ist das, was vorhin zitiert wurde, völlig richtig. Die Grundfrage lautet: Was ist uns die Sicherheit in diesem Lande eigentlich wert? Darauf kommt es an. Dem wollen wir gerecht werden.

Was muss eine neu ausgerichtete Bundeswehr leisten können? Sie muss ihren Auftrag vollumfänglich erfüllen können. Sie muss einen verlässlichen Beitrag in der Europäischen Union, im Bündnis und in den Vereinten Nationen leisten können. Sie muss ein leistungsfähiges Instrument deutscher Sicherheitsvorsorge sein, das attraktiv ist. Der Gesichtspunkt der Attraktivität ist von großer Bedeutung. Hier müssen wir bedeutend besser werden, gerade vor dem Hintergrund der Entscheidungen, die wir getroffen haben. Aber auch unabhängig davon muss die Bundeswehr im Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern in diesem Lande so attraktiv sein, dass sie die besten Köpfe für sich gewinnt. Das muss der Anspruch sein. Dafür werden wir uns einsetzen.

Wenn ich sage, dass wir besser werden müssen, heißt das, auch kreative Ansätze, die vielleicht nicht so viel kosten, zu verfolgen; dass auch dies natürlich Geld kosten wird, steht völlig außer Frage. In Dresden habe ich bereits erste Vorschläge gemacht, die wir mit dem Haushalt, den wir im nächsten Jahr verabschieden werden, unmittelbar realisieren können. Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal, nicht nur an die Soldatinnen und Soldaten, sondern auch und gerade an die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr, dass es uns mit dieser Reform ernst ist und wir diese Reform nicht als Selbstzweck betrachten, sondern sie durchführen, um den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr eine Perspektive zu geben. Eine Perspektive haben sie nämlich verdient.

Neben einer Erhöhung der Attraktivität der Bundeswehr muss ihr inneres Gefüge intakt und lebendig gehalten werden. Natürlich besteht an Tagen und Monaten wie diesen Verunsicherung. Natürlich machen sich die Menschen Sorgen; das ist nachvollziehbar und verständlich. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Prozess stringent durchführen. Wir dürfen aber, wie von dem einen oder anderen befürchtet, nichts überstürzen. Herr Arnold, es wird nichts überstürzt. Vielmehr werden die einzelnen Schritte verantwortungsvoll geplant und sinnvoll durchgeführt und die entsprechenden Gesetze gemeinsam mit dem Parlament auf den Weg gebracht. Wir müssen entsprechende Vorschläge vorlegen. Daraus resultierende Verordnungen und die Novellierung bestehender Gesetze, etwa im Hinblick auf die Wehrform, werden wir rasch erarbeiten. Einen ersten Vorschlag werden wir im Dezember dieses Jahres vorlegen. Die entsprechenden Eckpunkte werden folgen.

In Dresden habe ich auch meine Vorstellungen bezüglich des Gesamtumfangs der Streitkräfte zum Ausdruck gebracht; zu diesem Thema gab es auch sehr viele Impulse aus dem parlamentarischen Bereich. Ich habe eine Zielgröße von 180.000 bis 185.000 Soldatinnen und Soldaten genannt. Diesen Umfang kann die Bundeswehr der Zukunft haben, wenn eine substanzielle und nachhaltige finanzielle Unterfütterung gewährleistet ist. Das ist wichtig und muss in diesem Zusammenhang immer wieder betont werden.

Im Rahmen des Haushalts 2011 nehmen wir die ersten Strukturänderungen vor, Herr Kollege Bonde. Das weitere Vorgehen werden wir schrittweise an den entsprechenden Zahlen festmachen müssen.

Herr Kollege Bartels, herzlichen Dank. - Es wird schwierig, gerade vor dem Hintergrund, dass wir im Zuge dieser Kabinettsentscheidung den Auftrag hatten - wir haben den Auftrag auch ausgeführt -, zu zeigen, welche Folgen ein Abbau von bis zu 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten hat und wie wir zu der Ihnen bekannten Minimalzahl von 163.500 kamen. Bei der Zahl 163.500, für die man viel beschimpft und auch verkloppt wurde, wäre ein Zahlenrahmen, den man mit etwa 150.000 Soldaten erreicht hätte, kaum mehr erreichbar gewesen wäre.

An der Zahl von 180.000 bis 185.000 Soldaten, von der wir jetzt in der Diskussion ausgehen, sind die künftigen Zahlen zu messen. Darüber wird allerdings jetzt erst zu entscheiden sein. Das geschieht zunächst in der Abstimmung zwischen den Ressorts und im Kabinett und anschließend in den Verhandlungen mit dem Parlament. Wenn man diese Zahl für sinnvoll hält, dann wird man ihr gerecht werden müssen.

In Bezug auf die Zahl von 180.000 beziehungsweise 185.000 ist Folgendes wichtig: Ein Mehr über diese 185.000 hinaus müssten wir schlicht an den Realitäten messen und auch daran, was mit Blick auf die demografische Entwicklung in diesem Lande machbar, verantwortbar und leistbar ist. Das ist eine Einschätzung, die wir nach intensiver Befassung in diesem Hause gewonnen haben. Hinsichtlich der Minimalzahl, die für mich - das möchte ich noch einmal betonen - immer das absolute Minimum war, muss man sagen: Wir wollen im Grunde genommen keine Bundeswehr, die sich auf Minimallinien begründet, sondern eine Bundeswehr, die tatsächlich ein breites und kluges Fähigkeitsspektrum vorhalten und den Ansprüchen, die ich vorhin genannt habe, gerecht werden kann.

All das erfordert insbesondere einen erheblichen Personalumbau und schließt auch Reduzierungen nicht aus - das wurde genannt -, und zwar sowohl bei den Zeit- und Berufssoldaten als auch bei den Zivilbediensteten, bei einer bestimmten zu erreichenden Gesamtgröße. Das kann im Grunde nur bei einer ausgewogenen Alters- und Dienstgradstruktur gelingen. Nur so lässt sich auch die Einsatzbereitschaft aufrechterhalten. Um beide Zielsetzungen auf sozialverträgliche Weise zu gewährleisten, untersuchen wir neue gesetzliche, dienstrechtliche und auch tarifrechtliche Instrumente. Dazu werde ich demnächst Vorschläge einbringen.

Zur Attraktivität habe ich mich bereits geäußert. Wichtig erscheint mir noch Folgendes: Veränderungen müssen dort beginnen, wo wir es früher zum Teil versäumt haben. Es kann nicht sein, dass wir die Veränderungen nur dort ansetzen, wo es möglicherweise am leichtesten erscheint; vielmehr müssen wir im Ministerium, an der Spitze, oben beginnen, die Veränderungen angemessen zu gestalten, und dürfen uns nicht mit dem Ende der Stufenleiter begnügen, wo dann möglicherweise das Aussitzen als das Richtige erscheint. Wenn wir an der Spitze, im Ministerium beginnen, können wir damit ein Zeichen setzen, dass es uns mit dieser Reform ernst ist.

Ich bin dankbar für das Niveau der Debatte. Ich bin dankbar für vieles, was an Impulsen eingebracht worden ist. Wichtig ist, dass wir das, was wir jetzt gestalten, an den Soldatinnen und Soldaten und an den zivilen Mitarbeitern ausrichten, denen noch einmal mein herzlicher Dank gilt. Kritik an den Strukturen ist nicht Kritik an der Leistungsbereitschaft und an der Leistungsfähigkeit der Soldaten und der Mitarbeiter dieser Bundeswehr. Diesen Dank und auch Applaus haben sie verdient.

Herr Kollege Ströbele, ich bedanke mich dafür, dass Sie den Begriff "Geisterdebatte" mit Leben füllen.

Ich darf nur noch einmal darauf hinweisen, dass es sich lohnt, beispielsweise das Papier des Generalinspekteurs zu lesen, auf das ich oft Bezug genommen habe. Darin wird genau dieses Spektrum offengelegt.

Sie sagen, Sie lesen und bekommen in der Öffentlichkeit mit, was ich tatsächlich damit gemeint habe. Gleichzeitig fragen Sie mich, in welche Veranstaltungen Sie kommen und welche Zeitung Sie lesen müssen, um zu erfahren, was ich gemeint habe. Das ist zumindest ein kleiner Widerspruch.

Ich habe Ihnen nach Ihrer letzten Kurzintervention auf diese Frage geantwortet. Ich hoffe, dass Ihr Gedächtnis zumindest für diese drei Wochen ausreicht. Meine Antwort war relativ ausführlich, Herr Ströbele, und auf die will ich noch einmal Bezug nehmen.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 122-3 vom 24.11.2010
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,
zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2010 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, D-10117 Berlin
Telefon: 01888 / 272 - 0, Telefax: 01888 / 272 - 2555
E-Mail: InternetPost@bundesregierung.de
Internet: http://www.bundesregierung.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2010