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SICHERHEIT/074: Pakistan - Der Tod belebt das Geschäft, Waffen aus Darra Adamkhel heiß begehrt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Oktober 2011

Pakistan: Der Tod belebt das Geschäft - Waffen aus Darra Adamkhel heiß begehrt

von Ashfaq Yusufzai

Ein Waffenhändler in Darra Adamkhel - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Ein Waffenhändler in Darra Adamkhel
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 17. Oktober (IPS) - Von Peshawar, der Hauptstadt der pakistanischen Unruheprovinz Khyber Pakhtunkhwa, bis nach Darra Adamkhel sind es 40 Autominuten. Hier, nahe der afghanischen Grenze, herrscht eine Art Waffentourismus. In der als 'Gun City' berühmt berüchtigten Stadt finden Waffennarren alles, was das Herz begehrt: von Handfeuerwaffen über Maschinengewehre bis zu Raketenwerfern aus eigener Herstellung.

"Selbst für einen Artillerieexperten ist es unmöglich, eine russische AK-47 von einem lokal produzierten Maschinengewehr zu unterscheiden", meint der Waffenhändler Ghulam Rasool stolz. In 500 Läden werden Sturm- und Jagdgewehre, Revolver und Automatikpistolen Marke Eigenbau feilgeboten, und die reichlich vorhandene Munition geht weg wie frisches Gemüse. Das Geschäft mit den Rüstungsgütern hat 20.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze geschaffen.

"Etabliert hat sich der Markt nach der russischen Invasion und wurde für Dschihad-Gruppen zum wichtigsten Waffenlieferanten", erläutert der 58-jährige Rasool. Die damalige pro-US-amerikanische Regierung habe die Waffenhersteller von Darra Adamkhel mit dem nötigen Know-how zur Herstellung einer Vielfalt von Waffen ausgestattet.

"Seit die staatliche Unterstützung ausbleibt, leben wir vom Waffenschmuggel ins Landesinnere und nach Afghanistan", berichtet Muhibullah Afridi, ein anderer Händler. "Der Regierung ist bekannt, dass die von den Taliban verwendeten Waffen aus Darra Adamkhel stammen."

Zwar hat Gun City inzwischen Konkurrenz bekommen - so werden auch in Süd-Waziristan und Bajaur Waffen fabriziert - doch reißen die Aufträge von Einzelpersonen aus dem ganzen Land nicht ab. "Vor allem in den Provinzen Punjab und Sindh ist die Nachfrage nach Kleinwaffen hoch", betont Afridi.


Know-how der Amerikaner

Während des Afghanistan-Kriegs hatte der US-amerikanische Geheimdienst CIA den Mudschaheddin gezeigt, wie man Bomben, Gewehre und Sprengstoffe herstellt. Davon profitiere Darra Adamkhel bis heute, meint der ehemalige Militär Muhammad Saad.

Wie Muhammad Shafiq, ein Waffenhändler aus Peshawar, betont, sind in Darra Adamkhel gefertigte halbautomatische Waffen besonders begehrt. Schätzungen zufolge werden in der Stadt täglich 800 Gewehre produziert.

Für viele Pakistaner sind Waffen ein Statussymbol, die sie gern offen mit sich herumtragen und die sie zu festlichen Anlässen abfeuern. So ist es unter Paschtunen, Belutschen, Sindhis und Pundschabis Brauch, etwa auf Hochzeiten Freudenschüsse abzugeben.

Allerdings kommen die Waffen auch bei innerfamiliären Streitigkeiten zum Einsatz und haben etlichen Frauen das Leben gekostet. "Kleine Familienquerelen und belanglose Auseinandersetzungen arten bisweilen rasch in Kämpfe zwischen einzelnen Paschtunenstämmen aus, die bis zur Beilegung des Konflikts etliche Todesopfer fordern", weiß Saad.

Nach Angaben von Jawad Khan, einem Polizeioffizier aus Peshawar, starben im letzten Jahr in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) und Khyber Pakhtunkhwa 641 Menschen an Schussverletzungen. Weitere 1.590 Personen wurden verletzt.

"Kleinwaffen werden auch in den Agenturen (Verwaltungseinheiten) Khyber und Waziristan hergestellt. Belebt wurde das Geschäft durch die erhöhte Nachfrage der Taliban, die sich hier Ende 2001 nach ihrer Vertreibung aus Afghanistan durch die US-geführten NATO-Truppen abgesetzt hatten", sagt Naveed Shinwari, der ein lokales Demobilisierungsprogramm leitet.


160 Dollar für eine Kalaschnikow

Nirgendwo sonst auf der Welt dürfte es einfacher sein, an preiswerte Waffen heranzukommen. Ein AK-27-Sturmgewehr ist in Darra Adamkhel bereits für 160 US-Dollar zu haben, die Lieferkosten eingeschlossen. In Karachi kostet die gleiche Waffe Shinwari zufolge gleich 50 Dollar mehr.

Saad führt den Waffenwunsch der Pakistaner nicht zuletzt auf die allgemeine Unsicherheit im Lande zurück. Die in Darra Adamkhel produzierten Waffen gelangten problemlos in alle Teile des Landes. Bei der Vergabe der Waffenlizenzen werde weder zwischen mechanischen und automatischen noch zwischen klein- und großkalibrigen Waffen unterschieden, fügt er hinzu. Das Gesetz, dass das öffentlich zur Schau stellen von Waffen verbiete, werde nicht eingehalten.

Zaheerullah, ein Politikdozent an der Universität von Peshawar, kritisiert einen Mangel an politischem Willen, die lokalen Waffengeschäfte zu kontrollieren. "Regierungsvertreter verdienen an dem illegalen Geschäft mit", sagt er. "Das erklärt, warum der Waffenhandel in Darra Adamkhel floriert, obwohl dort Armeeeinheiten stationiert sind." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2011