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SICHERHEIT/188: Flüsse und Konflikte - Zur strategischen Bedeutung von Wasserläufen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018
Lebensadern unserer Erde
Flüsse - begradigt, gestaut, zerstört.

Flüsse und Konflikte
Zur strategischen Bedeutung von Wasserläufen

von Tobias von Lossow


Flüsse decken einen wesentlichen Teil der weltweiten Wasserversorgung ab, was zu Verteilungs- und Nutzungskonflikten zwischen den unterschiedlichen NutzerInnen führt. Darüber hinaus haben Flüsse aber auch einen besonderen strategischen Stellenwert in bewaffneten Auseinandersetzungen und Kriegen. So ist es beispielsweise möglich, mithilfe von Wasserinfrastruktureinrichtungen wie Dämmen oder Leitungsnetzen die Versorgungssituation maßgeblich zu beeinträchtigen. Ein solcher Einsatz von Wasser als Waffe verstößt zwar gegen Völkerrecht und Kriegsrecht, wird aber weiter angewendet - wie zuletzt in den Konflikten in Syrien und im Irak. Um diese Praxis zu unterbinden oder wenigstens zu erschweren, bedarf es unter anderem höherer Sicherheitsstandards für diese kritischen Infrastrukturen.


Da Oberflächengewässer - Flüsse und Seen - leicht und kostengünstig zugänglich sind, bilden sie zusammen mit weniger tiefliegenden Grundwasserressourcen das Rückgrat der globalen Süßwasserversorgung. Dennoch kann die Wassermenge nach Jahreszeit stark variieren, Hochwasser und Überschwemmungen die Versorgungslage ebenso beeinträchtigen wie Niedrigwasser. Auch die Wasserqualität unterliegt Schwankungen bedingt durch Schadstoffeinträge und Abwässer aus Industrie, Landwirtschaft und Haushalten. Flüsse interagieren mit anderen Ökosystemen, indem sie z.B. Sümpfen, Mangroven oder dem Regenwald Wasser zuführen oder entnehmen.

Grundsätzlich transportieren Flüsse Wasser über ihr Gefälle flussabwärts, was Konflikte um die Verteilung und Nutzung der Ressourcen zwischen Anrainern am Oberlauf und Anrainern am Unterlauf mit sich bringt, die sich häufig beim Bau von Staudämmen oder Bewässerungsanlagen zuspitzen. Da sich Flüsse nicht an Ländergrenzen halten, führt dies auch zu zwischenstaatlichen Konflikten in den weltweit 286 grenzüberschreitenden Flussbecken, darunter der Amazonas, der Rhein, die Donau, der Kongo, der Jordan, der Indus oder der Mekong. So hat im Euphrat-Tigris-Becken der türkische Ausbau der Bewässerungslandwirtschaft und der Hydroenergieerzeugung im Rahmen des Südostanatolien-Projekts maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Wasserzufuhr Iraks seit den 1980er Jahren um etwa 30 Prozent reduziert hat. Ein anderes, aktuell prominentes Beispiel ist der Nil, an dem Ägypten fürchtet, dass sich die Wasserzufuhr am Unterlauf durch den Bau des 'Grand Ethiopian Renaissance Dam' am Oberlauf in Äthiopien verringern könnte.

Natürliche Grenze und grenzüberschreitender Einfluss
Aufgrund ihrer hydrologischen, sozio-ökonomischen und kulturellen Bedeutung spielen Flüsse auch eine wesentliche Rolle in politischen Konflikten, bewaffneten Auseinandersetzungen und Kriegen - insbesondere unter strategischen und (militär-)taktischen Gesichtspunkten. Flüsse bilden zunächst eine natürliche Grenze, deren Verlauf nicht selten Staaten über längere Abschnitte voneinander abgrenzt, wie der Mekong Laos und Thailand, der Jordan Israel und Jordanien oder die Donau unter anderem die Slowakei und Ungarn sowie Bulgarien und Rumänien. Auch bei territorialen Neuordnungen nach Konflikten und Kriegen dienen Flüsse als Grenze, wie z.B. die Oder-Neiße Linie als deutsche Ostgrenze nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Save, die nach dem Zerfall Jugoslawiens Teile der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien und Herzegowina bildet.

Während militärischer Auseinandersetzungen sind Flussufer vergleichsweise gut zu verteidigen und schwierig zu erobern, weshalb Frontlinien in einem Kriegsverlauf häufig an Flüssen verlaufen. Da diese natürlichen Grenzlinien nur per Schiff, über Brücken oder durch Tunnel passiert werden können, ist auch die Kontrolle solch strategisch wichtiger Nadelöhre meist stark umkämpft. Im Kalten Krieg wurde für den Fall einer nuklearen Eskalation das Halten der Rheinlinie zu einem Kernpunkt der NATO-Strategien - weshalb wichtige militärische Einrichtungen westlich des Flusses liegen, wie das geo-strategische Informationszentrum der Bundeswehr in Euskirchen oder der US-Luftwaffenstützpunkt in Rammstein.

Neben einer natürlichen Grenzlinie entfalten Flüsse ihre geographische Dimension auch grenzüberschreitend - in Fließrichtung und in Form einer Oberlauf-Unterlauf-Konstellation. Analog zu Streitfragen um die Wasserverteilung und -nutzung ist das Ungleichgewicht zwischen Oberlieger- und Unterliegerparteien auch in bewaffneten Auseinandersetzungen entscheidend. Wer die Wasserressourcen am Oberlauf eines Flusses kontrolliert, hat die Möglichkeit, die Wasserversorgung und die Hydroenergieerzeugung am Unterlauf zu steuern und zu beeinträchtigen. Dadurch wird die militärische Kontrolle des Oberlaufs, beziehungsweise der dortigen Wasserinfrastrukturen, zu einem strategisch bedeutsamen Machtfaktor, vor allem in wasserarmen Regionen. Über Flüsse lassen sich zudem Nachschub an Kriegsgerät und Truppen transportieren.

Wasser als Ziel und Waffe
An sich verstoßen sowohl die Zerstörung von Wasserinfrastrukturen als auch der Einsatz von Wasser als Waffe gegen humanitäres Völkerrecht und Kriegsrecht, wie unter anderem in der Haager Landkriegsordnung (1907) und insbesondere den Zusatzprotokollen der Genfer Konvention (1977) festgehalten. Aufgrund der zentralen Bedeutung von Flüssen werden Wasserinfrastruktureinrichtungen wie Staudämme, Verteilersysteme, Pump- oder Aufbereitungsanlagen in bewaffneten Konflikten dennoch gezielt angegriffen, teilweise im Zuge von Kampfhandlungen auch unbeabsichtigt beschädigt oder zerstört. Vor allem Luftschläge können wichtige Anlagen mit vergleichsweise geringem Aufwand demolieren - mit dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung, wie zuletzt wiederholt in Syrien oder im Jemen.

Der eher strategische Einsatz von Wasser als Waffe zielt demgegenüber nicht auf die Zerstörung der Anlagen per se ab. Stattdessen wird Wasser zum Mittel, um andere strategischpolitische oder taktisch- militärische Ziele zu erreichen. Dabei wird entweder (a) künstlich eine Wasserverknappung herbeigeführt, indem Wasser umgeleitet, zurückgehalten oder aufgestaut wird; oder (b) eine Überschwemmung ausgelöst, wenn größere Wassermengen gezielt abgelassen oder in eine bestimmte Region geleitet werden; oder (c) Wasser verunreinigt, indem Ressourcen verschmutzt oder vergiftet werden.

In diesem Zusammenhang erhielt zuletzt vor allem der so genannte Islamische Staat (IS) breitere Aufmerksamkeit, wenngleich nahezu alle AkteurInnen in den Konflikten in Syrien und im Irak regelmäßig auf diese Praxis zurückgegriffen haben und weiter zurückgreifen. Die Eroberung und Kontrolle wichtiger Wasserinfrastruktureinrichtungen, vor allem Dämme an Euphrat und Tigris, waren ein wesentlicher Baustein der Expansionsstrategie des IS. Welche multiplen Effekte der Einsatz von Wasser als Waffe haben kann, lässt sich gut am Beispiel des Falludscha-Damms am Euphrat illustrieren, wo der IS gleich mehrfach Wasser als Waffe einsetzte.

Nach der Eroberung der Talsperre im April 2014 schloss der IS die Schleusen, um die Wasserversorgung in flussabwärts überwiegend von Schiiten bewohnten Gebiete zu beeinträchtigen. Dabei stieg der Pegel hinter der Staumauer und setzte Einrichtungen der irakischen Regierung und Armee am anderen Flussufer unter Wasser. 2 Tage später ließ der IS Wasser über einen Bewässerungskanal in ein Seitental ab und flutete weite Areale in bis zu 100 Kilometer Entfernung - 200 Quadratkilometer Ackerland und 10.000 Häuser wurden zerstört, die Ernte vernichtet, der Viehbestand getötet, mehr als 60.000 Menschen mussten fliehen. Gleichzeitig erschwerte der IS damit das Vorrücken irakischer Truppen auf eigene Stellungen und sabotierte die Parlamentswahlen, da infolge der Flutschäden nur ein Drittel der Wahllokale in der Region öffnen konnten.

Der Einsatz von Wasser als Waffe ist jedoch keinesfalls neu, sondern wurde unter anderem im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg und im Vietnam-Krieg eingesetzt. Schon Cyrus der Große ließ am Vorabend der Eroberung Babylons 539 v. Chr. das Wasser des Euphrat oberhalb der Stadt umleiten und senkte damit den Pegel des Flusssystems, das die Stadt umgab. In den frühen Morgenstunden am Folgetag durchschritten seine Truppen das Flussbett und eroberten eine darauf unvorbereitete Stadt, die bis dahin als uneinnehmbar galt.

Prävention und Intervention
Flüssen kommt weiterhin eine besondere strategische Bedeutung in bewaffneten Auseinandersetzungen und Kriegen zu. Zahlreiche Beispiele der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass Wasserinfrastrukturen unzureichend geschützt sind. Im Irak gelang es dem IS 2014, die Großdämme an Euphrat und Tigris buchstäblich zu überrennen und zu erobern. Einzig der Haditha-Damm konnte mit massivem Aufwand und Luftunterstützung der internationalen Anti-IS-Koalition verteidigt werden.

Weltweit zählen Staudämme zu den kritischen Infrastrukturen, weisen aber in vielen Fällen laxe Sicherheitsstandards auf. Hier besteht dringender Handlungsbedarf in ganz unterschiedlichen Bereichen, denn neben den beschriebenen (a) physischen Angriffen besteht auch das Risiko (b) chemischer Attacken oder von (c) Cyber-Angriffen auf die Steuerungsmodule. Investitionen in einen besseren Schutz von Wasserinfrastrukturen sind ein effektiver, aber vergleichsweise günstiger Ansatzpunkt, um Situationen wie an Euphrat und Tigris in den letzten Jahren künftig zu vermeiden.


Autor Tobias von Lossow arbeitet als Wissenschaftler am Clingendael-Institut (Netherlands Institute of International Relations Clingendael) zu Wasser und Konflikten im Nahen Osten und in Afrika. Er ist zudem Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite 6 - 7
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910, Fax: 030/678 1775 80
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Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2019

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