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SICHERHEIT/177: Die großen Mächte und ihre Kriege - Teil 1 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 9. Februar 2016
(german-foreign-policy.com)

Die großen Mächte und ihre Kriege (I)


MÜNCHEN - Die Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz sagen für die kommenden Jahre eine weitere Zunahme von Konflikten und Kriegen voraus. "Die traditionellen Wächter einer liberalen Ordnung" - gemeint sind die westlichen Mächte - seien "mit einer wachsenden Zahl an Störern" konfrontiert, welche die "zersplitternden Ordnungen weiter destabilisieren", heißt es in der diesjährigen Begleitpublikation ("Munich Security Report") zu der Konferenz, die Ende dieser Woche in der bayerischen Landeshauptstadt stattfindet. Sogar das Risiko, dass Nuklearwaffen zum Einsatz kämen, sei heute so hoch wie nie zuvor seit dem Ende des Kalten Krieges. Zu einer "widerspenstigen Meute", die sich der westlichen Dominanz offen widersetze, zählen die Organisatoren der Münchner Veranstaltung die Präsidenten Russlands und der Türkei, den Verteidigungsminister Saudi-Arabiens und - "in einem geringeren Ausmaß" - den Präsidenten der Ukraine. Der "Munich Security Report" beleuchtet das Verhältnis zwischen China und dem Westen, die neuen NATO-Operationen in Osteuropa sowie die Gefahr eines heißen Kriegs zwischen den Großmächten. Auch die tiefe Krise der EU wird analysiert.


Erfolg und Scheitern der EU

Zur EU äußert die offizielle Begleitpublikation zur diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, der "Munich Security Report", sich durchaus ambivalent. So heißt es einerseits, "das diplomatische Schlüsselformat zur Lösung der Ukraine-Krise" - das "Normandie-Format" - werde auf der Seite des Westens ausschließlich von EU-Staaten gebildet und schließe "die USA nicht ein" - ein Zeichen für den machtpolitischen Aufstieg Berlins und Brüssels: "In jeder größeren europäischen Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wäre eine solche Abwesenheit undenkbar gewesen."[1] Andererseits weist die Publikation darauf hin, dass die EU im Inneren von gravierenden Problemen gehemmt werde: So umgäben "Fragezeichen" auch weiterhin die Entwicklung in Griechenland und den Euro; es drohe der Austritt Großbritanniens; die Wiedererrichtung fester Grenzen stelle das Schengen-System in Frage; "Nationalismus und Populismus" hinderten Fortschritte in der europäischen Integration. Auch müsse man konstatieren, dass ein zentrales Ziel der EU-Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003, nämlich das Vorhaben, "einen Ring gut regierter Länder östlich der Europäischen Union und an den Küsten des Mittelmeers" zu schaffen, gescheitert sei; die EU sei heute vielmehr von einem "Feuerring" umgeben. Dass die westlichen Staaten den "Feuerring" mit ihren Kriegen etwa im Irak und in Libyen sowie mit ihrer Kriegsunterstützung in Syrien selbst entzündet haben, lässt der "Munich Security Report" unerwähnt.


Ein neuer Eiserner Vorhang

Während der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, einräumt, für die EU werde "2016 das schwierigste Jahr ihrer Geschichte" [2], heißt es im "Munich Security Report" zu den jüngsten NATO-Aktivitäten in Osteuropa, sie beinhalteten "das reale Risiko einer weiteren Eskalation". Vor dem NATO-Gipfel im Juli in Warschau sei eine Debatte über den weiteren Ausbau der NATO-Stellungen im Osten des Kontinents nicht auszuschließen. Umfragen zufolge seien unter den "führenden europäischen Verteidigungsexperten" immerhin 34 Prozent der Auffassung, das Kriegsbündnis habe in den letzten zwei Jahren, in denen es unter anderem die NATO-"Speerspitze" aufbaute und mehrere Großmanöver durchführte [3], in Osteuropa "nicht genug getan". 29 Prozent gingen davon aus, dass die aktuelle NATO-Präsenz bis 2020 in ihrer jetzigen Form bestehen bleibe, während 50 Prozent meinten, sie werde "robuster" als heute ausfallen; elf Prozent hielten sogar eine "dauerhafte NATO-Präsenz" für wahrscheinlich und damit implizit den bislang vom Westen noch vermiedenen Bruch der NATO-Russland-Grundakte. Sollten Finnland und Schweden tatsächlich dem Kriegsbündnis beitreten - beide Staaten ziehen das gegenwärtig in Betracht (german-foreign-policy.com berichtete [4]) -, dann werde ein NATO- und EU-basierter westlicher Block fest geschlossen einem "russischen Lager" gegenüberstehen; dazwischen werde eine "Pufferzone" von nur "wenigen Ländern" entstehen. Letztlich sei - als Resultat der NATO-Maßnahmen - sogar eine Art "neuer Eiserner Vorhang" nicht auszuschließen.


Der Konflikt mit China

Näher in den Blick nimmt der "Munich Security Report" insbesondere die Volksrepublik China. "Baut China eine Parallelordnung auf?", heißt es in der Publikation, die wichtige internationale Institutionen, an deren Gründung Beijing in den vergangenen Jahren teils führend beteiligt gewesen ist, den Institutionen der bisherigen, westlich dominierten globalen Ordnung gegenüberstellt. Weltbank und IWF finden inzwischen eine Entsprechung in der von China mitgetragenen BRICS-Bank und im BRICS-Währungsfonds [5]; die Asian Development Bank (ADB) hat ein Gegenüber in der von Beijing initiierten Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB); Finanztransaktionen werden zunehmend nicht nur in US-Dollar und Euro, sondern auch in Renminbi abgewickelt; einflussreichen, vom Westen dominierten Zusammenschlüssen wie den G7/G8 entsprechen Vereinigungen wie etwa das BRICS-Bündnis oder die Shanghai Coordination Organization (SCO). Es werde "immer schwieriger", die "Differenzen" im Verhältnis zwischen den USA und China einzuhegen, heißt es in der Münchner Publikation, die die amerikanisch-chinesischen Beziehungen als "die bedeutendsten" der kommenden Jahrzehnte einstuft. Zwar sei ein "bewaffneter Konflikt" zwischen der größten "aufstrebenden Macht" und dem bisherigen "Hegemon" USA keineswegs "vorherbestimmt"; doch deute alles darauf hin, dass die Beziehungen sich deutlich verschlechtern würden.


Die neue Atomkriegsgefahr

Insgesamt sei das Risiko eines Krieges zwischen den großen Mächten wohl noch begrenzt, urteilen die Autoren des "Munich Security Report". Doch könne zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Kriegs eine Eskalation der Gewalt zwischen ihnen "nicht als ein unrealistischer Albtraum abgetan werden". Dies gelte insbesondere für den Konflikt zwischen dem Westen und Russland, der im Osten Europas mittlerweile zu einer ganzen Reihe militärischer Zwischenfälle geführt habe; "die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation" sei dabei "nicht zu leugnen". Das Papier zitiert einen Bericht der US-amerikanischen "Nuclear Threat Initiative": "Das Risiko eines Einsatzes von Nuklearwaffen in der Euro-Atlantischen Region steigt - und es ist höher, als es jemals seit dem Ende des Kalten Krieges war." Diese Auffassung ist mittlerweile verbreitet. "Der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry schätzt die Gefahr einer nuklearen Konfrontation so hoch ein wie noch nie seit dem Zerbrechen der Sowjetunion", berichtete kürzlich Sicherheitskonferenz-Chef Wolfgang Ischinger: "Ich teile diese Einschätzung und muss leider sagen: Wir haben zu Beginn des Jahres 2016 die gefährlichste Weltlage seit dem Ende des Kalten Kriegs."[6]


Anmerkungen:

[1] Zitate hier und im Folgenden aus: Munich Security Report 2016. Boundless Crises, Reckless Spoilers, Helpless Guardians.
www.securityconference.de.

[2] "Gefahr einer nuklearen Konfrontation ist hoch".
www.welt.de 21.01.2016.

3] S. dazu Kriegsführung im 21. Jahrhundert
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59082
Kriegsführung im 21. Jahrhundert (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59085 und
Botschaft an die Weltöffentlichkeit
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59189

[4] S. dazu Die NATO-Norderweiterung
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59093

[5] S. dazu Die Allianz der Bedrohten
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58916 und
Der Überlegenheitsanspruch des Westens
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59130

[6] "Gefahr einer nuklearen Konfrontation ist hoch".
www.welt.de 21.01.2016.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2016

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