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WISSENSCHAFT/976: Deutsche Wissenschaft und Forschung weltweit vernetzen (attempto!/Uni Tübingen)


attempto! 27 - Oktober 2009 - Forum der Universität Tübingen

Deutsche Wissenschaft und Forschung weltweit vernetzen

Von Martin Kobler


Um den Herausforderungen der Zukunft in einer globalisierten Welt erfolgreich zu begegnen, müssen Wissen, Knowhow und Kreativität weltweit vernetzt werden. Die Außenwissenschaftspolitik ist ein neues Instrument, das diesem Ziel dient.


Außenpolitik und Wissenschaft scheinen auf den ersten Blick wenig gemein zu haben. Ein zweiter Blick lässt aber erkennen, dass sich ihre Ziele und Instrumente sehr wohl überschneiden, sich gleichen und gegenseitig unterstützen. Heutzutage sind nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in einen globalen Kontext eingebunden und von Entwicklungen weltweit beeinflusst. Die großen Herausforderungen im 21. Jahrhundert - wie Bevölkerungswachstum und Armut, wachsende Migrationsströme oder Klimawandel - machen nicht an unseren Grenzen halt: Wie wir globale Erwärmung verlangsamen können, wie wir neue Energiequellen entwickeln und effizient zum Einsatz bringen oder wie wir mit den Errungenschaften des Fortschritts unsere Umwelt möglichst wenig belasten - all das sind Fragen, die wir nur durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit lösen können.

Ein weiterer globaler Faktor kommt hinzu: Nie zuvor stand der Menschheit so viel Wissen zur Verfügung wie heute. Die für eine Gesellschaft so wichtigen Ressourcen wie Bildung, Kreativität und Knowhow sind weltweit vorhanden. Um sie zu verknüpfen und nutzbar zu machen, bedarf es der globalen Interaktion, des Austauschs über Erkenntnisse, Erfahrungen und Ideen. Dies ist die Grundlage für den Zugewinn an Wissen und für Fortschritt in einer globalisierten Welt.


Wissenswelten verbinden

Unsere Gesellschaft ist heute daher auf eine Wissenschaft angewiesen, die nach außen gerichtet und verflochten ist. Sie muss die Interaktion und die Kooperation mit internationalen Partnern suchen und eingehen. Wissenschaftler und Wissenschaftszentren auf der ganzen Welt müssen sich vernetzen und in geregelten Bahnen den freien Verkehr von Informationen, Erfindungen und Technologien ermöglichen.

Die Förderung der akademischen Beziehungen mit dem Ausland ist seit jeher fester Bestandteil der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Während wir im Bereich der Außenwirtschaftsförderung den Handel mit 'hardware' ausbauen, setzt die Außenwissenschaftspolitik auf den Austausch der 'software', die in einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft immer wichtiger wird. So werden ausländische Nachwuchs- und Spitzenwissenschaftler durch das Auswärtige Amt und seine Partnerorganisationen - insbesondere den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und die Alexander von Humboldt-Stiftung - unterstützt, nach Deutschland zu kommen und ihr Wissen und ihre Erfahrungen hier einzubringen und zu erweitern. Nachdem die Zahl ausländischer Studierender und Wissenschaftler in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist, zielen wir nun verstärkt darauf ab, deren Studien- und Forschungserfolg durch verbesserte Betreuung und Integration zu sichern.

Der zunehmende Wettbewerb auf dem globalen Bildungsmarkt verlangt jedoch, sich nicht auf dem Erreichten - Deutschland zählt zu den drei attraktivsten Studienstandorten weltweit - auszuruhen. Deshalb hat die Bundesrepublik Deutschland mit der "Initiative Außenwissenschaftspolitik 2009" ihr bisheriges Engagement noch einmal ausgeweitet. Seit langem bestehende und bewährte Instrumente der akademischen Zusammenarbeit bauen wir unter dem Motto "Wissenswelten verbinden" aus und ergänzen sie durch neue Maßnahmen.


Studierende aus Konfliktländern

Für ausländische Studierende und Wissenschaftler wurden neue Stipendienprogramme geschaffen. Zum Beispiel haben deutsche Hochschulen die Möglichkeit, mit Stipendien Studierende aus Konfliktländern zu gewinnen. Sie werden in einschlägigen Studienprogrammen nach den Prinzipien guter Regierungsführung weiter qualifiziert. In einer praxisorientierten Ausbildung rüsten sie sich für ihre spätere berufliche Tätigkeit in Politik, Recht und Verwaltung in ihren Heimatländern. Neben der Förderung Einzelner - der "besten Köpfe weltweit" - steht der Ausbau wissenschaftlicher Strukturen im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Unsere Wissenschaft kann nicht nur von Deutschland aus operieren, sondern muss zugleich weltweit an Schlüsselstandorten präsent sein. Deshalb bereiten wir gegenwärtig die Gründung deutscher Wissenschafts- und Innovationshäuser an fünf ausgewählten Standorten im Ausland - Neu-Delhi, New York, Moskau, São Paulo und Tokyo - vor. Deutsche Wissenschaftsorganisationen, Hochschulen, aber auch die forschende deutsche Wirtschaft sind eingeladen, unter ein gemeinsames Dach zu ziehen und die Expertise unseres Landes weltweit sichtbar und greifbar zu machen. Ein weiteres Kernelement unserer Initiative sind die "Exzellenzzentren in Forschung und Lehre" - Partnerschaften zwischen einer deutschen und einer ausländischen Hochschule. Vier Kooperationen in Russland, Thailand, Chile und Kolumbien wurden ausgewählt, um exzellente Wissenschaftler und Spitzenforschung im Ausland mit den Hochschulen in Deutschland zu vernetzen.

All dies zeigt aber auch: Die Internationalisierung der Wissenschaft ist ein autonomer Prozess. Denn es sind die wissenschaftlichen Einrichtungen, die Studierenden und die Wissenschaftler selbst, die sich internationale Partner suchen und mit ihnen in Austausch treten, die sich neue Ziele und Standorte erschließen. Die Universitäten und Forschungseinrichtungen erkennen die Notwendigkeit der grenzüberschreitenden Kooperation und setzen sie deutlich sichtbar in der Praxis um: Sie bauen ihre Zusammenarbeit mit Partnerinstituten im Ausland aus, gründen Zweigstellen im Ausland, verstärken ihre weltweite Präsenz. Aber auch die internationale Mobilität des Einzelnen - ob Studierender oder Wissenschaftler - ist heute keine Besonderheit mehr, sondern längst Alltag in einer wissenschaftlichen Karriere. Diese Mobilität gilt es zu sichern - sie ist Voraussetzung für den Austausch, das Treffen von Angesicht zu Angesicht, für den gemeinsamen Diskurs und das Miteinander-Arbeiten. Die Politik will und kann diesen Prozess nur begleiten und unterstützen, indem sie Rahmenbedingungen und Anreize zum Ausbau der Internationalität schafft.

Mit dieser Ausrichtung unserer Außenwissenschaftspolitik stehen wir nicht allein. Auch in anderen Ländern - darunter "Schwergewichte" der Wissenschaft wie die USA, Großbritannien, Japan oder Frankreich - verstärken Regierungen und Wissenschaftsorganisationen ihre Bemühungen zur Internationalisierung. Hier wie dort stehen die gemeinsame Beantwortung globaler Fragen, der Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit zur Stabilisierung von Ländern und Regionen und nicht zuletzt die Stärkung der Innovationsfähigkeit des eigenen Landes im Mittelpunkt der Bemühungen.

Gleichermaßen bedeutend ist für uns die gesellschaftsverbindende Wirkung, die mit wissenschaftlichen Partnerschaften und Austausch einhergeht. Alexander von Humboldt beschrieb es in dieser Hinsicht ganz treffend: "Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben." Dies trifft auch heute noch zu. Die persönlichen Beziehungen zwischen in- und ausländischen Wissenschaftlern, die Kenntnisse des Partnerlandes, dessen Sprache und Kultur - all dies schafft Verständnis und Verständigung zwischen den Menschen, den Gesellschaften und Ländern. Kein anderer Politikbereich erreicht die Köpfe und Herzen der Menschen unmittelbarer und nachhaltiger. Dies macht die Wissenschaft zu einer wichtigen Stütze unserer Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in der sich mit Mitteln der gegenseitigen Verflechtung und des Austausches Menschen, Gesellschaften und Staaten annähern.


Ministerialdirektor Martin Kobler ist Leiter der Kultur- und Kommunkikationsabteilung des Auswärtigen Amts. Der Jurist war von 2000 bis 2003 Leiter des Ministerbüros im Auswärtigen Amt und danach Deutscher Botschafter in Kairo und Bagdad.


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Quelle:
attempto! 27 - Oktober 2009, Seite 10-11
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attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009