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WISSENSCHAFT/1102: Interdisziplinarität ist kein Wert an sich (attempto! - Uni Tübingen)


attempto! - Mai 2011 - Forum der Universität Tübingen

Interdisziplinarität ist kein Wert an sich

Welche Bedeutung hatte und hat Interdisziplinarität für die Forschungsförderung? Und umgekehrt: Welche Bedeutung hat die Forschungsförderung für die Entwicklung von Interdisziplinarität in der Wissenschaft? Wie funktioniert dieses Wechselspiel und welche Probleme treten dabei auf? Über diese Fragen sprach die attempto!-Redaktion mit Dr. Beate Konze-Thomas, der Abteilungsleiterin für Programm- und Infrastrukturförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).


attempto!: Verbundforschung ist angesagt. Vom Sonderforschungsbereich zum Exzellenzcluster, je größer desto schöner und besser geeignet für interdisziplinäre Forschung. Stellen wir die Frage nach der Henne und dem Ei: Was gab es eigentlich zuerst: Interdisziplinarität oder Forschungsverbünde?

Konze-Thomas: Das weiß niemand so genau. Gab es zuerst Verbundforschung als Format, und ist dann die Wissenschaft diesem Format gefolgt? Oder hat die Wissenschaft zuerst gesagt: "Wir brauchen einen neuen Rahmen, um zusammenarbeiten zu können." Und daraufhin wurde dann ein entsprechendes Instrument in der Forschungsförderung entwickelt? Als erstes fallen einem die Sonderforschungsbereiche (SFB) ein, die 1968 das Licht der Welt erblickten. Dem ging ja eine sehr dezidierte Situationsbeschreibung durch den Wissenschaftsrat voraus. Deshalb möchte ich annehmen, dass der Trend direkt aus der Wissenschaft kam. Die Umsetzung war dann mit Sicherheit Angelegenheit der Forschungsförderer. Der Hang zur Zusammenarbeit allerdings ist über zweitausend Jahre alt. Schon Goethes Faust hat interdisziplinär studiert, und auch die antiken Philosophen waren ja in sich interdisziplinär. Dass dies nun in Verbünden gefördert wird, ist eine Erfindung der jüngsten Zeit. Vielleicht stellt dies auch eine Gegenbewegung zur explodierenden Differenzierung der Fächer in der Neuzeit dar.

attempto!: Können Sie einschätzen, wie groß der Stellenwert der disziplinären Forschung im Vergleich zur interdisziplinären in der DFG derzeit noch ist?

Konze-Thomas: Nein. Statistisch lässt sich das nicht sagen. Wir sprechen immer von den typisch interdisziplinären Einrichtungen wie Forschergruppen, Schwerpunktprogrammen, Sonderforschungsbereichen. Alle Förderlinien der Exzellenzlinie sollen ja eigentlich auch unbedingt Interdisziplinarität erlauben. Aber in welchem Maße in diesen Einrichtungen dann tatsächlich disziplinär oder interdisziplinär gearbeitet wird, das erfahren wir nicht. Ein SFB an sich ist selbstverständlich interdisziplinär. Aber jedes einzelne Teilprojekt ist doch überwiegend disziplinär. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass knapp zwei Drittel der DFG-Mittel (einschließlich der Mittel für die Exzellenzinitiative) in größere Projekte fließen und mehr als ein Drittel in die Einzelförderung.

attempto!: Wie viel Interaktion zwischen den Fächern findet in großen Verbünden tatsächlich statt, wenn sie sagen, die Teilprojekte seien in der Regel doch disziplinär?

Konze-Thomas: In den SFB-Anträgen gibt es ganz vorne immer ein wunderschönes Schaubild, das zeigt, wie alle mit allen zusammenarbeiten. Wenn man das glaubt, dann gibt es wirklich zu gut 50 Prozent intensive Zusammenarbeit. Ich denke, dass Interdisziplinarität da, wo sie sinnvoll ist, auch durchgeführt wird. Interdisziplinarität ist ja kein Wert an sich, sie dient dazu, eine Frage, die man in einer Disziplin nicht beantworten kann mit anderen im Zusammenspiel zu beantworten. Und die Zahl der wissenschaftlichen Fragestellungen, die nur mit Mitteln der interdisziplinären Forschung beantwortet werden können, wird steigen.

attempto!: Welche Möglichkeiten hat die DFG, diese neuen Fragestellungen zu erfassen? Hat sie einen Riecher dafür?

Konze-Thomas: Also der Riecher liegt ja hoffentlich in der Wissenschaft selbst. Und wir bekommen dann entsprechende Anträge. Hier ist das neue Koselleck-Programm besonders interessant: Dort wird erfahrenen und etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Gelegenheit gegeben, mit einer kurzen Beschreibung eines Projekts eine relativ große Antragssumme einzuwerben. Grundlage für die Begutachtung ist nicht das Projekt selbst, sondern die nachgewiesenen vorherigen Leistungen des Wissenschaftlers. In diesen Fällen ist Risiko ein positives Beurteilungskriterium, so dass Wissenschaftler hier etwas versuchen können, was sie sich vorher vielleicht antragsmäßig nicht getraut haben. Und diese Vorhaben überschreiten vielfach die Disziplin. Dieses Programm bietet damit die Chance, völlig andere Sachen mit völlig neuen Denkweisen zu machen.

attempto!: Wie risikobereit ist die DFG ansonsten bei ihren Fördermaßnahmen?

Konze-Thomas: Also ich finde, dass die Gremien der DFG nicht immer risikobereit genug sind. Das Sicherheitsdenken überwiegt doch häufig. Ein Forschungsprojekt auf der Basis von hervorragenden Publikationen, in dem man die Beteiligten kennt, wird wie selbstverständlich gefördert. Wenn es diese Publikationen vorher nicht gibt, dann ist das nicht immer so. Deswegen sehe ich hier auch eine Aufgabe der Geschäftsstelle, zu sagen: "Leute passt auf, man muss auch mal Neues erlauben."

attempto!: Noch vor 20 Jahren hatten Einzelanträge, die sich an Fächergrenzen bewegten, enorme Schwierigkeiten bei Gutachtern. Inwiefern hat sich da auch bei der DFG etwas geändert?

Konze-Thomas: War das wirklich so? Ich meine, diejenigen, die sich in solchen Fällen beschwert haben, hatten in der Regel eine Ablehnung bekommen. Es ist nun einmal in der Forschungsförderung so, dass es auch Ablehnungen gibt. Und wer sich beschwert, wird gehört, während die vielen, die eine Bewilligung gekriegt haben, sich nicht beschweren. Das heißt, wir wissen nicht wirklich, ob interdisziplinäre Anträge es schwer gehabt haben oder nicht. Und auch nicht, ob das dann an der Interdisziplinarität lag oder an der mangelnden wissenschaftlichen Qualität. Aber wir können heute auf solche Anträge durch eine adäquate Begutachtung besser antworten. Wir haben das System geändert: Früher gab es eine rein schriftliche Begutachtung, der Fachausschussvorsitzende hatte dann das letzte Wort. Jetzt haben wir Fachkollegien, und diese sind in sich interdisziplinärer zusammengesetzt. Wir haben auch die Einrichtung der Fachforen, in denen sich noch größere Bereiche, zum Beispiel Ingenieure und Mediziner für die Medizintechnik zusammensetzen.

attempto!: Aus der Perspektive des einzelnen Wissenschaftlers: Wann wird er interdisziplinär?

Konze-Thomas: Ich glaube, dass Leute, die in ihren Disziplinen gut sind, auch zu einem gewissen Zeitpunkt erkennen, wann sie interdisziplinär arbeiten müssen. Man muss in seinem Gebiet gut sein, um zu erkennen, wann man einen interdisziplinären Ansatz fahren muss, wann man sich tunlichst jemanden sucht, der in einem anderen Gebiet gut ist. Wenn diese beiden dann zusammenkommen, eine gemeinsame Sprache finden und überlegen, wie man gemeinsam vorgeht, dann wird Interdisziplinarität angebahnt. Und so funktioniert das auch in Verbünden.

attempto!: Zurück zur Verbundforschung: Wo liegen die Grenzen der Forschung in großen Verbünden?

Konze-Thomas: Ich denke, dass wir jetzt mit den Exzellenzclustern an eine Grenze gekommen sind, wenn man überlegt, was für ein Aufwand an Verwaltung hier nötig ist. Ich persönlich bin ja nach wie vor ein großer Anhänger des Einzelverfahrens, denn der verwaltungsmäßige Aufwand für den Einzelnen ist hier am geringsten. Bei einem Exzellenzcluster mit einem jährlichen Fördervolumen von 6,5 Millionen Euro ist der Verwaltungsaufwand, den man treiben muss, um dieses Geld vernünftig auszugeben, ganz erheblich. Und eigentlich sind die Mittel ja nicht dafür da, Verwaltung zu fördern.

attempto!: Beobachten Sie auch das Phänomen einer vorgetäuschten Interdisziplinarität, also entsprechend "frisierte Anträge", um irgendwelchen Förderformaten zu entsprechen?

Konze-Thomas: Na klar! Wissenschaftler sind ja coole Leute. Und diese Leute gehen mit neuen Förderformaten kreativ um - und wenn sie es passend machen. Ich kann mir schon vorstellen, wenn man irgendwo eine Lücke in der Finanzierung seiner Forschung hat und dann ein Programm sieht, in dem nur interdisziplinäre Forschung gefördert wird, dass man sich dann etwas erfindet. Das geht dann entweder gut oder schlecht. Manchmal hat man ja vielleicht auch eine ganz gute Idee. Aber dass jetzt Leute sich hinstellen und sagen: "Ich muss unbedingt interdisziplinär sein", das glaube ich nicht. Manchmal bin ich der Meinung, dass Interdisziplinarität ein bisschen zu sehr überbewertet wird. Das muss doch der Wissenschaftler selbst entscheiden, wie er sein Problem löst. Und dieses Problem steht im Zentrum und nicht die Frage, ob der Forschungsförderer vielleicht Interdisziplinarität im Moment lieber fördert.


Das Gespräch führte Michael Seifert.

Beate Konze-Thomas hat an der Ruhr-Universität Bochum im Fach Biologie promoviert. Anschließend war sie an der Michigan State University und an der LMU München tätig. Seit 1980 arbeitet sie in verschiedenen Funktionen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, heute als Leiterin der Abteilung Programm und Infrastrukturförderung.


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Quelle:
attempto! - Mai 2011, Seite 12-13
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
Vereinigung der Freunde der Universität Tübingen e.V.
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Redaktion: Michael Seifert (verantwortlich)
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attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2011